Zwischen Festessen und Nachtsitzung

Auf den ersten Blick war die erste Bischofssynode der gesamten Kirche vor 1 700 Jahren ein großer Erfolg: Die von Kaiser Konstantin erstrebte Einheit der Kirche im geeinten Reich schien wiederhergestellt. Und man hatte sich auf ein gemeinsames Glaubensbekenntnis geeinigt. Doch ein genauer Blick auf das dramatische Geschehen relativiert den Erfolg, wie der Berliner Professor für Antikes Christentum, Christoph Markschies, erklärt.
Das Konzil von Nizäa ist die erste reichsweite Bischofsversammlung der christlichen Kirche in der Geschichte. Regionale Synoden, die versuchten, theologische und kirchenrechtliche Probleme zu lösen, hatte es schon vorher gegeben, aber ohne Kaiser Konstantin hätte das Treffen in dieser Form nie stattgefunden. Seine Initiative, sein Aufstieg zur Alleinherrschaft und seine massive Privilegierung des Christentums sind unmittelbare Voraussetzung des Konzils, aber auch seiner Ergebnisse.
Konstantin berief die Versammlung ein, um dem Christentum, dem er eine wichtige Funktion für die Einheit des römischen Reiches zugewiesen hatte, angesichts fundamentaler Streitigkeiten, die die Einheit der Kirche bedrohten, zur Einheit zu verhelfen. Schon seinen vorausgehenden Kampf um die Alleinherrschaft, der die Trümmer eines Systems kollektiver Ausübung des Kaiseramts abräumte, hatte der Kaiser seit 323 nach Christus als Krieg um die Befreiung des Christentums von der Unterdrückung durch seinen Konkurrenten um die Alleinherrschaft geführt.
Im September 324 nach Christus gelang Konstantin der entscheidende Sieg bei einer Seeschlacht vor den Toren von Konstantinopel. Der Kaiser verstand sich und präsentierte sich in seiner politischen Propaganda als von Gott berufener Herrscher, als Diener Gottes, dem von Gott die Sorge für die Ausbreitung des christlichen Glaubens anvertraut ist.
Auf Reisen in die durch die Erlangung der Alleinherrschaft neu gewonnenen Teile des Reichs im Osten dürfte Konstantin sehr rasch die schweren Auseinandersetzungen in der christlichen Kirche bemerkt haben, die seiner Absicht einer Pazifizierung des Gesamtreiches unter christlichen Vorzeichen nicht eben zuträglich waren. Da er sich in der Tradition seiner Vorgänger als pontifex maximus, als Oberpriester des Reiches, im Prinzip für alle Angelegenheiten zuständig fühlte, musste der Kaiser eingreifen und entsandte noch im Herbst 324 nach Christus einen theologischen Berater mit einem Brief nach Alexandria, wo innerhalb der Kirche ein schwerer Streit darum ausgebrochen war, wie exakt das Verhältnis zwischen Gott Vater und Jesus Christus als Gott zu modellieren war, in den zunehmend auch andere Bischöfe aus dem Osten des Reiches eingriffen.
Gottes Zorn
Offenbar irritierte Konstantin auch, dass zwischen den lokalen Kirchen die Modalitäten der Festlegung des Ostertermins und die Frage, ob man sich am jüdischen Pessach-Fest orientieren sollte, ebenfalls heftig umstritten waren. Dem Kaiser ging es aber nicht nur um politische Fragen der Reichseinheit, vielmehr befürchtete er vermutlich, dass Streit über die richtige Verehrung Gottes auch Gott verärgern und seinen Zorn heraufbeschwören könnte, der sich wiederum gleichfalls negativ auf die Reichswohlfahrt ausgewirkt hätte.
Wann der Kaiser den Entschluss fasste, eine reichsweite Bischofsversammlung einzuberufen, und wer ihn bei dieser Idee beriet, ist leider nicht mehr wirklich aufzuhellen. Das Einladungsschreiben an die Bischöfe zu einer Versammlung nach Nizäa ist erhalten, wird gewöhnlich auf das Frühjahr 325 nach Christus datiert und erwähnt eine frühere Einladung nach Ancyra/Ankara. Möglicherweise wurde also schon in den letzten Monaten des Jahres 324 nach Christus unmittelbar nach der Erringung der Alleinherrschaft der Plan einer reichsweiten Bischofsversammlung gefasst; ob für die Einladung auch eine Rolle spielte, dass am Hof zunehmend deutlich wurde, dass allein mit kaiserlichen Briefen die Konflikte nicht zu lösen waren, sondern sich sozusagen monatlich wie ein Flächenbrand verschärften, ist ebenfalls umstritten.
