Was hat das Konzil mit mir zu tun?

Auf Augenhöhe
Das Jubiläum des Konzils von Nizäa gibt uns die einmalige Chance, uns als Geschwister auf die Grundlagen unseres gemeinsamen Glaubens zu besinnen und das Geschenk der Einheit in Christus neu zu entdecken.
Das erklärt Bischof Emmanuel von Christoupolis, Vikarbischof der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland in Berlin.
Jubiläen folgen stets einem Schema: Einer intensiven und kreativen Planung – inklusive stetig steigendem Stress-Level – folgt ein Fest, das beeindruckend war, aber doch nur Kritik nach sich zieht. Anschließend geht’s weiter, als wäre nichts gewesen.
Das Konzils-Jubiläum in diesem Jahr ist eine ganz andere „Hausnummer“. Vor 1 700 Jahren gab sich die damals noch junge Kirche, vor kurzem noch verfolgt und nun aus den Katakomben hervorgekommen, ein verbindliches Bekenntnis, eine Lehrgrundlage für eine Gemeinschaft, die zur Weltreligion wurde.
Heute, 2025 Jahre nach Christus und 1 700 Jahre nach Nizäa, steht unsere Gesellschaft vor großen Herausforderungen und ringt erneut um ihre Identität und Einheit. Beunruhigende geopolitische Entwicklungen fordern uns heraus. Und immer wieder ist da die Frage nach einem Gott, der so etwas eigentlich nicht zulassen kann. Wenn wir in unserer Zeit von Diskussionskultur sprechen, bezweifle ich immer öfter unsere Bereitschaft, Ansichten und Positionen respektvoll zu teilen, mit schlüssigen Argumenten zu untermauern und den Gesprächspartnern das Recht einer anderen Meinung einzuräumen. Immer ungeduldiger, brutaler und angriffslustiger werden die Diskussionen in unserer Zeit, man kann kaum noch von einem Dialog sprechen.
Warum also das Jubiläum einer Synode feiern, wenn sich sowieso alle uneins sind! Nizäa war eine Zäsur! Die theologischen Unterschiede jener Zeit wurden in einem Gesprächsprozess auf Augenhöhe erörtert, führten zu einem für alle gültigen Ergebnis und dem Begriff der Synodalität wurde eine neue Dimension verliehen, mit kaiserlichem Segen. Abgesehen von der kontroversen Diskussion um die Hintergründe ist dieses Konzil meines Erachtens immer noch ein geschichtlicher Meilenstein.
Als Seelsorger und Christ im 21. Jahrhundert habe ich mich auf dieses Jahr gefreut und bin gespannt auf die Impulse für meinen Dienst in der Kirche und in der Ökumene. Die Bereitschaft, eine konkrete Formulierung zu finden, die das Zeugnis der Kirche in Form goss und vermittelbar machte, war die Grundlage dieser Zusammenkunft. Ebendieser Umstand sollte uns motivieren, den Dialog zu intensivieren und seine Chancen zu erkennen, auch 1 700 Jahre später. Nicht nur durch ein feierliches Gedenken.
Wir haben die einmalige Chance, uns als Geschwister auf die Grundlagen unseres gemeinsamen Glaubens zu besinnen. Ich hoffe, dass wir durch das Nizäa-Jubiläum das Geschenk der Einheit in Christus neu entdecken werden. Die Orthodoxe Bischofskonferenz in Deutschland hat eine Konzils-Ikone auf eine Pilgerfahrt durch Deutschland geschickt. Sie erinnert uns daran, worum es in Nizäa ging: Einheit in Christus! Dieser Zustand garantierte die Prosperität im Reich. Das Konzil von Nizäa kann auch uns zum Vorbild werden, unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt durch den Dialog und den Einsatz aller zu stärken und gemeinsam in die Welt hineinzuwirken. Das Jubiläum des Konzils von Nizäa ist eben doch etwas Besonderes.
Bischof Emmanuel von Christoupolis

Geniales Krähstück
Auf dem Konzil von Nizäa wurde vor 1 700 Jahren ein guter Kampf gekämpft. Denn die damals gefundene und festgeschriebene paradoxe Einheit von Gott und Mensch gilt es, im Glauben zu bewahren. Auch wenn sie rational nicht logisch ist, meint zeitzeichen-Chefredakteur Reinhard Mawick.
