Manches geht nicht gleichzeitig

Die Habilitationsschrift von Florian Höhne strukturiert den Begriff Verantwortung
Florian Höhne
Foto: Rolf Zöllner

Der Theologe Florian Höhne, 44, hat über den wichtigen Begriff der Verantwortung gearbeitet. Bisher gab es kaum zusammenfassende Literatur dazu. Diese Lücke hat der Professor für Medienkommunikation, Medienethik und Digitale Theologie in Erlangen nun geschlossen.

Ich stamme aus Berlin (West) und habe mich in den 1990er-Jahren sehr in der evangelischen Jugendarbeit engagiert. Dort haben wir immer wieder theologisch diskutiert, und dort wurde mein Interesse für die Theologie geweckt. 1999 begann ich mein Theologiestudium, zunächst in Neuendettelsau und dann großteils in Erlangen und in den USA an der Duke University in Durham, North Carolina. Zunächst haben mich vor allem die Theologie interessiert – und das Schreiben.

Deshalb machte ich schon während des Studiums erste journalistische Gehversuche, beim Sonntagsblatt in München, beim Evangelischen Pressedienst und etwa bei der taz als Autor. Nach meinem Ersten Theologischen Examen volontierte ich dann ab 2007 bei der Journalistenschule Ruhr in den Redaktionen der WAZ.

2008 kam in schwerer werdenden Zeitungszeiten glücklicherweise das Angebot, an die Uni zurückzukehren – auf eine Promotionsstelle. Das nahm ich an. In den folgenden Jahren schrieb ich, angeregt und betreut durch meinen Doktorvater Heinrich Bedford-Strohm, eine Dissertation über Personalisierung in den Medien und öffentliche Theologie. Sie trägt den Titel „Einer und alle“ und behandelt, inwiefern auch die evangelische Kirche von dem medialen Trend zur Personalisierung betroffen ist.

Nach der Promotion absolvierte ich mein Vikariat in Fürth. Währenddessen formte sich bei mir durch meine Erfahrungen in der Gemeinde die Frage: Wie können wir überhaupt von der Macht Gottes in dieser Welt und in der Geschichte reden – hier, heute und jetzt? Antworten fand ich aber nur von der anderen Seite her, also von der Verantwortung der Menschen und den Grenzen derselben. Überhaupt entdeckte ich: Obwohl Verantwortung ein sehr prominenter Begriff in der evangelischen Theologie ist, wurde noch erstaunlich wenig reflektiert, was das im Kern ist: „Verantwortung“. In evangelischer Theologie und Kirchenrede taucht Verantwortung oft als etwas unzweideutig Gutes auf – gleichzeitig wird in der Sozialphilosophie immer wieder die Ambivalenz von Verantwortungszuschreibungen diskutiert – gerade seit der Agenda 2010, in der dem Einzelnen vom Staat plötzlich sehr viel mehr Eigenverantwortung aufgeladen wurde.

Nach dem Vikariat konnte ich eine theologische Assistentenstelle zunächst in Bamberg und dann an der Humboldt-Universität in Berlin antreten, in deren Rahmen ich meine Habilitationsschrift erarbeitete, die im vergangenen Jahr leicht verändert unter dem Titel Verantwortung in der Evangelischen Ethik: Begriff – Imagination – Soziale Praxis im Verlag De Gruyter erschien. Darin verstehe ich Verantwortung nicht nur als abstrakten Begriff oder als abstraktes Konzept, sondern als konkrete soziale Praxis. Ich wollte nicht primär eine Philosophie oder Ethik der Verantwortung schreiben, sondern diese ganz basal an konkreten Lebens- und Denkvollzügen festmachen, also als soziale Zuschreibungspraxis verstehen. Zwei Beispiele: Wenn der Zahnarzt mahnt: „Putzt Euch regelmäßig und gut die Zähne“, dann schreibt er uns Verantwortung für unsere Zahngesundheit zu. Und wenn Versicherungen bestimmte Leistungen aus dem Versicherungspaket herausnehmen, weil sie sagen, das passt nicht zu Ihrem Lebenswandel, dann schreiben sie den Versicherten die Verantwortung für ihren Lebenswandel zu. So betrachtet ist Verantwortung also ein sehr konkretes, alltagsnahes und hochgradig ambivalentes Phänomen, und es erscheint keinesfalls immer als gut und richtig, Verantwortung zuzuschreiben oder zu übernehmen.

