Bonhoeffer ohne Authentizitätsfimmel

Wie eine Aneignung des evangelischen Theologen und Widerstandskämpfers gelingen kann
Foto: privat

Vor 80 Jahren, am 9. April 1945, wurde Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg hingerichtet. In den vergangenen Tagen und Wochen sind zahlreiche Beiträge zum Gedenken an diesen außergewöhnlichen Theologen des 20. Jahrhunderts und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus erschienen. Zum Beispiel in den zeitzeichen ein Interview mit Wolfgang Huber über Bonhoeffer als „unerreichtes Vorbild“. 

Die Mehrzahl der medialen Beiträge zu diesem runden Bonhoeffer-Gedenktag befasst sich jedoch mit den Versuchen der politischen Rechten, Bonhoeffers Leben und Denken für ihre Zwecke zu missbrauchen. Aufhänger dafür ist die neueste Verfilmung seines Lebens, die seit einigen Wochen auch in Kinos in Deutschland zu sehen ist. Die neueren Aneignungsversuche der Neuen, extremen und/oder äußersten Rechten reichen gleichwohl schon fast 20 Jahre zurück. 

Rechtsradikale "Mahnwache"

Im Jahr 2009 erschien dann die Bonhoeffer-„Biografie“ von Eric Metaxas, auf die sich der neue Spielfilm und seither reichlich weitere Übernahmegesten beziehen. Vor neun Jahren immerhin trat ein „Pfarrer“ der Neuen Rechten mit Bonhoeffer im Gepäck bei einer rechtsradikalen „Mahnwache“ nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin auf.

Zum Kulturkampf um Bonhoeffer wurde in den vergangenen Wochen und Monaten bereits eine Menge geschrieben und diskutiert (auch in den zeitzeichen), das ich an dieser Stelle nicht wiederholen muss. Insbesondere die Kritik der Bonhoeffer-Nachfahren und von Bonhoeffer-Expert:innen aus der Theologie ist ja bereits seit dem Oktober 2024 bekannt – schön, dass rund um den Todestag nun auch so viele nicht-kirchliche und an Theologie sonst desinteressierte Medien das Thema für sich entdeckt haben.

Ratlos und unbefriedigt

Eine Beobachtung aber will ich mitnehmen: Die Kritik am Film – und im weiteren Sinne: an der Vereinnahmung durch die politische Rechte - macht sich nicht zuletzt daran fest, dass es so wie dargestellt nicht gewesen sei. Und noch viel mehr: Dass er, Bonhoeffer, so nicht gewesen sei. Natürlich haben die Kritiker:innen, darunter eminente Bonhoeffer-Expert:innen, mit ihren Gegendarstellungen mehr Recht als die ziemlich sorglos mit historischen Ereignissen hantierenden Filmemacher – und im weiteren Sinne: jene rechten Denker:innen, die sich selektiv bei Bonhoeffer bedienen.

Mich lassen die Widersprüche gegen die rechte Vereinnahmung aber auch ein Stück weit ratlos und unbefriedigt zurück. Vielleicht, weil sie angesichts der Verkürzung nicht zu einer „selbstkritischen Prüfung“ durchdringen, wie sie Wolfgang Huber im zeitzeichen-Interview auf Bonhoeffers Formulierungsgabe Bezug nehmend ganz knapp erwähnt. Der Streit über die Authentizität von Bonhoefferdarstellungen scheint mir an der entscheidenden Tatsache doch vorbeizugehen, dass wir den authentischen Bonhoeffer eben nicht haben. 

Verkaufsfördernde Kulisse

Im Anschluss an die Lektüre dieses, gerade in diesen Tagen für kultur- und literaturinteressierte Leser:innen aufschlussreichen, Artikels über „Aneignung in der Holocaust-Literatur“ von Christian Dinger bei 54Books will ich den 80. Todestag Dietrich Bonhoeffers zum Anlass nehmen, doch noch einmal – und nicht exklusiv mit dem Blick nach Rechts, sondern selbst-kritisch – über die Aneignung seines Lebens und Wirkens nachzudenken. Denn auch mit Bonhoeffer wurde und wird „gespielt“, „sei es als schiefer historischer Vergleich, um Aufmerksamkeit für propagandistische Zwecke zu generieren, oder als verkaufsfördernde Kulisse für kitschige Liebesgeschichten“. 

Solche „Spielchen nicht zu wiederholen, darum wird es in der nun beginnenden Ära der Nachgeborenen mehr denn je gehen“, ist sich Dinger im Blick auf das Shoah-Gedenken sicher. Und ich meine, das trifft auch auf den wichtigsten evangelischen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus zu. Vor zehn Jahren hatte ich mir eine „gründliche Historisierung“ Bonhoeffers gewünscht, seine Einordnung in die Kirchen- und Dogmengeschichte des 20. Jahrhunderts - eingedenk dessen, dass wir nun im 21. Jahrhundert leben.

