Brücken zum Glauben und Wissen

Die Stadtpfarrkirche in Müncheberg ist ein besonderer Veranstaltungsort
Ein „Schiff im Schiff“ entwarf der Berliner Architekt Klaus Block für den nun vielseitig genutzten Kirchraum.
Foto: Ralf Klöden
Ein „Schiff im Schiff“ entwarf der Berliner Architekt Klaus Block für den nun vielseitig genutzten Kirchraum.

Im dritten Teil unserer Serie zu Themen des diesjährigen Kirchbautages im September in Berlin besucht Andreas Hillger die Stadtpfarrkirche im brandenburgischen Müncheberg als Beispiel gemeinschaftlicher Nutzung.

Der Turm der Stadtpfarrkirche Müncheberg verfügt als weithin sichtbarer Blickfang über ein buchstäbliches Alleinstellungsmerkmal: Als die ursprüngliche Landmarke nach 1817 aus statischen Gründen abgetragen werden musste, entwarf der preußische Baumeister Karl Friedrich Schinkel einen frei aufragenden Ersatz, der nur durch eine geschlossene Galerie in luftiger Höhe mit dem Dach des Hauptgebäudes verbunden wurde. Vielleicht rettete der kleine Abstand von vier Metern die Landmarke, als der gotische Backsteinbau nach Beschuss am 19. April 1945 bis auf die Grundmauern ausbrannte. Danach war der Turm jahrzehntelang ein Menetekel, ein Stachel im Fleische eines schwer zerstörten und mühsam wiederaufgebauten Ackerbürgerstädtchens – bis sich mit den Zeiten auch die Chancen für eine Zukunft der Stadtkirche änderten. Heute verbindet sie sich durch eine zweite Brücke mit dem Altenpflegeheim, das am Fuß des Kirchbergs errichtet worden ist – und das seinen Bewohnern so ebenerdigen Zugang zur guten Stube der Stadt ermöglicht.

Denn als man in den 1990er-Jahren endlich den Wiederaufbau des ruinösen Gotteshauses in Angriff nehmen konnte, bildete sich eine bürgerschaftliche Allianz: Die kahlen Mauern, die auf einem alten Schwarz-Weiß-Foto mit musizierenden DDR-Bausoldaten noch fensterlos und unbedacht aufragen, sollten der gesamten Stadtgesellschaft eine Heimat bieten: „Offen für alle, aber nicht für alles“, wie Pfarrerin Karin Bertheau sagt. So begann – nach einer ersten Beräumung, die von einem Bundeswehr-Offizier initiiert worden war – ein Entscheidungsprozess, der in ein ebenso sehenswertes wie sinnfälliges Ergebnis mündete. Der Berliner Architekt Klaus Block, der auch für die Rückgewinnung der zerstörten Berliner Elisabethkirche sowie für den Neubau von Gemeindezentren in Großziethen und Nauen verantwortlich war, hatte ein „Schiff im Schiff“ entworfen – einen angeschnittenen Rumpf mit hölzerner Verplankung, der sich auf vier Etagen in den hinteren Teil des leeren Raumes schmiegt. Dass der kubische Altar am anderen Ende die Materialästhetik dieser Arche aufnimmt, markiert zugleich das Spektrum der Nutzungsmöglichkeiten: Die Müncheberger Kirche ist eine Stätte des Glaubens und des Wissens, ein religiöser wie politischer Ort.

Hand in Hand

Das wird bereits an der gewählten Betriebsform deutlich: Die Kirchengemeinde St. Marien ist Eigentümerin des Gebäudes, hat ein Vorrecht bei der Nutzung und hält 40 Prozent an den Anteilen der GmbH. Die Stadt ist in gleicher Höhe beteiligt, zahlt Miete für die Bibliothek im Einbau und nutzt den Raum für kommunale Empfänge, Seniorennachmittage und Schülerwettbewerbe – vor allem aber auch für kulturelle Veranstaltungen. Als Dritter im Bunde trägt der Förderverein die verbleibenden 20 Prozent – eine wachsende Herausforderung für den zunehmend alternden Kreis der Aktiven. Dass sich die kirchlichen Mitarbeiter und der städtische Geschäftsführer ein Büro teilen, ist gleichwohl bezeichnend: Hier arbeitet man Hand in Hand – selbst wenn man im Alltag angesichts steigender Kosten oft von der Hand in den Mund lebt. Dirk Maier, der bei der Stadt angestellt ist, schildert die Situation: Die Honorare für Künstler und die Einnahmen aus Ticketverkauf oder Vermietung hielten sich in etwa die Waage, die Betriebskosten aber ließen sich nur durch Zuschüsse bezahlen. Schließlich sei die Versammlungsstätte an jene Auflagen gebunden, von denen der Raum für den Gottesdienst befreit wäre – Entrauchungsanlagen und verkettetes Gestühl, Sanitärräume und Fluchtwege et cetera.

