Große Einheit und kleiner Unterschied

Die Bedeutung des Konzils von Nizäa für die Ökumene
Eine Abbildung aus dem 16. Jahrhundert zeigt das Konzil von Nizäa. Das Bild ist zu sehen im Kloster Moni Stavronikita auf der griechischen Halbinsel Athos.
Foto: picture alliance/Heritage Images
Eine Abbildung aus dem 16. Jahrhundert zeigt das Konzil von Nizäa. Das Bild ist zu sehen im Kloster Moni Stavronikita auf der griechischen Halbinsel Athos.

Die Einheit der Kirchen ist bis heute das wesentliche Ziel der ökumenischen Bewegung. In diesem Sinne hat das Konzil von Nizäa 325 nach Christus eine Vorbildfunktion; nicht als ein Format und auch nicht in seinen Formalia. Aber dafür, dass das Ringen um Einheit als Zeichen nach außen für die Kirche wesentlich ist. Das schreibt die Orthodoxie-Expertin Dagmar Heller, die das Konfessionskundliche Institut des Evangelischen Bundes in Bensheim leitet.

Iznik ist ein unbedeutender Ort in der Türkei, etwa 70 km süd-östlich von Istanbul. Zu Zeiten des Römischen Reiches hieß er Nizäa. Kaum etwas deutet heute darauf hin, dass hier im Jahr 325 eine Kirchenversammlung stattgefunden hat, deren Entscheidungen den christlichen Glauben nachhaltig geprägt haben. Diese Versammlung ist bis heute als Erstes Ökumenisches Konzil oder als Erstes Konzil von Nizäa (es gab später noch ein zweites Konzil an diesem Ort) bekannt und wird in diesem Jahr, 1 700 Jahre danach, in besonderer Weise erinnert. Aber: Was ist daran so erinnernswert? Und warum ist dieses Konzil praktisch für die gesamte Christenheit, also die Ökumene, erinnernswert? Beide Fragen und die Antworten darauf hängen eng miteinander zusammen, denn die Bedeutung dieses Konzils liegt in seiner Bedeutung für die Ökumene. Dies soll in fünf Perspektiven genauer dargelegt werden.

1. Ein „ökumenisches“ Konzil – allgemeine Anerkennung: Diese Versammlung von Bischöfen, die im Jahr 325 stattgefunden hat, ist zwar nicht das erste Konzil in der Kirchengeschichte, aber es ist das erste Konzil, das mit der Bezeichnung „ökumenisch“ belegt wurde. Das bedeutet, es handelt sich um die erste kirchliche Versammlung, bei der Bischöfe aus dem gesamten Römischen Reich zusammenkamen (wenn auch die westlichen Diözesen nur spärlich vertreten waren), so dass deren Beschlüsse in der damaligen Wahrnehmung „weltweit“, das heißt, im Bereich des Römischen Reiches, Bedeutung hatten.

Weltweite Beschlüsse

Allerdings darf man sich nicht vorstellen, dass alles, was das Konzil beschlossen hatte, sofort nach dessen Ende umgesetzt wurde. Schon durch die damaligen Kommunikationsmittel war das undenkbar. Aber selbst nachdem die Beschlüsse überall bekannt waren, setzten sie sich erst im Laufe der Zeit allgemein durch. Einige wurden zunächst sogar wieder rückgängig gemacht. Ob ein Konzil tatsächlich „ökumenisch“ ist, kann erst im Nachhinein, zum Teil hunderte Jahre später festgestellt werden. Gleichzeitig muss aber auch gesehen werden, dass bei solchen Konzilien – und das gilt auch für „ökumenische“ – , vor allem wenn es um Festlegungen von Glaubensinhalten ging, immer auch eine oder gar mehrere Meinungen und damit Gruppierungen ausgeschlossen wurden. Die Ökumenizität eines Konzils im Sinne einer allgemeinen Gültigkeit ist damit immer auch eingeschränkt. Von diesem ersten Konzil von Nizäa, um das es hier geht, kann allerdings aus heutiger Sicht gesagt werden, dass es von allen heute existierenden Kirchen, die ihre Geschichte mit der frühen Christenheit der ersten Jahrhunderte in Beziehung setzen, anerkannt wird.

Die Denkbewegung des so genannten Arianismus, die damals als häretisch verurteilt wurde, war zu diesem Zeitpunkt keine Kirche und hat sich letztlich aufgrund der Beschlüsse von Nizäa auch nicht in einer bedeutsamen Weise weiterentwickelt, so dass daraus gar eine Kirche im Sinne einer heutigen Konfession entstanden wäre. Das heißt, das erste Konzil von Nizäa hat nicht im selben Sinne wie spätere Konzile (zum Beispiel das Konzil von Chalzedon 451) zur Entstehung von parallelen und damit neuen Kirchen geführt und kann daher von allen Kirchen auch heute als „ökumenisches“ Konzil anerkannt werden.