Meine erste Begegnung mit dem Bekenntnis von Nizäa war angstvoll: Mutterseelenallein mussten wir paar Tenöre mit dem Wort „Credo“ einsetzen, und das auf meinem (damaligen) Bruch- und Bröselton „e“. Nur der Basso Continuo spielt in Viertelbewegungen flüsternd mit, dauernd verschleppten wir das Tempo. Oder waren wir zu schnell? Ich weiß es nicht mehr, denn lange ist es her. Nicht ganz 1 700, aber immerhin doch vierzig Jahre. Das Stück inmitten von Bachs h-Moll-Messe beginnt mit einer langen Pfundnote, einer doppelten Ganzen, und über diesem durchaus problematischen Einsatz steht groß „Symbolum Nicenum“. Damals, 1985, las ich dieses Wort zum ersten Mal, ohne mich näher mit seinem Sinn zu beschäftigen, denn ich war voll und ganz damit ausgelastet, die Nummer halbwegs sauber und im Takt über die Bühne zu bringen beziehungsweise zu „krähen“. Ja, aller Anfang ist schwer.
Heute bestaune ich das musikalische Wunderwerk, denn unser „Krähstück“ zu Beginn ist eine überaus kunstvolle siebenstimmige Fuge über die alte gregorianische Credo-Melodie. Und das Ganze ist erst der Auftakt einer Aneinanderreihung musikalischer Wunderwerke, die dann folgen in Bachs „Symbolum Nicenum“, dem umfänglichsten Teil seiner einzigen vollständigen Messvertonung (BWV 232), der Vertonung des Nizänischen Glaubensbekenntnisses.
Später dann habe ich mich auch theologisch näher mit Nizäa beschäftigt. Einig war man sich dort gegen die Lehre des Arius, dass das untrennbare Miteinander von Gott-Vater und Jesus Christus, von Gottheit und Menschheit absolut wichtig sei. Beide Naturen, die göttliche und die menschliche, sind daher, so paradox das auch ist und so paradox das auch bleibt: ungetrennt und unvermischt. Denn nur so kann Erlösung stattfinden.
Nur wenn sich menschliche Natur ganz in göttliche Natur verwandelt, nur dann kann auch der Mensch ganz verwandelt werden und der Vergänglichkeit entrinnen, weil nur ein Gott uns erlösen kann. So dachte man damals in Nizäa 325, präzisierte es 381 in Konstantinopel und 451 in Chalcedon, und so ist es unser Bekenntnis bis heute. Mit anderen Worten und aus anderen Zeiten gesagt: „Gott wird Mensch, dir Mensch zugute / Gottes Kind, das verbindt’ sich mit unserem Blute“ (Paul Gerhardt, EG 36,2).
Ja, es wurde damals ein guter Kampf gekämpft, denn genau diese paradoxe Einheit von Gott und Mensch gilt es, im Glauben zu bewahren, auch wenn sie rational nicht logisch ist. Aber spüren nicht auch wir manchmal in unseren menschlichen Beziehungen: Der/die Andere ist ein Teil von mir geworden? Damit behaupten wir ja nicht, dass sich zwei menschliche Identitäten aufgelöst haben, sondern wollen ausdrücken, was in der Sphäre von Liebe und Begegnung zwischen uns Menschen möglich ist. Man kann sich selbst einander mitteilen, ohne sich aneinander zu verlieren. Ganz im Gegenteil, gerade so finden wir uns erst.
Genau das ist für mich die zentrale Aussage der altkirchlichen Bekenntnisse, die in Nizäa vor 1 700 Jahren ihren Ausgang nahmen: Es gab die tiefste Begegnung zwischen Mensch und Gott, die man sich nur vorstellen kann: Gott hat uns Anteil an seinem Wesen gegeben, und so sind wir zu einem Teil Gottes geworden. Und doch ist Gott Gott und Mensch Mensch geblieben. Oder einfach gesagt: „(…) steht auch mir zur Seite, still und unerkannt, dass es treu mich leite an der lieben Hand“. Danke, Nizäa.
Reinhard Mawick

Woran glauben wir noch?
Die (kirchen)geschichtliche Bedeutung des Konzils von Nizäa steht außer Frage. Aber schon mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis hat zeitzeichen-Redakteur Stephan Kosch Probleme. Umso mehr mit dem von Nizäa. Er wünscht sich ein neues Glaubensbekenntnis.
Ich war dagegen. Ein Schwerpunkt zum Konzil von Nizäa vor 1 700 Jahren? Reicht da nicht ein Text, der die historische Bedeutung dieses Treffens beschreibt? Und vielleicht noch ein zweiter, zum Beispiel eine Ausgabe später, zu den theologischen Fragestellungen? Und vielleicht ein dritter zu der Frage, was das alles mit meinem Leben und Glauben als Protestant im 21. Jahrhundert zu tun hat? Wobei ich skeptisch bin, ob es auf die letzte Frage eine mich überzeugende Antwort gibt. Dieser Schwerpunkt zumindest hat sie mir nicht geliefert.