In Müncheberg gesellt sich zu diesen landesüblichen Auflagen noch eine weitere Herausforderung: Der Altar ist unverrückbar, auch das Kruzifix bleibt bei weltlichen Veranstaltungen an seinem Platz. Darauf legt Karin Bertheau, die in ihrem Sprengel noch neun weitere Kirchen betreut, ausdrücklich Wert. Ansonsten freilich gibt es viel Spielraum: Der Veranstaltungskalender für die kommenden Wochen vereint ein Passionskonzert mit Bachs Cellosuiten und einen Abend zwischen Jazz und Weltmusik, Kunstausstellungen und Filmprogramme … und daneben immer wieder Zeugnisübergaben, Vereinsfeiern, Versammlungen. Tabus? Ausgerechnet die Bürgermeisterin von der Linkspartei, die inzwischen vom Kandidaten einer Wählergemeinschaft abgelöst worden ist, hat sich einst gegen Jugendweihen in der Stadtkirche ausgesprochen. Auch rein parteipolitischen Terminen erteilt man eine Absage, darüber hinaus gibt es wenig Berührungsängste.

Dafür sorgt im Umkehrschluss vor allem die Bibliothek, die von zwei festen Mitarbeiterinnen betreut wird: Wegen des Besucherstroms sei man „eigentlich niemals richtig allein“, sagt die Pfarrerin. Und der Geschäftsführer ergänzt, dass man bei Veranstaltungen inzwischen auch Randberliner als Stammgäste begrüßen könne, obwohl die öffentliche Verkehrsanbindung an den Wochenenden schwierig sei. Im Alltag scheint die Erreichbarkeit besser: Junge Familien entdecken laut Maier die Kleinstadt im Speckgürtel als preiswerte Alternative zur Metropole, sind als Publikum aber schwer zu gewinnen. Da würden eher die Kinder als Botschafter fungieren, die hier auch Platz für Projekte wie die „Stadtentdecker“ fänden – Modell-Miniaturen, die im Eingangsbereich ausgestellt sind.

Natürlich, sagt Karin Bertheau mit Blick auf ihre übrigen Immobilien, lasse sich Eifersucht in den umliegenden Dörfern nicht ganz vermeiden. Bei insgesamt rund 90 Gottesdiensten im Jahr habe Müncheberg eine wöchentliche Priorität, im Umland müsse man eine Auswahl treffen. Dann aber zählt sie die vielen Kirchgebäude minutiös auf: Jahnsfelde, wo sie das Nagen der Holzwürmer an den nötigen Einsatz von Schlupfwespen erinnere. Trebnitz, wo künftig auch das im Schloss beheimatete Bildungszentrum Verantwortung übernehmen wolle. Hermersdorf, wo sich ein rühriger Förderverein gerade um den Neubau einer Orgel bemühe. Hop­pegarten, Münchehofe und, und, und … In Müncheberg hat man nach der Wende fast alle kirchlichen Liegenschaften verkauft, um den Anteil an den Baukosten von insgesamt 2,9 Millionen Euro bezahlen zu können. Dass die Summe gut investiert (und nach heutigen Maßstäben keineswegs überzogen) war, sieht man in den Details: Bis hin zu den originellen Scharnieren der Fenster im Versammlungsraum, die als Metall-Manschetten altes Mauerwerk umschließen, hat der 2022 verstorbene Baumeister Block selbstbewusste und respektvolle Akzente gesetzt. Sogar eine kleine Cafeteria lässt sich bei Bedarf aus dem Schiffskorpus ausklappen, der Aufzug zitiert mit den Verbindungsgängen zu den einzelnen Ebenen das Schinkelsche Vorbild im Außenraum – und durch die schlicht verglasten Fenster fällt helles Licht auf das vernarbte Gemäuer. Es ist ein Ort, an dem Vergangenes nicht vergessen wird – und an dem Gegenwart Raum greifen kann.

Warnender Fisch

Rund 12 000 Besucher machen von diesem Angebot pro Jahr Gebrauch, hinzu kommen noch einmal 6 000 Bibliotheks-Nutzer, kein schlechter Schnitt für eine Stadt mit 7 000 Einwohnern. Dennoch muss sich die Stadtkirche im kommunalen Wettbewerb mit Straßenbau und Schulsanierung als „freiwillige Aufgabe“ behaupten – und fällt bei Fördermittel-Anträgen gelegentlich durch die landläufigen Raster, weil das Modell eben kaum vergleichbare Beispiele kennt. Auch eine „Kulturkirche“ will man nach Aussage von Karin Bertheau ausdrücklich nicht sein – sondern eine Kirche, in der Kultur ihren Platz findet. Dass an der Flügeltür des gläsernen Windfangs aber nur auf einer Seite die Fisch-Silhouette als christliches Signet prangt, ist kein Zeichen für getrennte Eingänge – sondern nur ein Warnsignal für unaufmerksame Besucher. Alles in allem also eine Nutzungspartnerschaft par excellence, wie sie auf dem Kirchbautag in Berlin vom 11. bis 13. September 2025 diskutiert werden wird. 

 

Das Projekt der Stadtpfarrkirche im branden­burgischen Müncheberg als Beispiel gemeinschaftlicher Nutzung wird auf dem Kirch­bautag (11. bis 13. September) in Berlin vorgestellt. Das Programm des Evangelischen Kirchbautages im Netz: www.kirchbautag.de

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