Fragwürdiger Fortschrittsoptimismus

Die Ampelkoalition hatte eine Revision des Abtreibungsparagrafen 218 geplant. Zu einer Umsetzung kam es zwar nicht, aber der Rat der EKD hat zwei Stellungnahmen zum geplanten Gesetzentwurf vorgelegt. Auf zeitzeichen.net beleuchten wir diese Haltung der EKD von zwei verschiedenen Positionen. Zunächst heute einem Beitrag des Zürcher Ethikers Johannes Fischer, und übermorgen, am Mittwoch mit einem Beitrag von drei Theologinnen der Universität Hildesheim.
Zu den Projekten, die die Ampelkoalition in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr hat realisieren können, gehört die Revision des § 218 StGB. Nach dem Zerbrechen der Koalition im November 2024 gab es zuletzt noch eine parteiübergreifende parlamentarische Initiative, um dieses Ziel zu erreichen, die aber nicht mehr zur Abstimmung kam.
Der Rat der EKD hat diese Gesetzesinitiativen mit zwei Stellungnahmen unterstützt. In der Stellungnahme vom 11. Oktober 2023 zur Initiative der Ampelkoalition begrüßt er deren Ziel, die reproduktive Selbstbestimmung der Frau zu stärken und auf den Schwangerschaftsabbruch auszudehnen. Er spricht sich für eine „abgestufte Fristenkonzeption“ aus, bei der „dem Recht des Ungeborenen auf Leben in der Abwägung mit dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren mit fortschreitender Schwangerschaft zunehmendes Gewicht einzuräumen ist“, was für den Anfang der Schwangerschaft bedeutet, dass hier das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren Vorrang vor dem Lebensrecht des Ungeborenen hat. Diese Stellungnahme stieß bei der EKD-Synode im November 2023 auf heftige Kritik. Vermisst wurde eine theologische Begründung. Es wurde daraufhin eine Arbeitsgruppe eingesetzt mit dem Auftrag, ein theologisch fundiertes Urteil in dieser Frage zu erarbeiten.
Die zweite Stellungnahme des Rates wurde am 18. Dezember 2024 zeitgleich mit dem Text dieser Arbeitsgruppe veröffentlicht, der zugleich als Grundlage der Stellungnahme diente. Anlass und Ziel war die Unterstützung der parteiübergreifenden parlamentarischen Gesetzesinitiative zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Dieser Text enthält eine stillschweigende Korrektur der ersten Stellungnahme, taucht doch darin die Stärkung der reproduktiven Selbstbestimmung der Frau als Ziel der Neuregelung nicht mehr auf. Die Arbeitsgruppe hatte in ihrem Text ausdrücklich verneint, dass „sich die Verpflichtung gegenüber dem Ungeborenen einfach über den Gedanken der Selbstbestimmung der Frau auflösen“ lässt. Zurückgewiesen wird auch der Naturalismus der abgestuften Fristenkonzeption, der unterschiedlichen biologischen Entwicklungsstadien von Embryonen und Feten unterschiedliche Quanten an Lebensrecht zuordnet.
Nach außen gerichtet
Gleichwohl haben auch diese beiden Texte Kritik auf sich gezogen. Aufgrund ihrer politischen Veranlassung geht es in ihnen nicht um eine innerkirchliche Klärung der Problematik des Schwangerschaftsabbruchs, sondern um die öffentliche Positionierung der EKD in der Debatte um die gesetzliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs und um den Anspruch, einen eigenen Beitrag „aus Sicht der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)“ zu dieser Debatte zu leisten. Die Texte sind daher nicht nach innen an die Mitglieder der Kirche gerichtet, sondern nach außen an die gesellschaftliche und politische Öffentlichkeit.