Eine Art Siegesfeier

2. Ein „ökumenisches“ Konzil – Einheit als Motiv: Ein grundlegendes Motiv für die Einberufung dieses Konzils war der Gedanke der Einheit der Kirche. Anders als es heute erwartet würde, wurde die Versammlung von der damaligen weltlichen Macht einberufen: Kurz nachdem er sich die Herrschaft über das gesamte Römische Reich erkämpft hatte, lud der römische Kaiser Konstantin I. die Bischöfe zu diesem Treffen ein. Konstantin hatte schon relativ früh das Christentum gefördert. Und obwohl unklar ist, inwieweit er tatsächlich als Christ zu bezeichnen war, hat er sich jedenfalls seit etwa 312 (Sieg an der Milvischen Brücke) öffentlich zum Christentum bekannt. Vermutlich hatte er erkannt, dass die kirchlichen Strukturen, die damals bereits bestanden, für ihn bei der Einigung seines Reiches hilfreich sein könnten. Es scheint, als ob das Konzil von Nizäa vom Kaiser ursprünglich als eine Art Siegesfeier geplant war und vor allem die Frage des Osterdatums samt einiger Jurisdiktions- und Disziplinarprobleme der eigentliche Grund für die Einberufung des Konzils war.

Die Wichtigkeit einer Einheitlichkeit vor allem in äußerlich tragenden Bräuchen wird vor allem an einer Frage deutlich, die auf diesem Konzil verhandelt wurde: die Frage nach der Festlegung des Ostertermins. In Nizäa wurde bestimmt, dass Ostern an einem Sonntag stattfinden solle – nicht wie in manchen Gegenden am 14. Nisan (nach dem jüdischen Kalender), der jedes Jahr auf andere Wochentage fiel. Auch wenn das Konzil offensichtlich nichts darüber festgelegt hat, nach welchen Regeln dieser Sonntag gefunden werden sollte, ist der Wunsch nach einem Termin, der alle christlichen Kirchen eint, in den einschlägigen verfügbaren Quellen deutlich. So ist es auch nicht verwunderlich, dass bereits kurz nach dem Konzil überliefert wurde, dass dort auch die bis heute gültige Regel festgelegt worden sei, wonach Ostern am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond, der auf die Frühjahrs-Tag-und-Nacht-Gleiche folgt, stattfinden soll. Dafür gibt es zwar keine authentischen Quellen, und es ist bekannt, dass diese Regel selbst schon älter ist, aber die Tatsache, dass sie sich bald als nizänische Regel durchsetzte, bezeugt, dass ein gemeinsames Osterdatum offenbar als der Einheit förderlich empfunden wurde.

Die Einheit der Kirchen ist bis heute das wesentliche Ziel der ökumenischen Bewegung. In diesem Sinne hat das Konzil von Nizäa 325 eine Vorbildfunktion nicht als ein Format und auch nicht in seinen Formalia, aber dafür, dass das Ringen um Einheit als Zeichen nach außen für die Kirche wesentlich ist.

Dogmatische Frage

3. Ein „ökumenisches“ Konzil – Zum Glaubensinhalt: Vor allem sind die Beschlüsse des Konzils von Nizäa bedeutsam, die den Inhalt des Glaubens betreffen. Entgegen der ursprünglichen Planung trat während der Beratungen eine dogmatische Frage in den Vordergrund, die der Kaiser offenbar versucht hatte, auf andere Weise zu schlichten, was allerdings gescheitert war. Es ging dabei konkret um eine Auseinandersetzung zwischen Bischof Alexander von Alexandria und dem dortigen Presbyter Arius um die Frage, wie die Gottessohnschaft Jesu Christi zu verstehen ist. Dies führte dazu, dass in Nizäa ein Glaubensbekenntnis formuliert wurde, das für den Kaiser einfach dazu diente, Frieden in der Kirche zu stiften, das aber dann den christlichen Glauben nachhaltig geprägt hat und bis heute prägt. Denn hier wurde die Grundlage für die praktisch allen Christen gemeinsame Trinitätslehre gelegt, die das Christentum sehr charakteristisch von den anderen Religionen, insbesondere den monotheistischen Religionen unterscheidet. Dabei ist zu bemerken, dass es dreigliedrige Bekenntnisse, die den christlichen Gott als Vater, Sohn und Heiligen Geist beschreiben, bereits vor 325 gab. Aber hier wurde nun solch ein Bekenntnis zum ersten Mal von leitenden Persönlichkeiten der gesamten Kirche unterschrieben und erlangte dadurch Autorität und Normativität für das gesamte durch diese vertretene kirchliche Gebiet.

