Kanon und Dreieinigkeit

Was uns die theologischen Debatten des Konzils von Nizäa noch heute angehen
Die Trinitätslehre, wie sie sich im Glaubensbekenntnis von Nizäa und  Konstantinopel findet, ist keine unmittelbare Artikulation des christlichen Glaubens.
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Die Trinitätslehre, wie sie sich im Glaubensbekenntnis von Nizäa und Konstantinopel findet, ist keine unmittelbare Artikulation des christlichen Glaubens.

Friedrich Schleiermacher, der protestantische Kirchenvater des 19. Jahrhunderts, tat sich etwas schwer mit der Trinitätslehre. Ebenso treibt der Streit der ersten Jahrhunderte über die rechte Verhältnis­bestimmung von Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist nur wenige Menschen derzeit um – selbst in kirchlichen Insiderkreisen. Dabei kann das Verständnis Gottes als eines dreieinigen noch wertvoll und hilfreich sein, glaubt Ulrich H. J. Körtner von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

Das Konzil zu Nizäa, das vor 1 700 Jahren stattfand, ist Gegenstand zahlreicher internationaler Konferenzen und Gedenkveranstaltungen. Man würdigt das Konzil und das auf ihm feierlich verabschiedete Glaubensbekenntnis als kirchengeschichtliches Ereignis ersten Ranges. In der breiten Öffentlichkeit bleibt das Jubiläum aber weitgehend unbeachtet. Die Auseinandersetzungen der ersten Jahrhunderte über die Göttlichkeit Jesu Christi und die rechte Verhältnisbestimmung von Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist dürften heute wohl nur wenige Menschen umtreiben, selbst in kirchlichen Insiderkreisen. Umfragen zeigen regelmäßig, wie wenige Kirchenmitglieder im Sinne des nizänischen Glaubensbekenntnisses von 325 und seiner erweiterten Fassung, die auf dem Konzil zu Konstantinopel 381 beschlossen wurde, an Jesus Christus als Sohn Gottes glauben, der eines Wesens mit dem Vater und dem Heiligen Geist ist.

Ein trinitarischer Gottesbegriff wirkt wie aus der Zeit gefallen. Die Renaissance der Trinitätslehre in der protestantischen wie der katholischen Theologie des 20. Jahrhunderts hat daran nichts geändert. Ganz zu schweigen von der Theologie der Ostkirchen, deren Liturgie und Spiritualität vielleicht faszinieren mag, aber in einer von der Aufklärung geprägten Kultur fremdartig anmutet.

Wenn Menschen überhaupt noch die Frage nach Gott bewegt, dann als Frage, ob Gott überhaupt existiert, ob man sich Gott als Person oder als unpersönliche transzendente Macht vorzustellen hat, ob Gott als personhaftes Gegenüber der Welt als seiner Schöpfung zu denken ist, oder ob man sich Gott in panentheistischer Denkweise vorzustellen hat. Dann wäre alles, was existiert, in Gott zu denken, so wie ein ungeborener Fötus im Mutterleib. Gott ist vielleicht nur ein anderer Name für den ergebnisoffenen Weltprozess im Ganzen, wir könnten auch sagen für die Natur, wobei sich dann mit Spinoza zwischen einer alles hervorbringenden Natur (natura naturans) und einer von dieser hervorgebrachten Natur (natura naturata) unterscheiden lässt.

Für Friedrich Schleiermacher, den protestantischen Kirchenvater des 19. Jahrhunderts, gehört die Trinitätslehre nicht an den Anfang, sondern an den Schluss der Glaubenslehre, weil sie kein unmittelbarer Ausdruck des frommen Selbstbewusstseins sei, sondern eine sekundäre Verknüpfung von Aussagen über das christliche Selbstbewusstsein. Worauf es entscheidend ankomme, sei der Glaube, dass Gott in Christus war und dass die Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur auch im Gemeingeist der Kirche vorhanden sei. Die Trinitätslehre, so Schleiermacher, ist eine Funktion der Christologie. Das sei aber nicht so zu verstehen, „als ob die Trinitätslehre als eine unmittelbare oder wohl gar notwendige Verknüpfung von Aussagen über unser christliches Selbstbewusstsein anzusehen wäre“. Diese Auffassung ist zumindest im Protestantismus heute weit verbreitet.