Für die Planungen dürfte schließlich auch eine Rolle gespielt haben, dass der Kaiser sein zwanzigjähriges Regierungsjubiläum begehen konnte und es offenbar attraktiv fand, im Kreise der Bischöfe der christlichen Kirche zu feiern. Als Grund der Verlegung des Treffens aus dem im anatolischen Landesinneren gelegenen Ancyra in das küstennahe Nizäa werden die leichtere Erreichbarkeit für „die Bischöfe aus Italien und anderen Gegenden Europas“ und das bessere Klima angegeben.
Unterkunft und Verpflegung
Zum Konzil reisten – erstmals in deren Geschichte mit der Staatspost – rund 250 bis 300 Bischöfe (die Teilnehmerliste ist im Unterschied zu den sonstigen Akten und Wortprotokollen erhalten), später sprach man aus theologischen Gründen vom Konzil der 318 Bischöfe, um auf die Zahl der Knechte Abrahams anzuspielen. Der Kaiser stellte Unterkunft und Verpflegung, bestimmte die Tagesordnung, und (jedenfalls dann, wenn wir von späteren Konzilien ausgehen dürfen) seine Beamten eröffneten die Sitzungen und übernahmen das Protokoll.
Der Streit um die Trinitätstheologie, präziser um die Frage, wie man das Verhältnis von Vater und Sohn so denken könnte, dass die Einheit Gottes gewahrt blieb und gleichzeitig Christus als Gott bekannt werden konnte, war bis zum Frühsommer so hochgekocht, dass es in der syrischen Großstadt Antiochia (heute in der Südtürkei an der Grenze zu Syrien gelegen) bereits irgendwann in der Nähe des Jahreswechsels 324/325 nach Christus eine Bischofssynode gegeben hatte, bei der eine bedeutende Gruppe von Bischöfen bis zu einem Widerruf ihrer Position aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen worden war (darunter der einflussreiche und gelehrte Bischof Eusebius von Caesarea/Palaestina, der Verfasser der ersten erhaltenen Kirchengeschichte). Das führte unter anderen bei wichtigen Bischöfen (wie dem Namensvetter des Eusebius in der kaiserlichen Residenz Nikomedien) zu einem Solidarisierungseffekt. In jedem Fall war nach der antiochenischen Synode deutlich, dass die trinitätstheologische Frage noch einmal auf einer weiteren Bischofssynode abschließend verhandelt werden musste.
Im Juni 325 wurde die Synode feierlich vom Kaiser im kaiserlichen Palast von Nizäa eröffnet, dessen exakte Lokalisation leider bislang noch nicht gelungen ist. Bischof Eusebius von Caesarea, der ein Augenzeuge war, hat über die Eröffnung der Beratungen berichtet:
Unerhörte Mischung
„Als aber der festgesetzte Tag, an dem die Synode die Zwistigkeiten endlich beheben sollte, erschienen war, da kamen alle, die zur Synode berufen worden waren, in dem Saale mitten im kaiserlichen Palaste zusammen (…). Als sich aber die ganze Versammlung mit der geziemenden Würde niedergelassen hatte, herrschte in der Erwartung des Einzugs vom Kaiser allgemeines Schweigen (…). Auf das Zeichen aber, das die Ankunft des Kaisers verkündete, erhoben sich alle, und nun trat er selber mitten in die Versammlung, wie ein Engel Gottes vom Himmel her, leuchtend in seinem glänzenden Gewande wie von Lichtglanz, strahlend in der feurigen Glut des Purpurs und geschmückt mit dem hellen Schimmer von Gold und kostbarem Edelgestein. So war seine äußerliche Erscheinung; seine Seele aber war sichtlich mit der Furcht und Verehrung Gottes geziert; es deuteten auch dies seine gesenkten Augen an, das Erröten seines Antlitzes, die Art seines Ganges und seine ganze Gestalt.“
An der Tatsache, dass der Kaiser nicht, wie es sein selbstverständliches Recht war, alle Anwesenden mit freiem Blick musterte, sondern die an den Seiten des Raumes wie noch heute im englischen Parlament sitzenden Bischöfe nicht direkt anschaute, zeigt sich eine sehr ungewöhnliche und bis dahin unerhörte Mischung aus demütig zurückgenommenem und machtbewusst stolzem Auftreten eines Herrschers.
Auf der Synode wurden bemerkenswerterweise auch in Gegenwart des Kaisers die trinitätstheologischen und kalendarischen Fragen offen diskutiert. Im Rahmen dieser offenen Diskussionen wurden von verschiedenen Seiten Texte verfasst, um Vorschläge für einen Lehrkonsens vorzubereiten – ein Vorschlag stammte offenbar von dem bereits erwähnten Eusebius von Nikomedien, der als Bischof einer Kaiserresidenz dem Monarchen vertraut gewesen sein dürfte, auch ein Text der vorangegangenen Synode von Antiochia wurde verlesen.