Bedeutsam ist auch, dass in diesem Glaubensbekenntnis zum ersten Mal hellenistisch-philosophisches Denken angewandt wurde, um Glaubensinhalte zur Sprache zu bringen. Es wurde darum gerungen, zum Ausdruck zu bringen, wie die Gottessohnschaft Jesu Christi zu verstehen ist. Während frühere Bekenntnisse sich an den neutestamentlichen Texten und damit der biblischen Sprache orientierten, wurde hier der Begriff „homousios“ (wesensgleich) eingeführt: Der Sohn ist dem Vater wesensgleich.

Das Bekenntnis von 325 wurde knapp fünfzig Jahre später, auf dem Zweiten Ökumenischen Konzil im Jahr 381 in Konstantinopel, erweitert in dem Sinne, dass dort die Beziehung des Heiligen Geistes zu Gott-Vater und Gott-Sohn ausformuliert wurde. Daher wird es Nizäno-Konstantinopolitanum genannt und stellt heute noch das Bekenntnis dar, das die meisten der heute bestehenden Kirchen miteinander verbindet.

Unterschiedlicher Stellenwert

4. Ein „ökumenisches“ Konzil – Bedeutung heute: Allerdings hat das Nizäno-Konstantinopolitanum heute in verschiedenen Kirchen einen unterschiedlichen Stellenwert. Es gibt inzwischen viele Kirchen, die aus der Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangen sind – vor allem Kirchen, die zur Reformierten Tradition gezählt werden – und sich nicht mehr auf bestimmte Glaubensbekenntnisse festlegen (etwa die Reformierte Kirche in Zürich). Auch jüngere Kirchen aus dem pfingstlichen Spektrum kennen keine fest formulierten Glaubensbekenntnisse. Im evangelisch-landeskirchlichen Bereich in Deutschland ist das Nizäno-Kon­stantinopolitanum zwar in den Gesangbüchern abgedruckt, wird aber eher selten in Gottesdiensten gesprochen. Üblich ist hier das so genannte Apostolikum (ein Bekenntnis, das im 8. Jahrhundert erstmalig bezeugt ist, aber das auf ein altes Taufbekenntnis aus dem 2./3. Jahrhundert zurückgeht). Es wurde bis vor nicht allzu langer Zeit im Konfirmandenunterricht auswendig gelernt.

Auch im römisch-katholischen Raum – jedenfalls in Deutschland – wird meistens das Apostolikum verwendet. Ganz anders sieht es in der Orthodoxie aus. Dort ist das Nizäno-Konstantinopolitanum das Bekenntnis schlechthin. Das Apostolikum ist ein gültiges Bekenntnis, das aber kaum jemand kennt. Das Nizäno-Konstantinopolitanum ist hier deshalb von so großer Bedeutung, weil es das älteste Glaubensbekenntnis ist, das „weltweite“ Anerkennung gefunden hat. Die Tatsache, dass es auf einem „ökumenischen“ Konzil formuliert wurde, verleiht ihm großes Gewicht. Dieser unterschiedliche Stellenwert der beiden Bekenntnisse in der Ost- und in der Westkirche hat sicher auch damit zu tun, dass das Apostolikum wie auch dessen Vorgänger aus dem westlichen Teil des Römischen Reiches stammen und daher hier schon früh eine weitere Verbreitung gefunden hatten.

Kleiner Unterschied

5. Ein „ökumenisches“ Konzil – auch in der modernen Ökumenischen Bewegung? Aus diesem Überblick könnte man schließen, dass das Nizäno-Konstantinopolitanische Bekenntnis eine Gemeinsamkeit zwischen jedenfalls den traditionellen Kirchen bildet. Allerdings hat sich an der Formulierung dieses Bekenntnisses im Mittelalter auch der Graben zwischen der Ost- und der Westkirche vertieft. Im Westen wurde seit dem 6. Jahrhundert im dritten Artikel (über den Heiligen Geist) ein Wort hinzugefügt, das die ursprüngliche Aussage „Wir glauben an den Heiligen Geist, … der aus dem Vater hervorgeht“ verändert. Hier heißt es: „Wir glauben an den Heiligen Geist, … der aus dem Vater und dem Sohn (lateinisch: „filioque“) hervorgeht.“

Hinter diesem kleinen Unterschied zwischen der östlichen und der westlichen Fassung dieses Glaubensbekenntnisses verbergen sich unterschiedliche theologische Auffassungen beziehungsweise Denkfiguren. In der modernen ökumenischen Bewegung konnte man dies aufdecken und die Berechtigung beider Vorstellungen klären. Daher ist es nun auch möglich, in ökumenischen Gottesdiensten gemeinsam die ursprüngliche Formulierung zu verwenden, an der vor allem die orthodoxen Kirchen hängen, da für sie Änderungen im Wortlaut eines durch ein ökumenisches Konzil verabschiedeten Textes schwer erträglich sind.

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