Passionswunder

Buxtehudes größtes Werk

Was barocke Passionsmusik angeht, so überstrahlen Bachs Passionen alles. Die kurze, dramatischere Johannespassion (zwei Stunden) und die lange, lyrischere Matthäuspassion (drei Stunden). Doch diese freudvolle Austerität Bachscher Passionsklänge darf den Blick auf kostbare Alternativen der vorbachschen Epoche nicht verstellen, die überreich vorhanden sind. An prominenter Stelle ist da der Motettenzyklus „Membra Jesu nostri“ von Dietrich Buxtehude zu nennen, jenem Großmeister in den Jahren vor 1 700, zu dem der junge Bach einst nach Lübeck pilgerte, dessen Nachfolge er dann aber aufgrund der Bedingung (Heirat der Tochter Buxtehudes) ausschlug. Und seit Ton Koopman vor fast 40 Jahren beim Label ERATO die erste Aufnahme vorlegte, haben sich zahlreiche Barockgrößen an dem Stück versucht, so hat es quasi subkutan die kirchenmusikalische Passionszeit erobert.

Die neuste Aufnahme der „Membra“ stammt vom französischen Ensemble Correspondance mit seinem Leiter Sébastien Dauncé. Die Künstler haben nach Angabe auf dem CD-Cover „Paris und die Ufer des Ärmelkanals“ verlassen und sich „an die Ostsee zwischen Lübeck und Stockholm“ begeben, „um die lutherische Musik vor Bach zu erkunden“. Und was soll man sagen? Ihr Vorhaben ist trefflich gelungen, denn die Franzosen haben eine mustergültige Einspielung des siebenteiligen Buxtehude-Zyklus vorgelegt, der sich textlich auf den Kern des christlichen Passionsglaubens konzentriert: die Betrachtung des Kreuzes Christi. Als Textgrundlage dient eine lateinische Dichtung des belgischen Zisterziensermönchs Arnulf von Löwen (um 1200–1250), die in aufsteigender Reihenfolge den Körperpartien des Gekreuzigten gewidmet ist – Füße, Knie, Seite, Brust, Herz, Gesicht – und die in der siebten Kantate im Vers „Salve caput cruentatum“ mündet. Eine Vorlage, die Paul Gerhardt für sein berühmtes Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“ gedient hat, der Passionschoral schlechthin, von Bach dann zentral in seiner Matthäuspassion verwendet. So schließt sich ein Kreis …

Wer dieses Werk noch nie genossen hat, dem sei der Erwerb dieser CDs dringend empfohlen. Und auch auf die Gefahr hin, dass dieses Wort hier schon öfter gefallen ist: Buxtehudes „Membra“ hat einen hohen (positiven) Suchtfaktor. Sie ist durch die erlesene Mischung von dissonanzreichen Kantilenen der Solistenquintetts – ob einzeln, zu zweien oder im Tutti – und den herb beglückenden Klängen des Streicher­ensembles mit zwei Violinen und einen bis zu vierstimmigen Gambenensemble einmalig. Und dass diese „Membra“ zusammen mit einer weiteren CD voller erlesener Kostbarkeiten (unter anderem dem Minioratorium „Die sieben Worte“ von Heinrich Schütz) zu einem äußerst günstigen Preis angeboten wird, sollte es erleichtern, die Scheiben zum persönlichen Passionsobjekt 2025 zu deklarieren.

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