Dass es sich bei der Trinitätslehre, die im Glaubensbekenntnis von Nizäa und Konstantinopel ihren verbindlichen Ausdruck gefunden hat, nicht um eine unmittelbare Artikulation des christlichen Glaubens handelt, ist zuzugestehen. Tatsächlich geht die kanonische Gestalt der kirchlichen Trinitätslehre über die sprachlichen Wendungen, in denen die biblischen Texte des Alten und Neuen Testaments von Gott reden, hinaus. Wohl finden wir im Neuen Testament triadische Formeln, allen voran der Taufbefehl in Matthäus 28,19, wo es heißt, der Auferstandene habe seinen Jüngern aufgetragen, alle Menschen auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen. Basilius von Cäsarea (330–379), einer der maßgeblichen Vordenker des Glaubensbekenntnisses von Konstantinopel, mit dem das Nizänum seine endgültige Gestalt als ökumenisches Bekenntnis gefunden hat, hat die Taufformel aus Matthäus 28 ausdrücklich im nizänischen Sinne trinitätstheologisch interpretiert, also die Göttlichkeit und Wesenseinheit des Heiligen Geistes gegen diejenigen verteidigt, welche im Geist nur ein erstes Geschöpf sehen wollten, so wie ja auch Arius und seine Anhänger in Jesus Christus nicht Gott, sondern ein erstes Geschöpf sehen wollten.

Ist die trintitätstheologische Auslegung von Matthäus 28,19 bei Basilus eine exegetisch unhaltbare Eintragung? Oder hat möglicherweise eine Auslegung ihre Berechtigung, die zwischen dem ursprünglichen Textsinn auf der Ebene des Matthäusevangeliums und einer kanonischen Bibelinterpretation zwar klar unterscheidet, Letzterer aber aus wirkungsgeschichtlicher oder rezeptionsästhetischer Sicht ein gewisses Recht zugesteht, weil zwischen Kanon und Bekenntnis ein hermeneutischer Zirkel besteht?

Hermeneutischer Zirkel

Das ist die These, die ich gegenüber Schleiermacher vertreten möchte, und zwar mit bibelhermeneutischen Argumenten. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Entstehungsgeschichte des christlichen Bibelkanons und die Geschichte der Trinitätslehre und ihrer Dogmatisierung historisch parallel verlaufen sind. Trinitarisches Gottesverständnis und biblischer Kanon, so lautet meine These, bilden einen hermeneutischen Zirkel, der über seine historischen Umstände hinaus nicht nur im Rahmen einer systematisch-theologischen Schriftlehre, sondern auch bibelhermeneutisch zu bedenken ist.

Um den inneren Zusammenhang zwischen Kanonbildung und Bekenntnisbildung besser zu verstehen, empfiehlt es sich zunächst, den Kanonbegriff genauer zu bestimmen. Das Wort Kanon hat eine mehrfache Bedeutung. Im christlichen Kontext steht es einerseits für die Bibel als Sammlung heiliger Schriften und andererseits für die Grundlage oder die elementaren Inhalte des christlichen Glaubens.

Das deutsche Wort Kanon stammt aus dem Griechischen (kanón) und ist eigentlich ein Lehnwort aus dem Semitischen. Das hebräische Wort quanah bedeutet „Rohr“, „gerader Stab“ und bezeichnet den im Bauhandwerk verwendeten Richtscheit, Maßstab oder das Lineal. Im Lateinischen wurde kanón schon früh mit „regula“ übersetzt. In einer dritten Wortbedeutung werden als Kanones auch kirchenrechtliche beziehungsweise synodale Bestimmungen bezeichnet. So hat sich das Ökumenische Konzil 691/92 (Trullanum) gesamtkirchlich (reichskirchlich) mit Kanonfragen befasst.

