Mauerblümchen unter den Menschenrechten

Um zu sparen, will die neue Bundesregierung offenbar ihre Beauftragten für verschiedene Themenbereiche zumindest zum Teil abschaffen. Die Koalitionsverhandler wären aber schlecht beraten, wenn sie das Amt des Religionsfreiheitsbeauftragten streichen würden, meint unsere Autorin Dorothea Buck. Einsparen ließe sich damit kaum etwas. Verlieren würde man dagegen viel. Und Deutschland würde einen weiteren Schritt in Richtung Provinzialisierung gehen.
Seit acht Jahren gibt es in Deutschland einen Beauftragten für Religionsfreiheit. Ob es dieses Amt auch künftig gibt, ist nicht sicher. Friedrich Merz hatte im Wahlkampf vollmundig angekündigt, bei den bisher 43 Beauftragten kräftig aufzuräumen. Stichwort Staatsverschlankung. Beauftragte gibt es für viele Themen: für die Bundesnachrichtendienste, den Mittelstand, für Luft- und Raumfahrt, Datenschutz, Ostdeutschland, die Bundeswehr… Böswillige Zungen behaupten, dass immer dann ein weiteres Amt geschaffen wurde, wenn wieder mal ein Pöstchen für einen verdienten Parteisoldaten gebraucht wurde.
Wer etwas wohlwollender auf die Dinge schaut, stellt fest, dass eine Regierung mit einem Beauftragten einem Thema mehr Sichtbarkeit und Gewicht geben kann und so verhindert, dass zentrale Anliegen wie die Drogenproblematik, der Tierschutz oder internationale Klimapolitik im Alltag von Innen-, Wirtschafts- oder Außenpolitik untergehen könnten. Der Antisemitismusbeauftragte ist das beste Beispiel dafür.
Treppenwitz der Geschichte
„Auf höchstens fünf“ wolle er die Anzahl der Beauftragten herunterfahren, hatte Merz angekündigt. Jetzt stellt sich die Frage, wen trifft es, wen nicht. Sollte das Thema Religionsfreiheit dem Rotstift zum Opfer fallen, wäre das ein Treppenwitz der Geschichte. Denn eingeführt wurde das Amt des Religionsfreiheitsbeauftragten von der letzten Großen Koalition auf ausdrücklichen Wunsch der CDU. Die wollte seit längerem schon ein deutliches Zeichen gegen die weltweite Christenverfolgung setzen. Die SPD forderte damals im Gegenzug die Zustimmung zum Lieferkettengesetz. Und so wurde Markus Grübel (CDU) 2018 der erste Religionsfreiheitsbeauftragte Deutschlands, ein praktizierender Katholik. Er kümmerte sich wie erwartet schwerpunktmäßig um verfolgte Christen weltweit.
2022 berief die Ampelregierung mit Frank Schwabe einen evangelischen Sozialdemokraten ins Amt. Vermutlich weniger, weil das Interesse an Religionsfreiheit bei SPD, Grünen und FDP so groß wäre, vielmehr sah man keine Notwendigkeit, an den Stellen der Beauftragten zu sparen. Schwabe setzte andere Schwerpunkte. Neben verfolgten Christen nahm er auch andere religiöse Minderheiten in den Blick, wie zum Beispiel. die Jesiden im Irak. Mit seinem Team leistete er Pionierarbeit im Themenbereich Religionsfreiheit und indigene Völker. Und er suchte bewusst den Kontakt zu denjenigen, die nicht glauben. Denn auch sie schützt das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit, wie es vollständig heißt.
Mit der künftigen Regierung könnte die Religionsfreiheit nun wieder aus dem Blick rutschen. Nur weil die CDU das Amt einmal wollte, muss sie es nicht unbedingt weiterführen. Und unter den Koalitionsverhandlern ist kaum jemand mit Kompetenz in religionspolitischen Fragen.
Desinteresse und Missverständnisse
Dabei gibt es gute Argumente für einen Religionsfreiheitsbeauftragten. Dass Deutschland 1973 den UN-Zivilpakt unterschrieben hat, in dem neben anderen Schutz- und Freiheitsrechten auch die Religions- und Weltanschauungsfreiheit aufgeführt wird, ist zwar ein Argument, allerdings ein recht schwaches. Diesen völkerrechtlichen Vertrag haben auch 166 andere Staaten unterschrieben. Nur die wenigsten von ihnen leisten sich einen eigenen Beauftragten. Und dass das Recht auf Religionsfreiheit seit 1949 im Grundgesetz sehr gut verankert ist, ist auch keine triftige Begründung.
Religionsfreiheit hat in Deutschland andere Probleme. Und die heißen Desinteresse und Missverständnisse. Selbst in gebildeten Kreisen tendiert das Wissen um den Kern dieses Menschenrechts gegen Null. Man fühlt sich nicht angesprochen, weil man mit Religion sowieso nicht viel am Hut hat. Oder man verweist auf die Religionsfreiheit, um eigentlich einen religionsfreien öffentlichen Raum zu fordern, ohne Glockengeläut, Kreuze oder Sonntagsruhe.
