Ein paar Liter Schmalz

Den am Donnerstag in die deutschen Kinos kommenden Spielfilm „Bonhoeffer“ von Todd Komarnicki kann man getrost verpassen.
Szene aus dem Film "Bonhoeffer" (2025) mit Jonas Dassler in der Titelrolle
Foto: Kinostar Filmverleih
Szene aus dem Film "Bonhoeffer" (2025) mit Jonas Dassler in der Titelrolle

Künstlerische Freiheit ist kein Freifahrtsschein für einen schlechten Film, der sich für die historischen Fakten nicht die Bohne interessiert und die Zuschauer offenbar für blöd hält. Das ist schade, denn der nun in Deutschland anlaufende Spielfilm „Bonhoeffer“ von Todd Komarnicki hätte mehr als genug Spannendes und Lehrreiches erzählen können, wenn er schlicht bei der historischen Wahrheit geblieben wäre. Das meint zeitzeichen-Redakteur Philipp Gessler

Ein Spielfilm über Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) muss sich nicht sklavisch an die historischen Fakten halten. Natürlich darf sich eine Verfilmung des Lebens des Theologen und Widerstandskämpfers gegen die Nazis künstlerische Freiheiten nehmen -  wie etwa der letzte große Bonhoeffer-Spielfilm vor 25 Jahren: „Bonhoeffer – Die letzte Stufe“ mit Ulrich Tukur. Künstlerische Freiheit ist sogar, recht betrachtet, nötig. Das ist dramaturgischen Gründen geschuldet, aber nicht zuletzt auch der Tatsache, dass das Leben Bonhoeffers mehrere Jahre den Regeln der Konspiration folgen musste. Das heißt, wir wissen nicht genau, was der Theologe in dieser Lebensphase als Agent der deutschen „Abwehr“ im Oberkommando der Wehrmacht unter Admiral Canaris getan hat, mit welchen Menschen er gesprochen hat und was dabei gesagt wurde.

Das Argument „künstlerische Freiheit“ aber ist kein Freifahrtsschein, allzu freihändig mit den historischen Fakten umzugehen, damit (vermeintlich) der Flow oder die Spannung stimmt - gemäß dem bösen Spruch: „Forget about the facts, push the story!“ Das funktioniert nicht, ja das Publikum ist bei nur oberflächlichem Wissen über den historischen Bonhoeffer schnell verärgert, weil man rasch denkt: „Das kann doch nicht wahr sein!“ Der Regisseur vom Film „Bonhoeffer“, Todd Komarnicki, traut seinem Publikum das Selber-Denken nicht zu, das ist ein Hauptproblem dieses Films. Das ist traurig, weil er diesen Spielfilm offenkundig mit Herzblut gemacht hat, folgt man seinen Aussagen im Vorfeld des Films und der Tatsache, dass der 59-jährige US-Filmschaffende erstmals als Drehbuchschreiber, Produzent und Regisseur eines Films zugleich agierte, ja ins Risiko gegangen ist.

Gelungener Einstieg

Dabei ist der Einstieg des Films noch recht gelungen: Man bekommt einen Einblick in das mögliche Familienleben des jungen Bonhoeffer als Knabe, seine Liebe zu seinem älteren Bruder Walter und den für Dietrich traumatischen Tod Walters an der Front im Ersten Weltkrieg 1918. Recht schlüssig erscheinen auch die Szenen, die Bonhoeffers starke Prägung durch sein einjähriges Studium am Union Theological Seminary in New York 1930/31 und vor allem durch den Kontakt mit den diskriminierten Schwarzen in den USA schildern: Auch da ist vieles frei erfunden, vergleicht man diese Sequenzen mit den historischen Fakten. Aber zumindest sind diese Szenen und Dialoge gut erfunden – so könnten es gewesen sein. (Sieht man einmal davon ab, dass es trotz Bonhoeffers Meisterschaft am Klavier nicht besonders wahrscheinlich ist, dass er mal kurz, obwohl er nach eigenem Bekunden vorher noch nie mit Jazz zu tun hatte, auf der Bühne mit einem Louis-Armstrong-Verschnitt nach wenigen Akkorden losjazzt … Geschenkt, das ist harmlose künstlerische Freiheit.)

Je länger aber der Film dauert, desto ärgerlicher wird der allzu lockere Umgang Todd Komarnickis mit den geschichtlichen Fakten. Nur ein paar Beispiele: Da wird ohne jegliche historische Grundlage eine Art Bildersturm von NS-Schergen in einer Kirche gezeigt (dazu wird noch Hitlers „Mein Kampf“ anstelle der Bibel auf dem Ambo platziert, damit es auch jeder versteht). Ein Winston-Churchill-Double soll angeblich durch Bonhoeffers Engagement von seiner Frau zu mehr Einsatz gegen den deutschen Diktator gedrängt worden sein.