Wichtig ist für den Denkweg meiner Habilitation, den besonderen Charakter von Verantwortung zu betonen und ihn von dem Begriff der Pflicht abzugrenzen. Kurz gesagt: Pflicht hat mit Eindeutigkeit zu tun: Es ist klar, was ich tun soll, konflikthaft ist nur, ob ich mich dazu durchringen kann. Der ethische Verantwortungsbegriff hingegen kommt da auf, wo es um Pflichtenkollisionen oder Uneindeutigkeiten geht. In Anlehnung an ein Beispiel von Albert Schweitzer gesagt: Fischen und dem verletzten Fischadler zu helfen wäre beides meine Pflicht – und beides geht nicht gleichzeitig. Etwa in solchen Situationen ist verantwortliches Entscheiden gefragt, nämlich dann, wenn nicht von vornherein klar ist, was zu tun ist.

Das zeigt: Verantwortung ist auch eine Last, die überfordern kann. Deshalb kommt es darauf an, wie sie in einer Gesellschaft verteilt ist: möglichst gerecht nämlich. Verantwortungszuschreibungen sollten möglichst klar sein und sich an den Möglichkeiten und Grenzen derer orientieren, die sie tragen sollen. Alle Konsumenten gleichermaßen für nachhaltigen Konsum verantwortlich zu machen, passt zu dieser Orientierung nicht, weil nicht alle gleichermaßen über die Zeit und die Mittel verfügen, um nachhaltige Produkte zu identifizieren – und zu bezahlen. Mit einem anderen Beispiel gesagt: eine Bundeskanzlerin trägt mehr politische Verantwortung als ein Ministerpräsident.

Dazu kommt, dass wir beim Zuschreiben von Verantwortung mit Verantwortungslosigkeit und menschlicher Fehlbarkeit rechnen müssen. Und damit gilt es, möglichst menschenfreundlich umzugehen. Zum Beispiel, indem man in Lokomotiven eine so genannte Sicherheitsfahrschaltung oder einen Totmannschalter einbaut, also eine Vorrichtung, die den Zug automatisch abbremst, wenn der Zugführer einschläft.

Schließlich, und das ist für mich als Theologe grundlegend, gibt es auch Vieles, was nicht nur für den oder die jeweils Einzelne schlicht nicht verantwortbar ist, weil es eben das menschliche Maß überschreitet. Theologisch gesprochen: Es gibt Dinge, Mächte und Gewalten, die in der Verantwortung Gottes liegen, und da müssen wir ehrlich sagen: „Es ist nicht unser Job, aus dieser Welt das Reich Gottes zu machen.“ Alle drei Punkte – endliche Verantwortung, menschenfreundlicher Umgang mit Verantwortungslosigkeit und Rede über Horizonte des Unverantwortbaren – zielen darauf, Verantwortung gerecht, realistisch und wirksam zuzurechnen – auch sich selbst.

In meiner Arbeit vertrete ich als in der Tradition von Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer und Jürgen Moltmann stehender Theologe den Ansatz, dass Verantwortung eine diskursiv zu erschließende Antwort auf Gottes Versöhnung – noch nicht Erlösung – ist. Es führt theologisch-ethisch nicht weiter, Verantwortung als ethischen Begriff primär forensisch in Gerichtskategorien von schuldig und unschuldig zu verorten. Vielmehr sehe ich Verantwortung als die handelnde und mitstrukturierende Antwort auf das, was Gott im Glauben an uns und dieser Welt schon getan hat, tut und was Gottes Zukunft für uns bereithält. 

 

Aufgezeichnet von Reinhard Mawick

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Foto: Rolf Zöllner

Florian Höhne

Dr. Florian Höhne ist seit 2023 Professor für Medienkommunikation, Medienethik und Digitale Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. 

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