Prophetisches Zeugnis

Irenäus von Lyon (ca. 135 – ca. 200) gebraucht den Begriff Kanon im Sinne von Glaubensregel und kann auch von der „Regel der Wahrheit“ sprechen. Was diese inhaltlich besagt, fasst er in seiner Schrift Adversus haereses, 1,10,1 zusammen. Schon diese frühe Fassung einer Glaubensregel, die später einerseits im Apostolischen Glaubensbekenntnis und andererseits im Bekenntnis von Nizäa und Konstantinopel ausformuliert wird, macht, wie der Alttestamentler Konrad Schmid und der Neutestamentler Jens Schröter ausführen, „deutlich, dass die Schriften des Christentums auf der Grundlage des Glaubens an den einen Gott, den Schöpfer, der sich in Jesus Christus offenbart hat und der durch seinen Geist in der Welt wirkt, auszulegen sind“. Die regula fidei liefert auch eine Begründung für den christlichen Doppelkanon und die innere Einheit von Altem und Neuem Testament. Schon im Neuen Testament finden sich Belege dafür, dass die alttestamentlichen Schriften im Ganzen als prophetisches Zeugnis zu lesen sind, das auf Christus hinweist.

Das Bekenntnis von Konstantinopel bekräftigt diese Lesart. Das Bekenntnis von Nizäa 325 endet mit einem knappen Bekenntnis zum Heiligen Geist. Erst das Konzil zu Konstantinopel hat diese Aussage zu einem ausführlichen Artikel über den Heiligen Geist ausgebaut. Übrigens ist die heute gültige Fassung des Nizäno-Konstantinopolitanums erst auf dem Konzil zu Chalcedon 451 approbiert worden. Diese Fassung wurde von den kaiserlichen Beamten „gewissermaßen aus dem Nichts“ (Wolfram Kinzig) eingeführt. Die Hintergründe hat Kinzig akribisch rekonstruiert.

Der dritte Artikel von Konstantinopel/Chalcedon beginnt mit den Worten: Wir glauben „an den Herrn, den heiligen Geist, der da lebendig macht. Der vom Vater ausgeht. Der mit dem Vater und dem Sohn zugleich angebetet und zugleich geehrt wird. Der durch die Propheten geredet hat.“ Dass die westliche Kirche später in die lateinische Fassung hinzugefügt hat, der Heilige Geist gehe auch vom Sohn aus (Filioque), was bis heute ein Streitpunkt zwischen den Kirchen des Westens und den orthodoxen Kirchen des Ostens ist, ist eine eigene Geschichte, die hier nicht weiterverfolgt werden kann.

Historisch betrachtet wendet sich die Stoßrichtung des Nizäno-Konstantinopolitanums gegen enthusiastische Geistlehren – man denke an den im zweiten Jahrhundert entstandenen Montanismus, der seine Gründergestalt Montanus als den im Johannesevangelium angekündigten Parakleten verehrte. Von bleibender Bedeutung ist der Umstand, dass die pneumatologische Aussage des Bekenntnisses von Konstantinopel über das Alte Testament zugleich eine christologische ist, was ja ganz der Lektüre des Alten Testaments im Neuen Testament entspricht.

Dem christlichen Doppelkanon liegt die im Bekenntnis von Konstantinopel formulierte Überzeugung zu Grunde, dass die Schriften des Alten Testaments als prophetisches Christuszeugnis zu lesen sind. Urheber dieses Zeugnisses, so die Aussage von 381 (beziehungsweise 451) ist der Heilige Geist, der mit dem Vater und dem Sohn wesensgleich ist und zugleich verehrt wird. Selbstverständlich entspricht diese Annahme nicht der heutigen Sichtweise historisch-kritischer Bibelexegese. Aber mir geht es an dieser Stelle schlicht um den Umstand, dass es, rein historisch betrachtet, ohne die genannte Glaubensüberzeugung der Alten Kirche den christlichen Doppelkanon gar nicht gäbe.

