Mit den Cowboys und Arnold Schönberg

Angesichts der Weltlage über den Frieden singen? Das überfordert - und passt genau deswegen
Foto: Christian Lademann

Jeden Donnerstag ab 19.45 Uhr mühe ich mich mit dem Frieden ab. Die Noten werden aufgeschlagen in der Kasseler Martinskirche und wir singen Stücke des Komponisten Arnold Schönberg (1874-1951). Los geht es mit dem Chorwerk „Friede auf Erden“. Alle Nicht-Musiker können sich das etwa so vorstellen: wenn Bach-Singen Dreiradfahren wäre, dann wäre Schönberg-Singen eher Einrad-Fahren auf dem Drahtseil. Ehe man sich versieht, ist man wieder aus dem Sattel gekippt irgendwo in Takt 123. Der Frieden in Schönbergs Werk ist ein gebrochener. 

In dem Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer, das Schönberg vertont, wird der Frieden verheißende Gesang der Engel in der Weihnachtsgeschichte konfrontiert mit all den blutigen Taten im Laufe der Zeit. Dann spricht das Gedicht von dem unerschütterlichen Glauben an eine Gerechtigkeit, die sogar in Kriegszeiten wirke und schließt mit der Hoffnung auf eine Zukunft, in der sich der Frieden aus eigener Kraft durchsetzen werde. Manches Mal, wenn ich da donnerstags in der Kirche sitze und mit Anstrengung und Falten auf der Stirn versuche die Alt-Stimme zu singen, denke ich: ja, so fühlt sich das an, wenn die Welt gegenwärtig um den Frieden ringt, immer kurz davor, vom Drahtseil zu rutschen. Wenn ich dieses Werk singe, habe ich das Gefühl, dass kaum etwas ferner ist als dieser Friede, der da am Ende verheißen ist und doch kann ich nicht anders als davon zu singen mit all den Dissonanzen.

Ewiger Frieden?

1928 verfasst Schönberg einen Essay unter dem Titel „Fehlt der Welt eine Friedenshymne?“ Darin wird sein eigenes ambivalentes Verhältnis zu einer Möglichkeit des Friedens deutlich, indem er schreibt: „Wenn es vielleicht richtig ist, dass man religiös sein muß, wenn man Kirchenmusik schreibt, verliebt, wenn man Liebeslieder (…) schreiben will, so muß man doch gewiß nicht verwundet sein, um einen Verwundeten und sterbend, um einen Sterbenden zu schildern. Und so wäre es gewiß möglich, eine Friedenshymne zu komponieren, ohne daß man an einen ewigen Frieden glaubt.“

Wir proben das Stück für eine Aufführung, die anlässlich des 80. Jahres nach Kriegsende stattfinden wird. Noch ein weiteres Werk Schönbergs wird an dem Abend zur Aufführung kommen, nämlich „Ein Überlebender aus Warschau“. In diesem Melodram wird die Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto geschildert mit einer Brutalität und Intensität, die einem den Atem stocken lässt. Nach dem Krieg war Schönberg der erste, der sich traute, mit diesem Werk von der Shoah mit musikalischen Mitteln zu erzählen. 

Musizierende Cowboys

Zur Geschichte dieses Werkes gehört eine skurrile Uraufführung. Kurt Frederick, ein Exilant und Musiklehrer aus Albuquerque (New Mexico) war ein großer Verehrer Schönbergs und bat ihn um die Ehre, den „Überlebenden aus Warschau“ uraufzuführen. Da der eigentliche Auftraggeber des Werkes kalte Füße bekam und es nicht zur Aufführung bringen wollte, erlaubte Schönberg Frederick die Uraufführung. Der hatte nicht mehr zur Verfügung als ein Orchester, das aus einem Haufen Cowboys bestand und so übten diese Cowboys in monatelanger Schwerstarbeit dieses viel zu anspruchsvolle Stück und brachten es schließlich in einer Turnhalle zur Aufführung. Als nach dem ersten Musizieren keine Reaktion vom Publikum kam, musizierten sie es erneut. Danach folgte frenetischer Applaus. 

Mich berührt dieses Bild sehr. Ein Haufen Cowboys, die eigentlich völlig überfordert sind mit diesem Notentext und trotzdem alles daransetzen, den schreienden Ungerechtigkeiten der Shoah einen Klang zu geben und am Ende das Schma Jisrael intonieren. Mich begleitet das Bild dieser Uraufführung seit einigen Wochen. Für mich ist es wie ein Sinnbild geworden für das Ringen um Frieden in einer kriegsdurchfurchten Welt. Mit der weißen Taube und dem Zweig im Schnabel kann ich schon länger kaum noch etwas anfangen. Zu oft ist sie verkitscht worden, gerade in letzter Zeit. Die Cowboys aus Albuquerque sind mein Bild vom Frieden in diesen Tagen. Menschen, die völlig überfordert sind und dennoch gemeinsam diese Musik machen, so gut sie eben können. Oft spüre ich Ohnmacht angesichts der politischen Großwetterlage und all dem, was sich da vor unseren Augen im Moment weiter dramatisiert. Nichts kann ich tun, um die politische Weltbühne zu beeinflussen. Aber was ich tun kann, ist jeden Donnerstag um 19.45 Uhr aufs Einrad steigen und Schönberg singen unter größter Anstrengung und Einsatz, wie ein echtes Cowgirl eben. 

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Foto: Christian Lademann

Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.

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