Bibel mit der Zeitung lesen

Warum wir gerade jetzt eine Renaissance der politischen Predigt brauchen
Foto: Harald Oppitz

In diesen Tagen nach der Wahl spüre ich wieder eine tiefe Sehnsucht nach einer richtig guten politischen Predigt. Ich sehne mich nach tröstenden, ausrichtenden, ermutigenden Worten nach einem erschreckenden Tag im Oval Office und einer Wahl, bei der im Osten unserer Republik flächendeckend dunkelblaubraun angekreuzt wurde. Ich wünsche mir orientierende Worte nach der Horrorfahrt in Mannheim und vor der nächsten Aktion, die sicher schon irgendein psychisch Verwirrter oder politisch oder religiös Verblendeter plant. Bei mir herrscht Aschermittwochstimmung. Da hilft keine Predigt, die mir sagt, was ich mir auch selbst sagen kann. Da braucht es prophetische Worte, die aus dem Hören auf Gottes Wort kommen. Karl Barth hat gemeint, man solle die Bibel mit der Zeitung lesen und die Zeitung mit der Bibel: „Wie man beten soll, steht in der Bibel, und was man beten soll, das steht in der Zeitung.“ 

Wahrscheinlich schreibt jemand in Deutschland gerade an solch einer Predigt. Jedenfalls möchte ich mir das vorstellen. Denn von einer Renaissance der politischen Predigt sind wir leider immer noch weit entfernt. Der politischen Predigt geht es ein bisschen so wie der Bundeswehr. Heruntergewirtschaftet, nicht ernstgenommen, belächelt, und plötzlich merkt man, dass man mit Armeen aus Gummibärchen und Panzern aus Marzipan nicht so richtig weiterkommt und Herbert Grönemeyer eben Sänger und kein Verteidigungsminister ist. 

Bewerben für den Predigtpreis

Gerade läuft wieder die Bewerbungsfrist für den Deutschen Ökumenischen Predigtpreis und ich ermutige als Jury-Mitglied ausdrücklich alle, die sich gerade an eine politische Predigt wagen, sich mit ihren Predigten zu bewerben: practica@uni-bonn.de. Ich stelle mir Predigten vor, die nicht von oben herab „abkanzeln“ oder klingen wie parteipolitische Statements, sondern die an biblisch-christliche Werte erinnern. Barmherzigkeit z.B. Spannend dürfen sie gerne auch sein. Jesus hat das vorgemacht. Seine Predigten waren politisch brisant und zugleich Aufreger. Wie das heute geht, ist uns letzthin von einer Bischöfin in Washington demonstriert worden.

Diese Kolumne erscheint am 7. März, und das ist Weltgebetstag. Auf der ganzen Welt versammeln sich Menschen, um einer politischen Predigt zuzuhören. „Informiert beten, betend handeln“ heißt das Motto seit fast 100 Jahren – die größte ökumenische Frauenbewegung weltweit. In diesem Jahr sind es Frauen von den Cook-Inseln, die den Gottesdienst gestaltet haben. Der Weltgebetstag kann eine wichtige Inspiration für die politische Predigt sein, zumal seine Botschaft stets politisch ist. Informiert predigen, predigend handeln wäre nicht die schlechteste Anregung für Predigende, die sich an die politische Predigt wagen wollen. 

Biblische Worte teilen

Dass in der biblischen Botschaft tröstliche Kraft auch in politisch deprimierenden Tagen zu finden ist, habe ich gerade erst wieder – ganz überraschend! – mit Vikarinnen und Vikaren erlebt. Zum Abschluss ihrer Ausbildung im Theologischen Seminar hatten sie die Aufgabe, für sich nach Bibelworten zu suchen, die sie in diesen verwirrenden, unklaren, beängstigenden und unsicheren Zeiten stärken können. Wer mochte, konnte dies anschließend in die Gruppe einbringen und mit den anderen teilen. Viele wollten. Und plötzlich entstand eine dichte, einzigartige Atmosphäre. Es war, als ob die biblischen Worte und die Geschichten, die die Vikarinnen und Vikare dazu erzählten, eine eigene Kraft entwickeln würden, die über sich hinausweist. Das hat uns alle tief bewegt und berührt. Ich finde: Wir haben etwas von der Kraft des Heiligen Geistes gespürt. In diesem Moment. Wir brauchen mehr davon!

Einzelartikel kaufen

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

z(w)eitzeichen Abonnement

Sie erhalten Zugang zur Rubrik z(w)eitzeichen.

4,00 €

monatlich

Monatlich kündbar.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.
Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.

Weitere Beiträge zu „Kirche“