
Die Agenda für politische Lobbyarbeit von Kirche und Diakonie für den kommenden Bundestag ist prallvoll – und das nicht nur mit den Dauerbrennern der Sozialpolitik. "zeitzeichen“-Redakteur Stephan Kosch liefert einen Überblick und wagt ein paar Prognosen.
Die vorgezogene Bundestagswahl hat auch die politische Agenda für die Kirchen verändert. Drei Vorhaben, die die Ampelregierung ursprünglich in konkrete Gesetze gießen wollte, blieben unvollendet: Die Herauslösung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafrecht, die Debatte um den assistierten Suizid und die Ablösung der Staatsleistungen. An letzterem dürfte (trotz des gerade etwas belasteten Verhältnisses zwischen CDU und Kirchen) derzeit niemand aus der angedachten schwarz-roten Regierungskoalition wirklich Interesse haben. Das Geld dafür fehlt und die Bundesländer, die ja vor allem zahlen müssten, winken immer wieder ab.
Ebenfalls nicht durchgekommen ist die von der Ampelkoalition geplante Liberalisierung der rechtlichen Regelung für einen Schwangerschaftsabbruch. Die rechtspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion haben sie noch vor wenigen Wochen im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages als „verfassungswidrig“ bezeichnet und sich für eine Beibehaltung der gegenwärtigen Regelung ausgesprochen. Und weil es gegen die Union nur eine Mehrheit mit der AfD gäbe, ist eine gesetzliche Neuregelung in dieser Legislaturperiode nur schwer vorstellbar.
In der Grauzone
Das nimmt der vor allem im evangelischen Raum (und auch auf www.zeitzeichen.net) geführten ethischen und theologischen Debatte nun ihre politische Aktualität, wird sie aber nicht unbedingt beenden. Der Rat der EKD hatte sich im Dezember dafür ausgesprochen, den Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der Frau nicht mehr über das Strafgesetzbuch zu regeln. Diese Stellungnahme sollte aber ausdrücklich ein Beitrag sein, der den „differenzierten öffentlichen Diskurs befördern“ soll. Dafür gibt es nun mehr Zeit.
Unklar bleibt die Lage beim assistierten Suizid, sowohl rechtlich als auch politisch. Der neue Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Helmut Frister, plädierte daher bereits kurz nach seinem Amtsantritt im vergangenen November für einen neuen Anlauf zur gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe. Nach dem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 unter Verweis auf das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben das Verbot der „gewerbsmäßigen Sterbehilfe“ gekippt hatte, versuchten unterschiedliche Gruppen über Fraktionsgrenzen hinweg im Bundestag eine gesetzliche Reglung für den assistierten Suizid auf den Weg zu bringen. Keiner der Entwürfe fand aber eine Mehrheit, so dass Menschen, die anderen bei der Umsetzung eines Sterbewunsch helfen, in einer rechtlichen Grauzone agieren. Für Frister und viele andere eine unbefriedigende Situation.
Kompetenz beim Thema Migration
Die Debatte wurde in Kirche und Diakonie intensiv geführt, auch weil der damalige Präsident der Diakonie Deutschland. Ulrich Lilie, sich 2021 gemeinsam mit dem Theologieprofessor Reiner Anselm und der Theologieprofessorin Isolde Karle in der FAZ für die Möglichkeit eines assistierten Suizides auch in evangelischen Pflegeinrichtungen ausgesprochen hatte. 2023 unterstützte auch der Rat der EKD das Vorhaben, einen rechtlichen Rahmen für einen assistierten Suizid zu ermöglichen, der aber auch Spielräume lasse, um der individuellen Situation gerecht zu werden. Möglicherweise wird diese Stellungnahme demnächst noch einmal zu Beurteilung aktueller Gesetzesentwürfe gebraucht.
Was kommt ziemlich sicher? Gesetzentwürfe, die die Grenzen dichter machen und die Migration verringern sollen. Hier haben Kirche und Diakonie seit langem hohe politische, rechtliche und sozialdiakonische Kompetenzen aufgebaut und werden diese gewiss in die Gesetzgebungsverfahren und gesellschaftlichen Debatten einbringen. Und dabei werden sie auch immer wieder auch das Kirchenasyl verteidigen müssen, das zunehmend unter Druck gerät. Gleichzeitig gilt es, Räume der Begegnung und des Austausches zu schaffen jenseits der Wahlkampf- und Stammtischparolen. Die Kampagne #VerständigungsOrte von Diakonie Deutschland und evangelischer Kirche, die jetzt gestartet wurde, wird wohl keine Schlagzeilen liefern, aber möglicherweise gerade deshalb umso wertvoller sein.