Das schlägt sich darin nieder, dass der Schwangerschaftskonflikt als eine Dilemmasituation konstruiert wird, für die der christliche Glaube keine Rolle spielt und die daher für Christen und Nicht-Christen dieselbe ist, nämlich als Konflikt zwischen einem unterstellten Anspruch des Ungeborenen, geboren zu werden, und dem Anspruch an das eigene Leben auf Seiten der Schwangeren. Dieser Konflikt wird als „unlösbar“ bezeichnet, so dass jede Entscheidung Schuld bedeutet. Christen können ihn religiös deuten, nämlich indem sie diese Ansprüche als göttliche Gebote interpretieren und in Anbetracht der Schuld ihrer Übertretung auf Gottes Gnade hoffen. Aber das ist lediglich ihre subjektive religiöse Deutung dieses Konflikts, der als solcher ein allgemeinmenschlicher Konflikt ist. Diese Konstruktion ermöglicht es, Schlussfolgerungen mit gesamtgesellschaftlichem Anspruch in Bezug auf die gesetzliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs abzuleiten, die darauf hinauslaufen, den Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen straffrei zu stellen, wobei an einer Beratungspflicht für die Schwangere festgehalten werden soll.
An dieser Konstruktion entzündet sich die Kritik. Das beginnt bei der Frage ihrer empirischen Plausibilität. Kann ein Ungeborenes einen Anspruch erheben, geboren zu werden? Entspricht das dem Erleben von Schwangeren? Können Schwangerschaften nicht sehr unterschiedlich erlebt werden? Aus theologischer Perspektive ist zu fragen, ob der christliche Glaube tatsächlich nur eine subjektive Deutung von Sachverhalten ist, die eigentlich mit Gott nichts zu tun haben. Ist der Schwangerschaftskonflikt richtig beschrieben, wenn er als allgemeinmenschliche Dilemmasituation beschrieben wird, die von Christen als Konflikt zwischen göttlichen Geboten gedeutet wird?
Widerfahrnis und Glaubensüberzeugung
Ist es nicht vielmehr so, dass für Menschen, die es mit dem Christsein versuchen, der Schwangerschaftskonflikt sich an ihrem Glauben entzündet? Dieser ist ja kein bloß ethischer Glauben an die Geltung von Normen oder göttlichen Geboten. Er ist vielmehr eine Einstellung oder Überzeugung, die mit Gottes Handeln im eigenen Leben rechnet. Das bedeutet im Blick auf eine ungewollte Schwangerschaft, dass es hier zur zentralen Frage wird, ob nicht auch sie ein Handeln Gottes im eigenen Leben ist und was dies für die Beziehung zu dem ungeborenen Leben bedeutet. Bei dieser Frage geht es nicht um ein Dilemma in Anbetracht widerstreitender Gebote, sondern darum, dieses Widerfahrnis mit der eigenen Glaubensüberzeugung zusammenzubringen und nach Möglichkeit in diese zu integrieren. Daher kann niemand der Schwangeren die Antwort auf diese Frage abnehmen. Wenn es eine Antwort hierauf gibt, dann kann sich diese nur ihr selbst erschließen. Außenstehende können sich daher kein Urteil erlauben, wie immer die Schwangere sich entscheidet.
So aufgefasst ist der Schwangerschaftskonflikt nicht unlösbar. Warum soll es nicht möglich sein, dass Menschen aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung dahin finden, eine ungewollte Schwangerschaft als eine Wende zu verstehen und anzunehmen, die Gott ihrem Leben gibt und mit der er ihnen ein Kind zur Aufgabe macht? Solcher Glaube liegt freilich in keines Menschen Macht. Daher kann er auch keinem Menschen abgefordert und am wenigsten durch das Strafrecht erzwungen werden. Aus theologischer Sicht geht es daher bei der Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs statt um die Ermöglichung grenzenloser Selbstbestimmung um die Respektierung der Grenzen menschenmöglicher Selbstbestimmung. Niemand darf zu etwas gezwungen werden, wozu er die Freiheit nicht hat.
Das geschieht durch den geltenden § 218 StGB: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Zwar eröffnet § 218a StGB die Möglichkeit eines legalen, straffreien Schwangerschaftsabbruchs, falls bestimmte Bedingungen erfüllt sind, nämlich die Zwölfwochenfrist und die Einhaltung der Beratungspflicht. Doch widerspricht dies aller Logik, da ja auch bei Einhaltung dieser Bedingungen ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen und somit das verwirklicht wird, was § 218 StGB unter Strafe stellt. Sinn könnte nur eine strafrechtliche Regelung machen, die nicht den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt, sondern die dafür sorgt, dass diese Bedingungen eingehalten werden. In diese Richtung zielte der Gesetzentwurf der parteiübergreifenden parlamentarischen Initiative zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.
