Für Männer ein safe space

Die Neurechten sprechen nicht offen gegen Frauen und ihre Forderungen, diese sind zu berechtigt und akzeptiert. Es widerspräche auch ihrer patriarchalen Ehre zu sehr. Der Fremde eignet sich hier besser als Gegner, um sich wieder in die alten Rechte einzusetzen und den Ruf als Modernisierungsverlierer abzuschütteln. Über den Zusammenhang eines alten Bildes von Männlichkeit mit dem neuen Nationalismus klärt der Schriftsteller Ralf Bönt auf.
Der neue Nationalismus überrascht durch den Zeitpunkt, den er sich für seinen Auftritt gewählt hat, denn am Beginn des 21. Jahrhunderts hätte wohl kaum jemand damit gerechnet, dass der Ruf nach Grenzen mit einer solchen Wucht zurückkehrt. Aber er überrascht auch damit, dass er als globales Phänomen daherkommt, fast so, als wolle er sich als Fanatismus des Lokalen selbst widersprechen. Ihn als Teil eines Abwehrreflexes gegen die Zumutungen der Zukunft abzutun, liegt nahe. Man könnte versucht sein, mit der Bemerkung abzuwinken, dass er wie eine Welle am Strand gleich in sich zusammenfallen wird. Denn die Zukunft kommt nicht nur sowieso, sie besteht spätestens seit Kopernikus und Kepler aus Entgrenzungen praktischer wie intellektueller Natur, die kaum rückgängig gemacht werden können. Nationalisten stellen ja auch weder die individuelle Mobilität noch die globale Innovationskraft von Wissenschaften und Industrie in Frage. Sie wollen und werden Urlaub in Übersee machen und ausländische Aktien kaufen. Sie werden als erste die Gentechnik nutzen, wenn sie damit Erbkrankheiten und Krebs bekämpfen oder sich gegen ein neues Virus impfen lassen können. Und die Informationstechnologie ist geradezu die Heimat der Neurechten, die Netzwerke und Medien, die ja gerade Raum und Zeit überwinden. Rechte mögen generell Fortschritt und Expansion, sie arbeiten international zusammen. Ist der neue Nationalismus also vielleicht nur eine Pose, eine Provokation auf dem Markt der Aufmerksamkeiten, das eigentliche Projekt aber ein anderes?
Innerer Antrieb
Auf der Suche nach dem inneren Antrieb der Nationalisten fiel früh auf, dass es unter ihnen einen erheblichen gender gap gibt: Es ist mehrheitlich eine Männerbewegung. Wo sie Wahlen gewonnen haben, war der gap entscheidend. Artikuliert hat sich die Bewegung in Gegnerschaft zu den großen Emanzipationsbewegungen der beiden vergangenen Jahrzehnte, die sich vom schieren Feminismus zuletzt wegbewegten und als woke Linke, Antikolonialismus und für sexuelle Freiheiten streitende Queers auftraten. Diese waren ihrerseits unausgesprochen oder explizit gegen alles, was patriarchal wirkte und pauschal als männlich galt und ungefragt auch als männliches Interesse. Sie richteten sich gegen eine Ordnung, die für Frauen und Minderheiten in den modernen Gesellschaften nur noch Unfreiheit bedeutete und viel zu langsam abgebaut wurde. Noch in den 1970er-Jahren waren deutsche Ehefrauen vor den Bürgerrechten Menschen zweiter Klasse, im Schweizer Kanton Innerrhoden hatten sie beim Fall der Mauer noch kein Wahlrecht. Ganz zu schweigen von weniger leicht belegbaren Nachteilen weiblicher Stimmen in privaten oder politischen Diskussionen oder den üblichen Verfahren am Arbeitsmarkt, die zum Teil noch heute bestehen.
Nun gab es gegen den Feminismus schon immer Gegenreden, zum Beispiel theoretischer Natur von E. Belfort Bax oder als Einmischungen wie das berühmte und wirkungslose Buch über den Mythos Männermacht des Feministen Warren Farrell. In Deutschland versandete in den Siebzigern der Versuch einer kooperativen Männerbewegung um Volker Elis Pilgrim. Man erlag damals der Idee einer Verweiblichung mit dem Typus des Softies, der in weitgeschnittener Kleidung seine Muskeln verbarg. Das fand niemand lange gut. Zur gleichen Zeit scheiterten die spitzen antifeministischen Analysen von Esther Vilar an den aggressiven Wortmeldungen von Alice Schwarzer. Aber auch danach lasen nur wenige die Bücher des Soziologen Walter Hollstein, des Psychoanalytikers Matthias Franz, der Schriftstellerin Katharina Rutschky oder des Gendertheoretikers Lothar Böhnisch, die allesamt das Gespräch auf eine generellere, um nicht zu sagen universalistischere Basis hätten stellen können. So wurde der Diskurs immer benommener und polarisierte immer weiter. Eine Seite fand nun alles andere gut und idealisierte das Fremde schlechthin und brachte die andere damit unter Druck. Bis diese jetzt den Funken der Wut fingen. Es sind Männer und ihre Tradwifes, die nicht mehr nur nicht mitmachten, sondern sich offen gegen das wandten, was plötzlich Mainstream genannt wird, obwohl ihre Protagonisten sich noch immer als Unterdrückte artikulieren. Allerdings sprechen die Neurechten nicht offen gegen Frauen und ihre Forderungen, die sind zu berechtigt und akzeptiert, und es widerspräche auch ihrer patriarchalen Ehre zu sehr. Der Fremde eignet sich hier besser als Gegner, um sich wieder in die alten Rechte einzusetzen und den Ruf als Modernisierungsverlierer abzuschütteln.
