Maria, Merkel und die anderen

Der Kunstpalast in Düsseldorf widmet sich in seiner aktuellen Ausstellung „Mama – von Maria bis Merkel“ grundverschiedenen Mutterbildern. Dabei gelingt den Kuratorinnen etwas Wunderbares: Sie kommen ohne Urteil aus. Die Journalistin Theresa Demski hat die Ausstellung gesehen.
Es beginnt mit Heintje. „Mama, du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen.“ Es ist ein kluger Schachzug, die Besucher der neuen Ausstellung im Kunstpalast in Düsseldorf mit dieser Melodie zu empfangen. Denn die Ausstellung „Mama – von Maria bis Merkel“ wird Fragen stellen, existenzielle Entscheidungen unter die Lupe nehmen, und sie wird persönlich. Zumindest für die meisten der Besucherinnen. Aber mit der Melodie von Heintje gelingt ein leichtfüßiger Einstieg – verbunden mit einem Augenrollen oder einem Lächeln. Je nach Musikgeschmack. Dazu kommt: Wer sich für den Audioguide entschieden hat, hört in diesem Moment zum ersten Mal „Mutter Beimer“ aus der Lindenstraße über die Kopfhörer. Auch diese originelle Entscheidung der Kuratorinnen, ausgerechnet Marie-Luise Marjan die Geschichten hinter den Werken erzählen zu lassen, wird von vielen Besucherinnen und Besuchern mit einem Lächeln belohnt.
Viele Erwartungen
Mit diesem Gefühl also starten die (überwiegend weiblichen) Gäste nun ihren Weg durch die neue Ausstellung im Kunstpalast. Rund 120 Werke liegen vor ihnen – Jahrhunderte alte Kunstwerke treffen auf Popkultur, Gemälde auf Filmausschnitte, Fotos auf Skulpturen, Alltagsgegenstände auf Lichtinstallationen. Mal sinken die Füße der Besucher im tiefen, weichen Teppich ein. Im nächsten Saal wurde ein glatter, blauer Spiegelboden gelegt. Mal wurden die Wände leuchtend pink gestrichen, dann tief schwarz. Die Botschaft ist eindeutig: „Heute gibt es so viele Mutterbilder wie nie zuvor“, sagt Kuratorin Linda Conze. Und die Ausstellung will ein Panorama dieser Mutterbilder spannen. Es scheint fast wie ein unmögliches Vorhaben: Wer dem gesellschaftlichen Diskurs oder auch den Gesprächen von Frauen zuhört, der begegnet so vielen verschiedenen Erwartungen, Wünschen und Lebenseinstellungen, Urteilen, Verletzungen und Fragen, dass sie unmöglich alle in eine Ausstellung passen können. Eigentlich ist das Scheitern vorprogrammiert. Irgendjemand dürfte sich immer verletzt fühlen. Aber den Kuratorinnen Linda Conze, Westrey Page und Anna Christina Schütz gelingt etwas Unerwartetes: Ihre Ausstellung kommt ohne Urteile aus – weil sie dem Besucher und vor allen den Besucherinnen keine Facette erspart. Weil sie niemanden ausschließt. Weil sie einen ungeheuren Tiefgang ermöglicht, ohne auf Heiterkeit zu verzichten.
Während Heintje also noch mehr oder weniger leise nachklingt, sehen sich die Besucher im ersten Saal der Mutter Maria gegenüber. 13 Skulpturen, die aus Kirchen und Klöstern nördlich der Alpen stammen, fordern dazu auf, dem „Urbild der Mutterschaft“ ins Gesicht zu schauen. Wer sich Zeit nimmt, entdeckt die königlich gekrönte Marienfigur mit dem Heiland auf dem Arm genauso wie die entspannte Mutter, die mit wehenden Kleidern ihr Kind spazieren trägt. Mutterschaft hat verschiedene Gesichter – sogar in ihrem Ursprung. Wer sich jetzt umdreht, entdeckt auf der anderen Seite Bilder von Angela Merkel: „Mutti“. Spötter hatten die damalige Kanzlerin in die Schranken typisch weiblicher Rollenzuschreibungen weisen wollen, erinnert der Audioguide. Und die Kuratorinnen fassen zusammen: „Mutterschaft ist ein Maßstab, an dem die Leistung einer Frau gemessen wird – selbst, wenn sie keine biologische Mutter ist.“ Schon lauert zwischen dem Kupferstich „Der glückliche Haushalt“ von Jean-Baptiste Greuze aus dem 18. Jahrhundert und dem Ölgemälde „In der Hängematte“ von Hans Thomas aus dem Jahr 1876, zwischen Abbildungen großer Verbundenheit und tiefer Liebe die Frage an die Betrachterin: Was macht denn nun die gute Mutter aus? Und ist die Frau auch ohne Mutterschaft denkbar?