Beide Texte provozierten erregte Ablehnung. Wie bis heute auf Synoden üblich, dürfte dann ein zwischen den Fronten vermittelnder Kompromisstext vorgelegt worden sein. Interessanterweise waren diese Texte schon als Bekenntnisse formuliert, und entsprechend war auch das endgültige Ergebnis des Konzils von Nizäa als Bekenntnistext formuliert. Ein detaillierter Textvergleich macht wahrscheinlich, dass schließlich noch einmal eine Redaktionsgruppe eine gründliche Revision vornahm, in deren Rahmen vermutlich die berühmten und bis heute verwendeten Formulierungen „aus der Substanz des Vaters“, „gezeugt, nicht geschaffen“ und „wesenseins mit dem Vater“ eingefügt wurden.
Auf diese Weise entstand zugleich auch die Textgattung eines Synodalbekenntnisses: Anstelle bisheriger im Wortlaut vergleichsweise freier Formulierungen des inhaltlichen Konsenses über den Glauben trat nun ein Glaubensbekenntnis, dessen Wortlaut in einer Synode gemeinsam festgelegt wurde und dessen Autorität durch die Unterschriften der Bischöfe bekräftigt und öffentlich festgestellt wurde. Wer diesem Bekenntnis nicht zustimmte, wurde aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen, kirchlicherseits durch die Absetzung vom Bischofsamt und staatlicherseits durch die Abschiebung in das so genannte Exil, also die Verbannung an einen entfernten Ort, bestraft.
Antijüdische Polemik
Ebenso entschied das Konzil die Auseinandersetzungen über die Frage der Festlegung des Ostertermins. Wohl ebenfalls auf Wunsch des Kaisers entschieden sich die Bischöfe für den römisch-alexandrinischen Brauch, Ostern am ersten Sonntag nach dem Frühlingsäquinoktium zu feiern. Damit vollzogen sie gleichzeitig einen harten Trennungsstrich zur älteren Praxis, das Datum des christlichen Osterfests in enger Verbindung mit dem jüdischen Pessach festzulegen; der uns erhaltene Text des Konzils von Nizäa enthält entsprechend auch unschöne, hässliche antijüdische Polemik.
Abgeschlossen wurde das Konzil von Nizäa mit der Feier des kaiserlichen Regierungsjubiläums am 25. Juli 325 nach Christus. Dazu versammelte sich der Kaiser mit seinen Bischöfen in seinem Palast, der in der Nähe, in Nikomedien, stand.
Auf den ersten Blick schien die Synode ein großer Erfolg zu sein, die von Konstantin erstrebte Einheit der Kirche im geeinten Reich schien wiederhergestellt. Man hatte sich auf ein gemeinsames Glaubensbekenntnis geeinigt, das mit der Ausnahme von zwei Bischöfen alle unterschrieben hatten. Alle Beschlüsse des Konzils wurden zudem als Reichsgesetze bestätigt.
Allerdings zeigte sich schnell, dass vor allem im Blick auf die Trinitätstheologie die erstrebte Einigkeit nur scheinbar erreicht war. Beide Seiten, die scheinbar einen Kompromiss geschlossen hatten, hielten zunächst an ihren Positionen fest. Es brauchte noch fast sechzig Jahre, bis der Kompromiss erneuert werden konnte, weil eine vertiefende theologische Interpretation gelang. Ein sprechendes Zeichen dieser vertieften Erneuerung des nizänischen Kompromisses (auf dem Reichskonzil von Konstantinopel 381 nach Christus, voraufgehenden und nachfolgenden Synoden) ist die Tatsache, dass man weiter das Glaubensbekenntnis des Konzils von Nizäa verwendete und es im Umfeld von Konstantinopel nur ergänzte und schließlich in Chalzedon 451 nach Christus so normierte, dass wir es bis heute als einendes Glaubensbekenntnis der ganzen Christenheit verwenden können.
Manche Umstände des ersten Konzils erscheinen uns heute tief merkwürdig. Ein Monarch präsidierte und lenkte eine kirchliche Versammlung – in Zeiten, in denen die Kirche in einem demokratischen Staatswesen unter der Bedingung einer (wenn auch hinkenden) Staat-Kirche-Trennung existiert, berühren solche Details merkwürdig. Die enge Verbindung mit dem Kaiser hat auch dazu geführt, dass aus abweichender Lehre in einer Religion nun plötzlich ein justiziables Vergehen im Staat wurde: Falsche Lehre wurde kriminalisiert. Das kann man bei allem Interesse an einem klaren theologischen und kirchlichen Profil nicht gutheißen. Aber man muss sich immer klarmachen, dass entsprechende Trennungsstriche zwischen Staat und Kirche auch hierzulande noch nicht so alt sind, wie wir vielleicht meinen. In Dänemark, um nur ein Beispiel zu nennen, ist nach wie vor der Staat für die lutherische Staatskirche zuständig, und es gibt dort nicht einmal eine Synode. Und welcher synodale Kompromisstext unserer Tage wird wohl in vielen hundert Jahren immer noch in christlichen Gottesdiensten überall auf dem Globus gesprochen?
Christoph Markschies
Christoph Markschies ist Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Er lebt in Berlin.