Kopierte Technik
Freilich leugnet das nur die Moderne. Dabei kopieren sie die Technik der Feministinnen und ihrer Freunde in gewisser Weise. Denn fragt man freudianisch-dialektisch geschult nach dem Lustgewinn, der im Ziehen neuer Grenzen gesehen wird, dann kann man spekulieren, dass der nun frisch eingezäunte Raum zu einem geschützten wird. Ein geschützter Raum für Männer oder Männlichkeit – wie bitte? Aber die Idee trägt überraschend weit. Man muss dazu nicht die ganze Theorie der Körperpanzer von Klaus Theweleit rekapitulieren oder an den so gängigen Vergleich Paul Virilios erinnern, der im Auto einen Gebärmutterersatz sah, welcher es dem Manne endlich ermöglichte, voller Stolz echtes Leben durch die Gegend zu schaukeln. Esther Vilar sah im Mann am Steuer sogar statt einem Machtausübenden den Chauffeur seiner Herrin.
Im Ernst, zu den überraschendsten Bemerkungen der Weltliteratur gehört eine Feststellung Elias Canettis in seinem Hauptwerk Masse und Macht. Im Kapitel über die Eingeweide der Macht, Unterpunkt zur Psychologie des Essens, schrieb Canetti unwiderstehlich von der körperlichen Einheit der stillenden Mutter mit dem Kind, vom Wachstumsprozess seit der Geburt, der sie in den Genuss von Hoheitsrechten bringe, die ein Herrscher nur durch künstliche Rangerhöhung erlangen könne. Diese Künstlichkeit hat es in sich. Mutter und unmündiges Kind erscheinen als Urform der Korporation, die so eminent zur Gesellschaft beiträgt, dass diese der Mutter zu ewigem Dank verpflichtet ist. Es gebe, so Canetti, keine intensivere Form von Macht, und wenn man – wie ich – an der Stelle den Begriff der Liebe dem der Macht vorzieht, dann entschärft dies keineswegs das Polarisierungspotential gegenüber dem Mann. Im Gegenteil.
Ödipaler Trieb
Korporation muss dabei ganz wörtlich genommen werden: Mutter und Kind bilden einen Kollektivkörper. Eine umfassende Theorie der Kollektivkörper muss noch geschrieben werden. An Hinweisen mangelt es jedoch keineswegs. Gehen Männer heute klassisch in Korporationen auf, Fußballmannschaften, Firmen, politischen Parteien und natürlich der Familie, um Akzeptanz zu bekommen, so hat keine davon das Format des gemeinsamen Körpers von Frau und Kind. Im jahrelangen Trennungsprozess kann er gar als Triumph über den Tod angesehen werden, ohne den Verdacht von Kitsch oder zu großem Pathos zu wecken. Der Mann glaubte immer, hier nur Zuschauer zu sein. Unsere Kulturgeschichte ist deshalb seit je von immanenteren Kollektivkörpern geprägt, die zwar auch einen wesentlich höheren Machtgewinn versprechen, aber imaginär bleiben.
Am bekanntesten ist wohl die Bruderschaft, die nach Freuds Totem und Tabu in ödipalem Trieb den Urvater mordete und damit einen gemeinsamen Schuldkomplex schuf. Er hielt sie fortan zusammen, und im nachträglichen Gehorsam schuf er sexuelle Verbote und andere Verzichtsrituale. Ebenso geläufig ist der Zweite Körper des Königs, dessen Geschichte Ernst H. Kantorowicz in zahllosen Varianten nachzeichnete. Dieser zweite Körper ist, grob gesprochen, die Funktion des Königs als solchem, das Gesetz, dass der leibliche Körper unvermindert repräsentiert, und zwar auch ohne leibliche Anwesenheit im Gericht. Dieser zweite Körper hat mitunter die Eigenschaft, die Untertanen des Königs als seine Teile und Gliedmaßen zu verstehen, sie bilden die Organe und Extremitäten dieses mächtigen Körpers und können bei Ausfall nachwachsen. Die höchste und wichtigste Eigenschaft des Gesetzes ist seine Unsterblichkeit, womit wieder das Stichwort allen Strebens gegeben ist.