Der Geist gilt in der kirchlichen Tradition gleichermaßen als Autor wie als Interpret der Schrift. Unbeschadet der menschlichen Autorenschaft ist es der Geist Gottes, von dem die Schriften des Alten wie des Neuen Testaments inspiriert sein sollen. Sie gelten, wie es 2. Timotheus 3,16 sagt, als theópneustos. Wir können übersetzen: „von Gott eingegeben“ oder auch „von Gott inspiriert“, das heißt aber, von seinem Geist inspiriert. Der Geist ist nun schon im Neuen Testament gleichermaßen Geber wie Gabe. Als Interpret wird der Geist im Johannesevangelium vorgestellt. Er wird den Jüngern verheißen, um sie in alle Wahrheit einzuführen (Johannes 16,13) und um Christus zu verherrlichen (Johannes 16,14).

Nebenbei bemerkt, scheint mir die These, das Johannesevangelium denke nicht trinitarisch, sondern binitarisch, die Weise, in der das Evangelium von Gott redet, nicht ganz zu treffen. Binitarisch ist allerdings die Spitzenaussage des Evangeliums in Johannes 10,30: „Ich und der Vater sind eins.“ Wer Christus sieht, der sieht den Vater, wie es in Johannes 14,9 heißt, von dem doch sonst gesagt werden muss, dass niemand Gott je gesehen hat (vgl. Johannes 1,18; 1. Johannes 4,12). Aber das Sehen des Vaters in Jesus Christus ist doch nur als ein geistgewirktes möglich. Auf der Erzählebene des Evangeliums ist der Geist noch nicht gegeben (vgl. Johannes 7,39). Erst durch ihn, dessen Kommen den Weggang, will sagen den Tod Jesu, zur Vorbedingung hat, wird Christus verherrlicht, so dass er nun als der Fleisch gewordene Logos Gottes erkannt und in seiner Herrlichkeit zugleich der Vater gesehen wird (vgl. Johannes 1,14). Dieses Sehen ereignet sich aber erst auf der Ebene des Evangeliumstextes und seiner Lektüre. Text und Lektüre haben somit eine trinitarische Struktur, auch wenn diese noch nicht in der trinitarischen Begrifflichkeit von Nizäa und Konstantinopel ausgesagt wird.

Treffend bemerkt der Heidelberger Alttestamentler Manfred Oeming: „Zweieinigkeit der Schrift und Dreieinigkeit Gottes zusammen zu denken lässt keinen anderen Schluss zu, als dass der Gott des ATs ebenfalls trinitarisch geglaubt werden muss. Eine Theologie, welche die Dreifaltigkeit Gottes nicht mit der Zweifaltigkeit der Heiligen Schrift zusammen zu denken vermag, ist einfältig.“

Recht verstanden ist die christliche Glaubenserfahrung, wann anders es sich wirklich um Christuserfahrung handelt, stets eine trinitarische Gotteserfahrung, mag sie auch nicht als solche auf den Begriff gebracht werden. Wo aber Letzteres geschieht, handelt es sich, anders als Schleiermacher meint, sehr wohl um eine „notwendige Verknüpfung von Aussagen über unser christliches Selbstbewusstsein“. Die philosophische Begrifflichkeit der Alten Kirche mag dafür unzureichend sein, wie der Umformungprozess der Trinitätslehre im Laufe der Jahrhunderte zeigt. Der Sache nach aber bilden christliche Glaubenserfahrung, biblischer Kanon und Trinitätslehre einen unaufgebbaren hermeneutischen Zirkel.

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