Schiefe Bahnen

Damit ist natürlich nicht gemeint, Bonhoeffer sein zu lassen, aber doch, ihn Bonhoeffer sein zu lassen. Angesichts Bonhoeffers selbstkritisch zu werden, müsste bedeuten, auch kritisch mit der eigenen Aneignung seines Lebens und Wirkens umzugehen. Christian Dinger ruft dazu in seinem 54Books-Artikel Jens Balzers Essay „Ethik der Appropriation“ auf. Ich übertrage hemdsärmelig: 

Eine gute Aneignung Bonhoeffers ist sich stets der Tatsache bewusst, dass sie gerade nicht den authentischen Bonhoeffer produziert. Aneignung wird dann übergriffig, wenn sie sich nicht allein inspirieren lässt, sondern die Quelle(n) der Inspiration verschwinden lässt und sich selbst als authentisch missversteht. 

Auf welche schiefen Bahnen man gerät, wenn man den wahren, authentischen Bonhoeffer zeigen will, zeigt der aktuelle Bonhoeffer-Film sehr gut, der um der guten Geschichte Willen selbst überprüfbare historischen Fakten zu losen Anhaltspunkten degradiert (s. zeitzeichen-Rezension von Philipp Gessler). Aber auch so manche der gut gemeinten Gegendarstellungen rutscht doch wieder und wieder in diese ausgefahrene Fahrrinne: Vor allem, wenn sie Bonhoeffer ganz dringend „in Schutz nehmen“ will. 

Aus zweiter Hand

Dabei ist „ein respektvoller Umgang“ mit Bonhoeffer „in der Ära der Nachgeborenen“ selbstverständlich möglich, wenn wir anerkennen, dass jedes Reden über ihn „Erzählen aus zweiter Hand“ ist. Hat genau das nicht bereits mit der Zusammenstellung der „Ethik“ und von „Widerstand und Ergebung“ durch Eberhard Bethge begonnen? Und erzählen nicht auch wir – wie die Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Christiane Tietz im evangelisch.de-Interview – vor allem von unseren Begegnungen mit Bonhoeffer, teilen bereits unsere Überschreibungen und Aneignungen mit?

Wenn wir den Authentizitätsfimmel bei Bonhoeffer lassen, dann können uns sicher gute, sinnvolle Aneignungen gelingen. Aus der digitalen Entfernung, vermittelt über den Instagram-Auftritt der Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, (s. hierhier), habe ich in den vergangenen Tagen beobachten können, wie sich bei einer internationalen Werkstatt im KZ Flossenbürg junge Menschen mit Bonhoeffers Optimismus auseinandergesetzt haben: „Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“ 

Unbehagliche Heldenverehrung

Auch so ein Bonhoefferscher „Schlüsselsatz“ (Wolfgang Huber). Und dazu noch einer, der in die Zukunft weist! Ein Satz, der nicht auf Bonhoeffer als Märtyrer und „unerreichtes Vorbild“ abstellt. Mir sind solche Label allesamt ein bisschen too much, so richtig sie auch sind und so gut gemeint sie auch vorgebracht werden. Im besten Fall spricht aus ihnen die Demut der Nachgeborenen, deren Glaubwürdigkeit ich nicht anzweifeln will. Mein Unbehagen mit den großen Zuschreibungen rührt aus der Vermutung her, dass wir, indem wir Bonhoeffer als Helden verehren, auch die politischen Bedingungen, die ihn zu seinem Denken und Handeln zwangen, voreilig historisieren – so als ob uns derartige Bedrängungen nur noch als Zuschauer:innen auf der Leinwand, aber nicht im real life begegnen können.

In dem kurzen Absatz über Optimismus aus „Widerstand und Ergebung“ (hier beim Dietrich-Bonhoeffer-Portal), aus dem das „Jüngste-Tag“-Zitat stammt, werden so aktuelle Fragen wie Generationengerechtigkeit, Mut, christliche Hoffnung und Resilienz angetippt. Und welche:r Nachrichtenkonsument:in verspürt in diesen ersten Wochen der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps und angesichts der deutschen Regierungsfindung nicht mindestens Ermüdung, wenn nicht eine erhebliche Hoffnungsinsuffizienz? 

Folgen des eigenen Handelns

„Den Optimismus als Willen zur Zukunft soll niemand verächtlich machen“ – Ist es nicht erstaunlich, dass so ein Satz heute junge Menschen bewegt, herausfordert, mitnimmt. Womöglich geht es gar nicht darum, wie Bonhoeffer gewesen ist (oder nicht) oder wie er zu sein, sondern heute zu hoffen und „in der gegebenen Situation“ für die Folgen des eigenen Handelns einzustehen.

„Es gibt Menschen, die es für unernst, Christen, die es für unfromm halten, auf eine bessere irdische Zukunft zu hoffen und sich auf sie vorzubereiten. Sie glauben an das Chaos, die Unordnung, die Katastrophe als den Sinn des gegenwärtigen Geschehens und entziehen sich in Resignation oder frommer Weltflucht der Verantwortung für das Weiterleben für den neuen Aufbau, für die kommenden Geschlechter. Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“

(Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Seite 36)

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