Der Gewinn des Einzelnen beim Eintritt in einen solchen Körper ist an sich offensichtlich, er wird damit ja selbst königlich und Teil einer Unsterblichkeit. Bliebe da nur nicht die Angst, dies alles sei bloß Fiktion und widerrufbar. Ein zentrales Ritual dieser vielfältig miteinander verwandten Denkfiguren ist das Abendmahl, in dem ein ursprünglich maskuliner Schuldkult gefeiert wurde mit dem Ziel, sich gegenseitig der ausreichenden Bedeutung zu versichern. Und es war übrigens kein Geringerer als Johannes Kepler, der die Konkordienformel nicht unterzeichnete. Sie besagte, dass im Abendmahl Christi Leib nicht symbolisch, sondern tatsächlich verspeist wurde. Kepler wurde deswegen nicht nur die inständig erhoffte Professur in der Heimat versagt, er wurde auch vom Abendmahl ausgeschlossen, was ihn hart traf. Es handelte sich aber um nicht weniger als einen, wenn nicht den Gründungsakt der Moderne.
Sexuelle Regeln
Gerade die sexuellen Regeln und Gesetze, wie sie in den Religionen geschaffen wurden, sind in den vergangenen Jahrzehnten radikal umgebaut worden. Homosexuelle Ehen konnten erst geschlossen werden, dann zog das Adoptionsrecht nach, und schließlich sollte eine lesbische Ehefrau dieselben Rechte am und für das in die Ehe geborene Kind erhalten wie ein männlicher Ehepartner. Erst kürzlich und nur vage wurden die Interessen leiblicher, unverheirateter Väter gestärkt, von einem schwulen Ehepartner ist gar nicht zu reden. Faktisch gibt es diese Rechte fast nicht. Das Scheinvaterschaftsgesetz ist sogar seit langer Zeit verfassungsfeindlich. Weder im Feminismus einer Simone de Beauvoir oder Alice Schwarzer noch bei seinen akademisierten Erben in den gender theories oder anderen, flache Hierarchien propagierenden politischen Interessengruppen wurden diese Probleme je auch nur erwähnt. Fast so, als ob das dann als kulturelle Aneignung gelten müsste. Aber auch Männer sind bis heute nicht in wahrnehmbare Artikulation eingetreten, wenn man von den Facebookgruppen absieht, die Selbstmorde unter so genannten entsorgten Vätern dokumentieren. Lothar Böhnisch hat darauf hingewiesen, dass es jetzt an der Ankunft des Mannes in der inneren Familie mangelt, so die Formulierung des sehr lesenswerten Soziologen.
Gefühlter Platzmangel
In ihrem Buch Die Fesseln der Liebe: Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht streifte Jessica Benjamin die Probleme um gefühlten Platzmangel und Männlichkeit schon vor über dreißig Jahren, und tatsächlich ist bis heute die Außenwelt Heimat des Mannes und gleichzeitig sein erster Unsicherheitsfaktor. Vielleicht ist dies schon die Folge der genitalen Asymmetrie zwischen Frau und Mann, da sich all die vitalen, berührenden und kritischen Prozesse um Sex und Fortpflanzung in dem einen und außerhalb des anderen Körpers abspielen. Zum Teil ist dies zwar nur scheinbar der Fall, denn Emotionen sind nicht lokalisierbar, zum größten Teil aber tatsächlich. Es wäre fahrlässig zu glauben, dass dieser Umstand keinen Einfluss auf die Psychologien der Geschlechter habe und es reiner Zufall ist, dass der Mann noch immer meist das Auto fährt und den Rasen mäht, während die Frau kocht und staubsaugt. Ganz schlecht ist nur, dass Männer sich kaum mit den Veränderungen beschäftigen, die eine moderne Gesellschaft für das Paar unweigerlich und irreversibel bedeuten. Denn sich im Außenraum als Bro Culture gegen vermeintliche Eindringlinge zusammenzuschließen, um einen sauberen Kollektivkörper namens Volk zu organisieren, ist noch immer schiefgegangen. Die Evolution begünstigt diese Idee nämlich gar nicht. Aber sie ist ja auch nur der Vorwand in dem Schauspiel, das uns vorgaukeln soll, die alte Ordnung mit senkrechten, zentralistischen Autoritäten wäre wieder oder weiterhin in Kraft.
Besser wäre, die Männer würden sich hinstellen und sagen, dass sie sich in der zentralen männlichen Eigenschaft als Väter angegriffen fühlen. Das würde man vielleicht verstehen. Aber das gestehen sie sich nicht ein. Sie müssten dann ja auch sagen, wie sie das in Zukunft haben wollen.