Um es nochmal zu betonen: Die (kirchen)geschichtliche Bedeutung dieses Konzils steht außer Frage. Und selbstverständlich ist Kirchengeschichte ein Erbe, mit dem verantwortlich umgegangen werden muss. Im Sinne von Erinnern und Einordnen in den historischen Kontext. So, wie es in einem guten Museum geschieht.
Aber die Gemeinschaft von Christenmenschen ist ja nicht nur ein Verein von Museumswärter:innen. Sie verlangt mehr. Nämlich das Bekenntnis eben nicht nur als historischen Text zu verstehen, der von kirchlichen und einem weltlichen Machthaber vor langer Zeit festgelegt wurde. Sondern ihn auch als Bekenntnis meines Glaubens zu verstehen. 1 700 Jahre später, die ja immerhin auch eine Aufklärung, eine Reformation, mehrfache wissenschaftliche Revolutionen, politische Herrschaftsmodelle jenseits von Alleinherrschern und andere Zeugnisse einer entwicklungsfähigen Menschheit hervorgebracht haben. Dahinter kann und will ich nicht zurückgehen.
Deshalb habe ich übrigens auch meine Probleme mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis, das überwiegend in den Gottesdiensten, die ich besuche, miteinander gesprochen wird. Ich schweige an immer mehr Stellen. „Allmächtiger Vater“ ist ein Gottesbild, das ich schon lange nicht mehr teile. Zeigt uns die Welt nicht tagtäglich, dass in ihr viele Mächte regieren, und ich nur hoffen kann, dass der Kampf zugunsten einer liebenden und heilenden Gotteskraft entschieden wird? Es folgt die Empfängnis durch den Heiligen Geist und die Jungfrauengeburt, bei der ich ebenso schweige wie bei der Stelle mit der „Rechten Gottes“ und dem „Richten der Lebenden und der Toten“. Bei der Auferstehungspassage verweise ich innerlich auf Fußnoten.
Das Glaubensbekenntnis aus Nizäa macht es mir nicht leichter, im Gegenteil. Danach wurde Jesus „für uns“ gekreuzigt. Für mich klingt darin eine Sühneopfertheologie an, der ich zum Glück nur noch selten in kirchlichen Kreisen begegne. Noch stärker als das Apostolikum ist das Nizänum geprägt von dem Definitionsversuch des dreieinigen Gottes. Logisch, denn der Streit um das Verhältnis zwischen Jesus und Gottvater war ja einer der Gründe, warum das Konzil einberufen wurde. Die vermeintliche Lösung ist nun eine Denkfigur, die viel Stoff für theologische Salons bietet, aber auch 1 700 Jahre später Fragen offen lässt. Zudem ist sie für meinen gelebten Glauben vergleichsweise unbedeutend – so poetisch die Worte auch klingen.
Ich erlaube mir also, selber zu entscheiden, woran ich noch glaube und woran nicht. Diesen Glauben bekenne ich mit Freimut, doch dafür taugen die alten Worte nicht mehr. Denn sie stammen aus einer fernen Zeit, in der Fragen wichtig waren, die heute an Bedeutung verloren haben, zumindest für mich und viele meiner Mitmenschen. Könnte es nicht sein, dass unsere Gottesdienste auch deshalb so leer geworden sind, weil wir mit diesen alten Worten immer wieder Bilder und fragwürdige theologische Konstrukte reproduzieren, die Menschen heute nicht mehr übernehmen möchten?
Ich suche nach anderen Worten und finde Ansätze in den Bekenntnissen, die Dietrich Bonhoeffer oder Dorothee Sölle formuliert haben. Bestimmt gibt es weltweit noch viele andere Texte, die besser beschreiben, woran wir noch glauben (können). Es wäre Zeit, sie zusammenzutragen, um die beste Formulierung zu ringen und ein neues Glaubensbekenntnis zu formulieren. Eine spannende Aufgabe für die Weltchristenheit des 21. Jahrhunderts, die viele Treffen wie das in Nizäa bräuchte. Vielleicht gelingt es auch nicht mehr, sich auf irgendetwas zu einigen. Aber vielleicht doch – so Gott und wir es wollen.
Stephan Kosch
Emmanuel von Christoupolis
Emmanuel von Christoupolis ist Vikarbischof der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland in Berlin.
Stephan Kosch
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.