Aus der Luft gegriffen

Ein „Bischof“ der evangelischen Kirche tritt auf, der offenbar ein Verschnitt der Theologen Dibelius, Gollwitzer und Niemöller ist und angeblich von Bonhoeffer erst zum Widerstand bekehrt wurde. Es wird nach einem Bombenangriff auf ein SS-Gefängnis eine Fluchtmöglichkeit der Inhaftierten um Bonhoeffer imaginiert, von dem der Pastor jedoch mit eher seltsamen Gründen abrät. Es gab tatsächlich in Bonhoeffers letzten Tagen eine improvisierte Andacht Bonhoeffers mit Mitgefangenen im Schulhaus von Schönberg nahe Passau. Aber dass dies ein Abendmahl mit Brot und Wein war und dabei auch ein „guter“ deutscher Soldat teilnahm, der die Inhaftierten vorher streng bewacht hatte – alles aus der Luft gegriffen, damit die Story stimmt. Und so weiter und so fort.

Vielleicht am ärgerlichsten ist eine gnadenlos erfundene, ziemlich absurde Szene, bei der Bonhoeffer, bereits als Spion tätig, in einem Bus befreite Juden in die Schweiz begleitet – und dabei mal kurz suggeriert wird, die Schweizer Grenzsoldaten hätten die Verfolgten nur nach Übergabe immensen Schmiergelds durch Bonhoeffer in ihr Land gelassen. Was soll das? Gibt es dafür auch nur den kleinsten Hinweis, dass dies wirklich passiert ist? Was soll uns das lehren? Welchen Sinn hat diese auch in sich unlogische Episode?

Unglaublich peinlich

Unglaublich peinlich ist auch die Schlussszene, das Hängen von Bonhoeffer vor dem bayerischen Schulhaus, in dem er angeblich noch mit den Mithäftlingen und dem bekehrten Soldaten das Abendmahl gefeiert hatte. Man weiß aufgrund von Prozessakten relativ genau, wie Bonhoeffer tatsächlich hingerichtet wurde. So wurde Bonhoeffer mit anderen Häftlingen, eine letzte Demütigung, nackt gehängt, an einem Haken in einem Hof des KZ Flossenbürg, nicht auf freiem Feld beim Morgengrauen, wie der Film es darstellt. Der Todeskampf war den Fakten zufolge wahrscheinlich lang, und sicherlich hat der im Film natürlich angezogene Bonhoeffer dabei nicht noch die Bergpredigt zitiert und in die Strahlen der aufgehenden Sonne geblickt.

Bonhoeffers (fast) letzte Worte sind überliefert, sie sind rührend. Er ließ seinem Freund und Vertrauten George Bell, den Bischof von Chichester in England, am Tag vor seiner Hinrichtung ausrichten: „Sagen Sie ihm, dass dies für mich das Ende ist, aber auch der Beginn.“ Kurz vor seiner Hinrichtung im KZ Flossenbürg kniete er, so sah es ein Augenzeuge, eine längere Zeit im Gebet vor seinem letzten Gang zum improvisierten Galgen. All das hätte der Film zeigen können. Aber dem Drehbuchschreiber und Regisseur Komarnicki war das alles wohl nicht dramatisch genug. Er ließ das alles weg und schüttete stattdessen über dieses herzzerreißende, schändliche Geschehen in seinem Streifen noch ein paar Liter Schmalz, damit es auch die Dümmsten verstehen. Und das passiert in diesem Film leider dauernd, warum auch immer.

Verschenkte Chance

Der Film „Bonhoeffer“ wurde in den USA schon im Herbst gezeigt. Er wurde als ein Plädoyer an die US-Evangelikalen gewertet, Donald Trump zu wählen. Es gab Proteste der Nachkommen Bonhoeffers gegen den Film. Die beiden deutschen Schauspieler Jonas Dassler (Bonhoeffer) und August Diehl (Niemöller) haben in einer gemeinsamen Stellungnahme ebenfalls ihre Sorge über die Vereinnahmung des Films durch christliche Nationalisten geäußert. Von kirchlicher Seite kam damals ebenso Protest: „Jeder Versuch, Dietrich Bonhoeffer und seinen Widerstand gegen Hitler als Legitimation für heutige politische Gewalt heranzuziehen, ist entschieden zurückzuweisen“, hieß es in einem Offenen Brief, der unter anderen vom ehemaligen Ratsvorsitzenden der EKD und Bonhoeffer-Experten Wolfgang Huber unterzeichnet wurde. Wer sich den Film ein knappes halbes Jahr nach der Erregung im US-Wahlkampf hierzulande in Ruhe anschaut, findet all dies etwas übertrieben - zumal für den deutschen Verleih das Plakat geändert wurde, auf dem Bonhoeffer mit Waffe in der Hand gezeigt worden war.

Dennoch kann man sich über diesen schlechten Film zurecht immer noch genug aufregen. Er verschenkt die Chance, das in sich schon bewegende Leben von Bonhoeffer, seinen Mut und sein faszinierendes Denken so zu schildern, wie es eben war. Das hätte völlig gereicht. Es wäre immer noch ein hoch dramatischer, spannender und lehrreicher Spielfilm geworden. Todd Komarnicki aber hatte dieses Vertrauen weder in diese wahre Geschichte noch in sein Publikum, das er offensichtlich für blöder hält, als es ist. Wie schade!

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