In diesen aufgeregten Zeiten braucht es Orte der Konzentration und manchmal sogar Kontemplation. Klar, das können auch Kirchen und andere sakrale Räume sein. Aber der gestandene Protestant findet solche Räume der Andacht ja manchmal auch an unerwarteten Plätzen. Ich habe an dieser Stelle schon über das religiöse Aroma eines Aufgusses in der Sauna geschrieben oder die seelsorgerliche Betreuung im Friseur-Salon nebenan.
Aber es gibt noch einen Ort, der profan daherkommt, und doch überraschende Möglichkeiten bietet. Ich rede vom Krafttrainingsraum, in diesem Falle einer der Ketten des Schweizers Werner K. Der ehemalige Boxer, Fitness-Unternehmer und spätstudierte Philosoph, der 2021 im Alter von 80 Jahren starb, bezeichnete zwar die Religion als „größten Betrug an der Menschheit“. Er schuf mit seiner strengen Methodik des Krafttrainings und entsprechender Ästhetik aber Räume mit sehr protestantischer Aura. Und das liegt nicht nur am hohen Altersdurchschnitt der Trainierenden.
Hier geht es um die Essenz, den Muskel und mich, und um nix anderes. Es gibt keine Laufbänder, keine Musik, keine Bar mit Shakes oder bunten Säften, allein ein Wasserspender steht auf dem Industrieparkett zwischen den Maschinen. An diesen drückt, hebt und zieht man voller Disziplin und Konzentration seine Gewichte auf und ab im stets gleichen Rhythmus (1,2,3,4–1,2–1,2,3,4) und kämpft so gegen Rückenschmerz und Muskelschwund. Aber eben nicht nur. Die Ruhe, das mantramäßige Zählen, das Pilgern auf dem Stationenweg zwischen Rückenstrecker und Beinpresse, das alles hat eben auch etwas Meditatives, hilft gegen Stresssymptome und depressive Verstimmung, stärkt Geist und Seele. Schließlich ist der Körper ja auch der Tempel des Heiligen Geistes. Und
der weht bekanntlich, wo er will.
Stephan Kosch
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".