Schrei nach Liebe

Wie die EKD die gesellschaftliche Spaltung überwinden will
Foto: Rolf Zöllner

Wer AfD wählt, ist auch ein Mensch und sehnt sich eigentlich nach Zuwendung. Und Christenmenschen sollten darauf empathisch reagieren. Wer Lust an der Polemik hat und dem Streit, den sie provoziert, könnte so den Inhalt des Textes zu­sammenfassen, den der Rat der EKD kürzlich ver­öffentlichte. Aber der will nun ein Zeichen setzen gerade gegen den Stellungskrieg der einfachen Parolen und ständig sich erneuernden Ressentiments.

Denn der Befund ist klar: 80 Prozent der Menschen in Deutschland nehmen eine Spaltung der Gesellschaft wahr. Das ist das Ergebnis einer Studie, die midi, die „Zukunftswerkstatt von Diakonie und evangelischer Kirche“, im Februar vorlegte. Jeder dritte Befragte habe bereits erlebt, dass Diskussionen über polari­sierende Themen unsachlich oder respektlos verlaufen, ein Drittel der Befragten hat schon einmal den Kontakt zu Menschen wegen kontroverser Themen eingeschränkt oder abgebrochen.

Für eine Kirche, die einerseits sehr klare ethische Positionen mit Blick auf die Reizthemen Migration und gesellschaftliche Diversität vertritt, anderseits aber allen das Evangelium in Wort und Tat verkünden will, eine schwie­rige Lage. Rückzug in die moralischen Echo­kammern von Gleichgesinnten ist keine Option, zumal auch Kirchen­mitglieder AfD wählen. Stattdessen soll etwa die Kampagne #Verständigungsorte kirch­lichen Raum zum Austausch von Mensch zu Mensch bieten.

Der EKD-Rat hat nun ein Style-Book für diese Begegnungen formuliert. Statt „Populismus und Polarisierung“ sollen „die abwägende Vernunft als göttliche Gabe“ und der „mitfühlende Blick auf unsere Mitmenschen“ die Haltung prägen. Eine klare Ansage eben nicht nur gegen politische Populisten, sondern auch ein Hinweis in die eigenen Reihen auf das, was schon mal als „pausbäckiger Moralismus“ bezeichnet wird. Dieser verschanzt sich gerne hinter moralischen Brandmauern und lehnt die offene Auseinandersetzung mit den blau-braunen Schmuddel­kindern auf kirchlichen Bühnen ab, um sie nicht aufzuwerten.

Haltung zeigt der Rat der EKD auch und verweist auf den politischen Trick des Populismus, stets zwischen „Wir“ und „Die“ zu unterschieden, Letztere zu diskriminieren und viel zu einfache Lösungen für komplexe Probleme anzu­bieten. Dagegen gelte es für Christen­menschen, sich zu positionieren und im Zweifel das Gespräch abzu­brechen, wenn die andere Seite nicht offen für Empathie oder Argu­mente der Vernunft ist. Aber das alles mit dem „Mut zur Infrage­stellung der eigenen Überzeugung“. Und es gelte, allen Mitmenschen „mit gleicher Sorge zu be­gegnen und ihr Bedürfnis nach Zuwendung zu achten“.

Vielleicht kann Kirche mit diesem neuen Sound in diesen Zeiten der Spaltung tatsächlich Räume für Verständnis und sogar Versöhnung schaffen. Aber es bleiben Fragen: Warum benennt dieses Papier nicht AfD und BSW als die politischen Vertreter des Populismus, gegen die es Haltung zu zeigen gilt?  Wo bleibt die ausdrückliche Rücken­stärkung für die, die etwa mit Kirchenasylen oder Demonstrationen in rechten Hoch­burgen sehr deutliche Zeichen setzen? Warum wird eigentlich nicht mit Sternchen oder Doppelpunkt ge­gendert? Mag sein, dass das alles provozieren und der Intention des Papieres entgegen­wirken würde. Wer stets Boxhandschuhe trägt, kann schlecht die Hand reichen. Aber: Samthand­schuhe sind auch keine Dauer­lösung. 

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 

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