Verteidiger des geltenden § 218 StGB argumentieren, dass es darum geht, das ungeborene Leben zu schützen. Freilich tritt keine der Parteien im Bundestag dafür ein, auf Schwangere Zwang zum Austragen einer Schwangerschaft auszuüben, was mit § 218 StGB dem Wortlaut nach geschieht. Daher sollte es eigentlich einen breiten Konsens für die Revision dieses Gesetzes geben.[1]
Eigene, spezifische Sicht
Aus theologischer Sicht ist darüber hinaus zu fragen, ob es bei der Schwangerschaftsproblematik wirklich nur um die isolierte Handlung des Schwangerschaftsabbruchs geht, wie dies auch in der Stellungnahme des Rates unterstellt wird, der zufolge mit dieser Handlung der Anspruch des Ungeborenen bzw. Gottes Gebot missachtet wird. Bei dieser Sichtweise scheint alles darauf anzukommen, diese Handlung nach Möglichkeit zu verhindern, und hier kann sich dann der Gedanke an den Zwang des Strafrechts nahelegen. Doch nach dem Gesagten geht es aus theologischer Perspektive bei einem Schwangerschaftskonflikt nicht um das Handeln, sondern um den Glauben als Ermöglichung dessen, eine Schwangerschaft annehmen zu können, was ein entsprechendes Handeln zur Folge hat. Handlungen lassen sich erzwingen, Glauben nicht.
Es war daher in der Sache richtig, dass der Rat der EKD mit seiner Stellungnahme vom 18. Dezember 2024 die parlamentarische Initiative zur Revision von § 218 StGB unterstützt hat, trotz der naturalistischen Fristenkonzeption und der identitätspolitischen Stoßrichtung dieses Gesetzentwurfs. Die Problematik der Stellungnahme liegt in ihrer Begründung, insofern die EKD sich mit dieser nicht als Kirche zu Wort meldet, die eine eigene, spezifische Sicht auf den Schwangerschaftskonflikt hat, sondern als gesellschaftlicher Akteur, der einen Beitrag mit gesamtgesellschaftlichem Geltungsanspruch zur Debatte über die gesetzliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs beisteuern möchte und dazu den Schwangerschaftskonflikt als allgemeinmenschlichen Konflikt ohne religiösen Bezug konstruiert. Damit setzt sich die Stellungnahme über all diejenigen innerhalb der Kirche hinweg, für die der Schwangerschaftsabbruch Fragen ihres Glaubens aufwirft.
Die Kirche ist etwas anderes als die Gesellschaft, deren Teil sie ist. Das gilt schon in sozialer Hinsicht, ganz abgesehen von aller Theologie. Im Unterschied zur natürlichen Welt ist die soziale Welt durch Anerkennungs- und Achtungsregeln strukturiert, die festlegen, wem aufgrund welcher Kriterien welche Anerkennung und Achtung geschuldet ist: als Kollege, als Vorgesetzter, als Frau, als Mann, als Mensch. Diese Regeln legen fest, wer zur sozialen Welt oder zu einer bestimmten Gruppe in dieser Welt gehört und als wer oder was er von den anderen Mitgliedern dieser Welt anerkannt und geachtet werden muss. Verschiedene soziale Zusammenhänge unterscheiden sich dadurch, dass in ihnen unterschiedliche Regeln gelten. Das gilt auch für die Kirche in Abgrenzung zur umgebenden Gesellschaft. Und das gilt insbesondere im Blick auf das vorgeburtliche Leben. In der Kirche gilt im Blick auf dieses Leben eine andere Anerkennungs- und Achtungsregel als in der Gesellschaft insgesamt.