Kampfinstrument gegen den Islam
Andere wiederum missbrauchen die Religionsfreiheit als Kampfinstrument gegen den Islam, vor dem das vermeintlich christliche Abendland geschützt werden soll. Wer aber den islamischen Gebetsruf vom Minarett verhindern will, muss andere Argumente vorbringen als die Religionsfreiheit. Denn die schützt nicht eine Mehrheitsreligion, sondern den einzelnen Menschen darin, seinen Glauben leben zu können, privat, in Gemeinschaft – und ja, auch öffentlich. Mission und Religionskritik inklusive, solange sie nicht andere Freiheiten verletzen bzw. verleumdend oder verhetzend sind.
In einer zunehmend säkularen Gesellschaft ist die Religionsfreiheit das Mauerblümchen unter den Menschenrechten. Wenn’s drum geht, heißt es gerne: ja, kann man machen, muss man aber nicht. Schließlich gebe es noch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und die deckten doch weite Teile von dem ab, was auch die Religionsfreiheit schützt. Das stimmt, ist aber eine Binse. Zwischen Menschenrechten gibt es immer Überschneidungen. Keines kann für sich allein den vollen Schutz für das entfalten, was es schützen soll. Pressefreiheit kann nicht ohne Meinungsfreiheit, und die wiederum braucht die Versammlungsfreiheit. So ist es auch bei der Religionsfreiheit.
Wer ihre spezifischen Bereiche für vernachlässigbar hält, hat die Welt nicht verstanden. Religionsfreiheit ist nämlich die Grundlage für eine diverse, offene und friedliche Gesellschaft. Sie schützt nicht die Privilegien der Frommen, sondern die Freiheit eines jeden Menschen, zu glauben oder nicht zu glauben, was er oder sie für sich persönlich als sinnstiftend ansieht.
Eingeschränkte Freiheit
Nur in den wenigstens Ländern auf diesem Planeten sind Politik und Religion getrennt. Auch wenn es sich Menschen, für die Religion keine Rolle spielt oder die in ihr allenfalls eine Privatangelegenheit sehen, kaum vorstellen können: Sie sind mit dieser Auffassung eine Minderheit. Milliarden von Menschen auf dieser Welt stehen gerne morgens mit ihrem Gott auf und gehen gerne abends mit ihm wieder schlafen. Für sie ergibt das Sinn, genauso wie ein Atheist Gründe dafür hat, nicht an einen Gott zu glauben.
In sehr vielen Ländern wird aber die Freiheit zu glauben, was man für richtig hält, eingeschränkt und verletzt. Sei’s von Staatsapparaten, die grundsätzlich etwas gegen Religion haben (Beispiel China, Nordkorea, Eritrea), sei‘s im Namen einer Mehrheitsreligion, die über die Religion von Minderheiten gestellt wird (Beispiel Indien, Pakistan, Russland), sei’s durch gesellschaftliche Akteure, die nicht akzeptieren, dass es Menschen gibt, die etwas anderes glauben als sie selbst. Extremisten gibt es in so gut wie allen Religionen.
Wer ernsthaft denkt, auf Religionsfreiheit käme es nicht an, ist sich der eigenen privilegierten Situation nicht wirklich bewusst. Wir leben – Gott, oder wem auch immer, sei Dank! – in einer stabilen Demokratie, in der uns viele Freiheiten garantiert werden, für die wir nie haben kämpfen müssen. Dazu noch Wohlstand und Frieden, die über Jahrzehnte das Leben ausgesprochen angenehm gemacht haben. Da kommt man gut ohne einen Gott aus. Und das darf man auch.
Hilfe für Mubarak Bala
Wer auf diesem Hintergrund am Amt des Religionsfreiheitsbeauftragten sparen will, muss sich den Vorwurf der Provinzialität gefallen lassen. Zumal sich mit der Streichung des Postens nicht wirklich viel einsparen lässt. 2500 Euro bekommt ein Beauftragter zusätzlich im Monat. Die fünf Mitarbeitenden, die derzeit für Frank Schwabe arbeiten, sind auf Stellen im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die es vorher schon gab.
Dafür kann er aber Akzente setzen, die Deutschland international gut zu Gesicht stehen. Es macht auf jeden Fall mehr Eindruck, wenn nicht nur der deutsche Botschafter vor Ort, sondern ein von der Bundesregierung extra dafür Beauftragter nach Baku, Bagdad oder Lagos reist, um nach Menschen zu fragen, die massiv unter der Verletzung ihrer Religionsfreiheit leiden, wie zum Beispiel Mubarak Bala. Der Präsident der Humanistischen Vereinigung Nigerias war 2022 zu 24 Jahren Haft verurteilt worden, weil er bekennender Atheist ist. In Nigeria gilt dies als Blasphemie. Frank Schwabe hat in den letzten Jahren immer wieder bei der Regierung in Lagos interveniert. Im August 2024 kam Bala frei. Wer wird sich künftig im Namen der Bundesrepublik Deutschland solcher Fälle annehmen, wenn es keinen Beauftragten für Religionsfreiheit mehr gibt?
Wo Menschen glauben dürfen, was sie für richtig halten, geht es bunter, freier und friedlicher zu. Im eigenen Interesse sollten sich die wenigen freien Demokratien dieser Welt für dieses universelle Menschenrecht stark machen. Wer soll es denn sonst tun?
Katja Dorothea Buck
Katja Dorothea Buck ist Religionswissenschaftlerin und Politologin und arbeitet seit mehr als 20 Jahren zum Thema Christen im Nahen Osten, Ökumene und Dialog. 2020 wurde sie in die ökumenische Arbeitsgruppe für den gemeinsamen Religionsfreiheitsbericht der Evangelischen und Katholischen Kirche in Deutschland berufen.