Heilig, katholisch und im Umbruch
Was ist die Kirche? Zurzeit ist sie in Deutschland in großen Umbrüchen. Ihre künftige Gestalt ist noch nicht abzusehen. Können für unsere Sicht auf die Kirche die alten Glaubensbekenntnisse bedeutsam sein? Ich meine, sie bleiben relevant. Denn sie beschreiben den geglaubten Charakter der Kirche, ihr Gestiftetsein durch Gott. Das Bekenntnis von Nizäa-Konstantinopel von 325/381 sagt dazu: „Wir glauben an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.“
Wieso formulieren wir einen Glauben an die Kirche? Sie liegt doch vor Augen und lässt sich soziologisch beschreiben. Ja, zur Kirche gehören konkrete Sozialgestalten. Die Wirklichkeit der Kirche ist, sagt Dietrich Bonhoeffer, „geschichtliche Gemeinschaft“. Aber sie ist – nochmal Bonhoeffer – „gottgesetzt zugleich“. Die Dimension der Kirche, von Gott gesetzt zu sein, kann nur geglaubt werden. Luther nannte sie die verborgene Kirche und meinte: Diese Kirche „will nicht ersehen, sondern erglaubt sein“. Der Bekenntnissatz über die Kirche beschreibt das, was man über die sichtbare Kirche als ihre verborgene, von Gott bestimmte Wirklichkeit glaubt.
Wir glauben an die eine Kirche. Die Einheit der Kirche ist nicht durch Sympathie oder durch gemeinsame Interessen konstituiert. Sie ist gegeben durch den Glauben an Jesus Christus und dadurch, dass der Heilige Geist alle Glaubenden mit Gott und miteinander verbindet. Zurzeit entstehen neue räumliche Gestalten jenseits der bisherigen parochialen Struktur. Noch bevor jene ihre konkrete Form angenommen haben, sind alle Glaubenden Teil der einen weltweiten, 2 000 Jahre alten Kirche.
Wir glauben an die heilige Kirche. Die Heiligkeit der Kirche besteht nicht darin, dass alle Glaubenden perfekt wären. Nein, davon kann keine Rede sein. Die Kirche ist heilig, weil sie auf Gottes Vergebung angewiesen ist. Darum strebt sie danach, in ihrem Tun und Lassen dem zu entsprechen.
Wir glauben an die katholische Kirche. Die Katholizität – das Wort bedeutet: die ganze Welt umschließend – hat die Kirche, weil sich das Evangelium an alle Menschen richtet. Deshalb kann sie ihr Handeln nicht auf ihre Mitglieder beschränken.
Wir glauben an die apostolische Kirche. Die Apostolizität wird dadurch sichergestellt, dass die Kirche sich an der Botschaft der Apostel ausrichtet, am Evangelium von Jesus Christus. Deshalb orientiert sich die Kirche an den biblischen Texten, die das Evangelium bezeugen.
Gerhard Ebeling hat die geglaubten Eigenschaften der Kirche als „Kampfaussagen“ verstanden, „die dagegen protestieren, den Anschein für die Wahrheit zu nehmen und aus dem, was vor aller Augen ist, das Urteil darüber zu schöpfen, was letztlich gilt“. Sie sind aber auch Kampfaussagen, weil sie das tätige Streben danach freisetzen, dass in der sichtbaren Kirche die Wirklichkeit der verborgenen Kirche immer mehr Gestaltungskraft entfaltet. Wenn wir den Glauben an die Kirche bekennen, dann drücken wir damit unsere Hoffnung aus, dass in unserer heutigen Gestalt von Kirche diese eine, heilige, katholische und apostolische Kirche Gestalt gewinnt.
Christiane Tietz
Prof. Dr. Christiane Tietz ist Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und Herausgeberin von zeitzeichen.