Normative Dimension
Diese Regel ist implizit in entsprechenden kirchlichen Praktiken und Ritualen enthalten und kann an diesen aufgedeckt werden. Wenn bei einem Taufgottesdienst Gott für das zur Taufe gebrachte Kind gedankt wird, verbunden mit dem Dank für die Bewahrung von Mutter und Kind während der Schwangerschaft, dann bedeutet dies im Blick auf die soziale Stellung des vorgeburtlichen Lebens innerhalb der christlichen Gemeinde, dass diesem die Anerkennung und Achtung als von Gott geschaffenes und erhaltenes Leben eines zukünftig geborenen Menschen geschuldet ist. Kann das ernstlich strittig sein? Kann man am Vollzug dieser kirchlichen Praktiken teilhaben und diese Regel bestreiten?[2] Sie gibt dem Schwangerschaftskonflikt eine normative Dimension. Bisher war nur davon die Rede, dass eine ungewollte Schwangerschaft eine Herausforderung für den Glauben darstellen kann. Die Regel stellt demgegenüber mit ihrer Festlegung, als was das ungeborene Leben innerhalb der christlichen Gemeinde anerkannt und geachtet werden muss, eine zusätzliche normative Herausforderung bei einem Schwangerschaftskonflikt dar, insofern sie bei einem Schwangerschaftsabbruch übertreten wird.
Diese Regel ist in ihrem Geltungsanspruch von vorneherein auf den Bereich der christlichen Gemeinde beschränkt. Daher lassen sich aus ihr keine Normen mit gesamtgesellschaftlichem Anspruch ableiten. Allerdings gehören die Mitglieder der christlichen Gemeinde auch dem umfassenderen Sozialzusammenhang der Gesellschaft an. In ihm müssen sie sich mit Andersglaubenden und Andersdenkenden auf gemeinsame Regeln des Zusammenlebens verständigen. Hier gelten daher andere Anerkennungs- und Achtungsregeln. Das betrifft auch das vorgeburtliche Leben. In der zurückliegenden Debatte über die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs wurde im Kern über eine gesamtgesellschaftliche Anerkennungs- und Achtungsregel für das vorgeburtliche Leben gestritten: Soll dieses von Beginn an als Leben eines zukünftigen Menschen anerkannt und geachtet und dementsprechend geschützt werden? Oder soll es dies erst ab der 13. Woche der Schwangerschaft?[3]
Weil Kirche und umgebende Gesellschaft zwei verschiedene Sozialzusammenhänge sind, ist es kein Widerspruch, sich als Mitglied der christlichen Gemeinde an die für diese geltende Anerkennungs- und Achtungsregel für das vorgeburtliche Leben zu halten und als Mitglied der Gesellschaft für eine andere, liberale Regelung einzutreten. Denn die gesellschaftliche Regelung muss nach Möglichkeit von allen als sinnvoll und richtig anerkannt werden können, für die sie gelten soll, und das schließt die Andersglaubenden und Andersdenkenden ein. Falsch wird es, wenn die Differenz zwischen Kirche und Gesellschaft nivelliert wird und man meint, die Kirche könne als Kirche einen Beitrag zur gesellschaftlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs leisten. Denn soll dieser Beitrag gesellschaftlich plausibel sein, dann kann er sich nicht auf die spezifisch kirchliche Sicht des Schwangerschaftskonflikts gründen. Daher muss diese Sicht ausgeblendet und der Schwangerschaftskonflikt als ein allgemeinmenschlicher Konflikt konstruiert werden, der von Christen lediglich religiös gedeutet wird.