Soldat:innen und Zivis?
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat Deutschland bereits verändert und wird es weiter tun. Dabei geht es nicht nur um mehr Geld für die Bundeswehr und ihre Aufrüstung, sondern auch um die Zahl der deutschen Soldaten. Die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht oder die Einrichtung eines verpflichtenden Dienstjahres dürfte sehr bald im Bundestag diskutiert werden. Militärseelsorge für Wehrpflichtige, Verweigerung aus Gewissensgründen, Zivildienstplätze in Kirche und Diakonie, das gab es ja alles bis schon, die Erfahrungswerte liegen vor und können genutzt werden. Aber sollen nun alle Geschlechter in die Pflicht genommen werden? Und welche Rolle werden deutsche Soldat:innen künftig an der Nato-Ostflanke spielen? Was bedeutet das für die Wehrpflicht? Hier wird die zwischenzeitlich wieder etwas abgeebbte Debatte um evangelische Friedenethik wieder lebendig und sehr konkret werden.
Wie das alles bezahlt werden soll, ist ja noch offen. Und immer, wenn es um Geld und mögliche Einsparungen geht, drohen Kürzungen bei denen, die eh schon wenig haben. Die stigmatisierende Wahlkampf-Debatte über Bürgergeldempfänger:innen und wann man ihnen wieviel Geld kürzen kann, lässt nichts Gutes ahnen. Hier wird die Diakonie als politischer Anwalt für die Armen viel zu tun bekommen, ebenso beim Thema Rente und Finanzierung des Gesundheitssystems. Und wie geht es weiter bei der Pflege? Alles keine neuen Themen, die schon viel zu lange auf langfristig tragfähige Lösungen warten. Auf Wiedervorlage für die neue Bundesregierung!
Globaler Süden
Auch Entwicklungszusammenarbeit ist ein klassisches kirchliches Arbeitsfeld. Dass es auch weiterhin für die kommende Bundesregierung von Bedeutung bleibt, darauf haben vor Beginn der Koalitionsverhandlungen schon mal „Brot für die Welt“ und Miserior gemeinsam hingewiesen. Zwar rechnet niemand mit einem Kahlschlag wie in den USA, aber es wäre nicht das erste Mal, das Kürzungen im Entwicklungsetat drohen. Dabei entsteht internationale durch den Ausfall der USA als bislang wichtigsten Geber von Entwicklungsfinanzierung und Humanitärer Hilfe riesige Finanzierungslücken im Globalen Süden. Wer also etwas gegen wachsende Migration, zunehmende Kriegsgefahr und Klimawandel tun will, wäre gut beraten, nicht nur das NATO-Ziel im Militärhaushalt anzustreben, sondern auch das international zugesagte Ziel für den Etat der Entwicklungszusammenarbeit, 0,7 Prozent des BIP, einzuhalten. Ob das klappt, hängt auch von einer starken Lobbyarbeit für die Entwicklungszusammenarbeit ab.
Apropos Klima: Die Welt wird sich weiter aufheizen, auch wenn im Wahlkampf niemand ausführlicher darüber sprechen wollte. Positiv ist, dass auch der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz im ersten Duell auf die kommende Ausweitung des EU-Emissionshandels hingewiesen hatte und sich positiv zu einem Klimageld für alle Haushalte geäußert hatte. Das stand zwar schon im Koalitionsvertrag der Ampel, könnte aber nun wirklich kommen. Und wenn es richtig ausgestaltet ist, ist es ein sozial gerechtes und wirksames Instrument zum Klimaschutz. Um aber das Thema nicht nur auf die individuelle Verbraucher-Ebene zurück zu stutzen, sondern strukturelle Änderungen weiterzutreiben, ist es wichtig, dass die Gliedkirchen der EKD ihre Klima-Roadmap unbeirrt weiterverfolgen und zeigen, dass Klimaschutzziele erreichbar sein können. Umso glaubwürdiger wird ihr Zeugnis, wenn die Bundesregierung die Latte für sich selber mal wieder etwas tiefer hängen will.
Stephan Kosch
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".