Zwiespältige Antworten
Wie viele verschiedene Antworten es auf diese Frage gibt, zeigt die Ausstellung in zehn Räumen eindrucksvoll. Schon die raumhohe Bücherwand mit Titeln aus fast 200 Jahren Ratgeber-Geschichte offenbart: Jede Zeit hatte ihre eigenen Antworten gefunden. Und jede Frau erst recht. Wie oft diese Antworten mit Zwiespälten und neuen Fragen verbunden sind, klingt in den Ausstellungssälen deutlich mit. So zeigen etwa die Bilder von Paula Modersohn-Becker die warmen Szenen der Fürsorge, die ruhigen Momente des Stillens genauso wie Kinderhände, die eine kleine Flasche halten. Ein Blick in die Geschichte der Malerin erzählt von der Not, sich zwischen der Kunst und ihrer Familie zerrissen zu fühlen, der Trennung von Mann und Stiefkind, der Rückkehr und schließlich der Entscheidung für ein eigenes Kind. Paula Modersohn-Becker starb mit 31 Jahren – nur wenige Tage nach der Geburt.
Nur wenige Schritte weiter zeigt die Skulptur „End of Me“ von Camille Henrot eine Frau, die sich in eine Milchpumpe auflöst. Eines der ersten Exemplare einer solchen Pumpe, die das Absaugen von Milch überhaupt möglich machte, ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. „Weil es uns wichtig war, nicht nur Kunst über Mutterschaft sprechen zu lassen, sondern auch Alltagsgegenstände, die Mütter berühren“, sagt Linda Conze. Ein Tripp-Trapp-Kinderhochstuhl, der heute an den meisten Esstischen deutscher Familien stehen dürfte, ist zu sehen. Genauso ein Mutterpass oder ein Gebärstuhl aus dem 19. Jahrhundert.
Nur einmal wird es abstrakt: Künstlerin Marta Jovanovic hat in ihrer Installation 170 vergoldete, geköpfte Eierschalen unter die schwarze Decke gehängt und eindrucksvoll angestrahlt. Die Installation nimmt Bezug auf eine Performance im Jahr 2016, als die bis dato kinderlose Künstlerin in einer Galerie 246 Eierschalen mit einem Hammer zerschlug – für die 246 fruchtbaren Zyklen ihres bisherigen Lebens. „Jedes Ei ist eine verpasste Chance auf Mutterschaft im Namen der Kunst“, erklärte die Künstlerin damals. Verpasste Möglichkeit? Bewusste Entscheidung? Die Antworten lassen Künstlerin und Kunstwerk offen. Die Ausstellung ist an dieser Stelle aber noch nicht fertig mit dem Thema: Ungewollte Kinderlosigkeit bekommt ihren Raum – mit einer berührenden autobiografischen Fotoreihe von Elina Brotherus. Die Diskussion um Abtreibungen hat genauso ihren Raum wie ein Blick auf politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen für Mutterschaft.
Nötige Grenzen
Während inzwischen wieder gelegentlich die Stimme von Heintje durch die Museumssäle klingt – der Kreis schließt sich –, scheinen die Werke im Kunstpalast Düsseldorf dem Betrachter ein Stück näher zu rücken. Sie fragen nach Nähe zwischen Müttern und Kindern und nach den nötigen Grenzen dieser Nähe. Sie gehen noch weiter: Das Video „Sugar and Salt“, das die Künstlerin Lerato Shadi mit ihrer Mutter zeigt, erzählt nicht nur über die Ambivalenz von Intimität, sondern auch von der Weitergabe von Traumata. Es bleibt eine Andeutung, weil nur die Gesten zu erkennen, die Worte der Frauen aber nicht zu verstehen sind. Und doch spricht die Wahl dieses Werks Bände: Die Ausstellung klammert die schweren Fragen nicht aus. Der Besucher und die Besucherin entscheiden selbst, wie weit sie gehen. Deswegen bleibt dann auch nicht jeder in dem kleinen schwarzen Raum stehen, der sich dem Verlust widmet: „Mutterseelenallein“ haben die Kuratorinnen diesen Teil ihrer Ausstellung genannt. Eine Holzskulptur aus dem 16. Jahrhundert zeigt Maria, die ihren toten Sohn in den Armen hält. Eine Bronze-Figur von Käthe Kollwitz aus dem Jahr 1938 zeigt eine Mutter, die ihren toten Sohn hält – 20 Jahre zuvor hatte die Künstlerin ihren eigenen Sohn im Ersten Weltkrieg verloren.
So wenig wie für die Künstler, so wenig bleibt die Ausstellung auch für die Betrachter unpersönlich. So gehört ihnen auch der letzte Raum der bewegenden Ausstellung. Für wen empfinden Sie mütterliche Gefühle? Was ist die lustigste Erinnerung an Ihre Mutter? Was sehen Sie vor Ihrem inneren Auge bei dem Wort „Mama“? Schon vor der Ausstellung konnten Frauen und Männer mit Audionachrichten auf diese Fragen antworten. Auch während die Ausstellung läuft, können Interessierte online noch Antworten einschicken. Sie haben dank gemütlicher Bänke, Kissen und Lautsprechern das letzte Wort – während von nebenan leise Heintje herüberklingt. „Mama“.
Information
Die Ausstellung „Mama – von Maria bis Merkel“ ist bis zum 3. August 2025 im Kunstpalast in Düsseldorf zu sehen.
Theresa Demski
Theresa Demski ist Journalistin. Sie lebt in Wermelskirchen.