Prägende Metaerzählung
Letztlich geht es also um die Frage, wie die evangelische Kirche in Deutschland sich selbst verstehen will: Als Kirche? Als gesellschaftlicher Akteur? Oder als Kirche, deren kirchlicher Auftrag sie auf die Rolle des gesellschaftlichen Akteurs verpflichtet und der darin seine Erfüllung findet? Horst Gorski, der frühere Vizepräsident im Kirchenamt der EKD, hat diesbezüglich in der Januarausgabe 2025 von zeitzeichen eine erhellende Charakterisierung der evangelischen Kirche in Deutschland gezeichnet: „Sie hat ihr konkretes Verständnis des Evangeliums in den letzten 40, vielleicht 50 Jahren mit den Paradigmen verbunden, die die Gesellschaft zunächst der kleinen (im Westen) und dann der großen Bundesrepublik bestimmt haben. Plakativ gesagt, wurden liberale Demokratie, Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Toleranz und eine diverse, offene Gesellschaft zu konkreten Markern des Evangeliums, sprich: Eine Welt, in der diese Kategorien und die mit ihnen verbundenen Werte verwirklicht werden, erscheint als die dem Evangelium von Jesus Christus am besten entsprechende. Das ist die evangelische Meta-Erzählung, die auch mich geprägt hat.“
Man kann die Entwicklung kaum besser beschreiben, welche zu dem tiefgreifenden Wandel im Selbstverständnis von Kirche und Theologie geführt hat hin zu einer ÖffentlichenKirche und Öffentlichen Theologie, die aus der christlichen Hoffnung die Vision einer besseren Welt ableitet und dementsprechend ihre Aufgabe als Kirche bzw. Theologie darin sieht, für den gesellschaftlichen und politischen Fortschritt einzustehen. Es geht darum, das Evangelium praktisch relevant werden zu lassen in der Veränderung gesellschaftlicher und politischer Strukturen mit dem Ziel einer freieren und gerechteren Welt. Es geht um die „dem Evangelium von Jesus Christus am besten entsprechende“ Welt. So begriffen hat das Evangelium seine Entsprechung nicht im Glauben, Leben und Handeln von Menschen, sondern in gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen und Strukturen. Um des Evangeliums willen muss sich daher die Kirche als gesellschaftlicher Akteur betätigen, zum Beispiel, wenn es um die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs geht. Diese Überzeugung bestimmt offensichtlich auch das Selbstverständnis von Kirchenleitungen. Die Theologie übernimmt dabei die Aufgabe, die Begründungen für das gesellschaftliche Engagement der Kirche zu liefern. Sie ist daher nurmehr als Öffentliche Theologie relevant.
Doch ist die westliche Welt mit ihren Werten tatsächlich die dem Evangelium von Jesus Christus am besten entsprechende Welt? Gibt es eine solche Welt überhaupt? Wieviel kultureller Imperialismus steckt in diesem Gedanken! Und verdankt sich das solchermaßen politisierte, fortschrittsoptimistische Verständnis des Evangeliums nicht zu einem wesentlichen Teil glücklichen äußeren Umständen, nämlich einer langen Periode des Friedens und des ständig steigenden Wohlstands in Mitteleuropa? Was ist, wenn diese Umstände sich dramatisch ändern sollten?
Gorskis Artikel hat daher einen nachdenklichen Schluss. Es könnte sein, dass in einer sich verdüsternden Welt dieses auf den gesellschaftlichen Fortschritt hin orientierte Verständnis des Evangeliums von Jesus Christus an sein Ende gelangt. Es könnte sein, dass die Einsicht noch einmal nottut, dass die christliche Hoffnung etwas anderes ist als die Hoffnung auf eine immer bessere Welt.
[1] Johannes Fischer, Über die Notwendigkeit der Aufhebung von § 218 und die Möglichkeit des Verzichts auf eine Beratungspflicht. Ein Beitrag zur Debatte über die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs, https://profjohannesfischer.de/wp-content/uploads/2025/01/Neuregelung-des-Schwangerschaftsabbruchs.pdf
[2] Johannes Fischer, Die theologisch-ethische Begründung des Schutzes des vorgeburtlichen Lebens, https://profjohannesfischer.de/wp-content/uploads/2024/09/Schwangerschaftsabbruch-theologisch-ethische-Beurteilung-2.pdf
[3] Johannes Fischer, Über die Notwendigkeit …, aaO. 10-17.
Johannes Fischer
Johannes Fischer (Jahrgang 1947) war von 1993 bis 1997 Professor für Systematische Theologie in Basel und von 1998 bis zu seiner Emeritierung 2012 Professor für theologische Ethik an der Universität Zürich und Leiter des dortigen Instituts für Sozialethik.