Neustart unter weißer Kuppel

Eindrücke aus dem Gottesdienst vor der ersten Sitzung des 21. Deutschen Bundestages
Kurz vor dem Gottesdienst in der neugestalteten St.Hedwigskathedrale
Foto: Stephan Kosch
Kurz vor dem Gottesdienst in der neugestalteten St. Hedwigs-Kathedrale

Zu Beginn einer jeden Legislaturperiode versammeln sich neue und scheidende Mitglieder des Bundestages zu einem ökumenischen Gottesdienst. Vor der ersten Sitzung unter der Reichstagskuppel kamen die Abgeordneten in einem Raum unter einem anderen Gewölbe zusammen, der aus mehreren Gründen sehr passend für diesen Anlass war.

Für einen Neuanfang ist dieser Raum bestens geeignet. In fast unberührtem Weiß strahlt die radikal neugestaltete St. Hedwigs-Kathedrale in Berlins Mitte, die erst vor wenigen Monaten nach jahrelangem Umbau wiedereröffnet wurde. Ein Sakralraum für das 21. Jahrhundert, bis auf wenige Ausnahmen frei von religiöser Kunst aus den vergangenen Epochen und dem manchmal auch schwierigen Erbe der Vergangenheit. Bevor der neu gewählte Bundestag erstmalig im naheliegenden Reichstagsgebäude zusammenkommt, feiern zahlreiche Abgeordnete hier miteinander einen ökumenischen Gottesdienst: Prominente und sogenannte Hinterbänkler, Neulinge und scheidende Parlamentarier, MdBs aus allen Fraktionen. Und auch der Bundespräsident ist gekommen. 

So ein Gottesdienst, zu dem die beiden großen Kirchen immer einladen, wenn ein neuer Bundestag seine Arbeit aufnimmt, ist nicht ungewöhnlich. Doch die Zeiten sind es, zumindest ist die Lage eine ziemlich andere als beim letzten Mal. Statt Fortschrittoptimismus herrscht Unsicherheit. Deutschland ertüchtigt sich für einen Krieg, der hoffentlich nicht kommt und doch zu einer realen Option geworden ist. Die USA verabschieden sich als Verbündete. Im Parlament ist die politische Mitte geschrumpft, die extremen Kräfte, besonders rechts der Mitte, sind stärker geworden. Ebenso die (gefühlte) Spaltung der Gesellschaft. Anne Gidion, die Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland beim Bund, begrüßt die neuen Verantwortungsträger fragend: „Vielleicht haben Sie auch Erwartungen, was der Glaube zu Ihrem Dienst beitragen kann. Antworten auf Fragen wie: Was hält uns zusammen? Was hält diese Gesellschaft zusammen?“ 

„Safe Space“ für Abgeordnete

Und zur Antwort verweist auch sie auf das neu gestaltete Gotteshaus, in dem die Gemeinde kreisförmig um den Altar in der Mitte des Raums sitzt. „Es atmet dabei selbst etwas fast Parlamentarisches, es gibt nicht vorne und hinten, sondern ein Zentrum mit Kuppel, eine konzentrierte Mitte und den Himmel darüber“, sagte Gidion. Sie wünschte den Abgeordneten, dass sie sich getragen fühlen bei ihrer Arbeit. „Von Menschen, die Ihnen das zutrauen. Von Parteien, zu denen Sie gehören. Von Ihren Kompetenzen und noch vielem mehr. Und von Gott.“

Politische Prominenz in der ersten Reihe

Politische Prominenz in der ersten Reihe. Foto: Stephan Kosch

Zudem wünschte Gidion den Abgeordneten „safe spaces“ und meint damit „Orte innerer Gewissheit, dass Sie mehr sind als das, was Sie leisten, mehr als die Klicks und der Applaus, mehr als das Amt und der gefüllte Kalender". Zu diesem Mehr trügen die Kirchen gerne mit ihren seelsorglichen Angeboten bei. Aber auch mit „Stellungnahmen, die Sie manchmal unnötig und manchmal hilfreich finden werden“, sagte Gidion und jeder im Raum wusste, dass sie damit auch auf die kürzlich verfasste kritische Stellungnahme beider Beauftragter der Kirchen zur Migrationspolitik der Union anspielte, die für viele Diskussionen gesorgt hat. 

Vertrauen schaffen

Politisch konkreter wurde sie nicht, das wäre wohl auch nicht der rechte Anlass gewesen. Auch Karl Jüsten, der die katholische Kirche beim Bund vertritt, beließ es in seiner Predigt bei einem zurückhaltenden Aufruf zu einem empathischen Umgang mit denen, die in Deutschland staatliche Unterstützung brauchen, auch, weil sie nach Deutschland geflohen sind: „Welche Betroffenen können etwas dafür, wenn sie in Armut geboren werden, wenn Naturkatastrophen hereinbrechen, wenn das Elternhaus versagt, wenn sie als Kinder im Krieg aufwachsen, wenn Unrechtsregime Vernichtung, Terror, Gewalt, Unfreiheit, Folter, Vertreibung und Verelendung verursachen, wenn die ansteigenden Meere, Dürren und Hunger Menschen zwingen, die Heimat zu verlassen.“ Immerhin, der wahrscheinlich zukünftige Kanzler Friedrich Merz (CDU) in der ersten Stuhlreihe, der im Wahlkampf Stimmen sammelte mit fragwürdigen Statements gegen Menschen, die Bürgergeld bekommen oder in Deutschland Zuflucht suchen, dürfte die Botschaft gehört haben.

Predigttext war übrigens die Verkündigung der Geburt Jesu Christi durch den Engel Gabriel an Maria, die ja am 25. März gefeiert wird. Jüsten sprach vor diesem Hintergrund über Vertrauen, das von Maria zu Gott und dem Vertrauen Gottes in sie. Aber auch dem der Wähler in die Gewählten: „Vertrauen ist heute eine der kostbarsten Währungen in der Demokratie. Wer ein Amt übernimmt, muss von den Bürgerinnen und Bürgern getragen sein.“ Deshalb müssten alle, die ein Mandat innehaben, es so ausfüllen, dass eine Vertrauensbeziehung zwischen Wählerinnen und Wählern wachsen kann. Die Gesellschaft stehe vor großen Herausforderungen. „Bürgerinnen und Bürger erwarten Antworten von Regierung und Parlament“, mahnte Jüsten. Und fügte hinzu: „Diese müssen am Gemeinwohl ausgerichtet sein.“ 

Wohl nicht ganz zufällig endet der Gottesdienst, der vom Kammerchor der St. Hedwigs-Kathedrale beeindruckend schön gestaltet wurde, mit zwei Chorstücken, die Mahnung und Trost gleichzeitig sind. „If ye love me, keep my commandments“, heißt es zunächst in der Vertonung der Verse 15 und16 im 14. Kapitel des Johannes-Evangeliums durch Thomas Tallis (1505-1585). Luther übersetzt diese Stelle mit „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit.“ Und dann, verbunden mit dem Friedensgruß, der durch die Reihen geht, Ola Gjellos zeitgenössisches Stück „Ubi caritas et amor, deus ibi est“, wo (Nächsten-)Liebe ist, ist auch Gott. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 

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