Der die Beiträge einer internationalen Fachtagung und Aktivitäten des Münsteraner DFG-Forschungsprojekts bündelnde Sammelband Queer im Pfarrhaus bietet grundlegende diskussions- und forschungsanregende Einblicke in Queersein und Kirche. Den herausgebenden Projektleiter:innen Katrin Burja und Traugott Roser ist es mehr als gelungen, das Thema von deutschsprachigen und internationalen Expert:innen in 15 Aufsätzen beleuchten zu lassen. Durch sechs abgedruckte geistliche Impulse unter anderen der im Projekt angestellten wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeiter:innen wird auch das Tagungsmiteinander für Leser:innen des Bandes greifbar.
Zwei verschiedentlich behandelte Aspekte, die diesen umfassenden Band durchziehen, möchte ich fokussieren: zum einen die queer-bezogene Pastoraltheologie im (praktisch-)theologischen Fächerkanon und zum anderen „Pastoralmacht“ und Machtbewusstsein.
Pastoraltheologie erweist sich als Prisma praktisch-theologischer und theologischer Debatten. Bereits in der Einleitung wird Poimenik als „Fluchtpunkt“ der Pastoraltheologie eingeführt. Authentizitätsanforderungen, wie sie vor allem in der Homiletik diskutiert werden (Katrin Burja), beträfen queere Pfarrpersonen insbesondere dadurch, dass sie nicht der (unreflektierten) Heteronormativität entsprächen, wodurch jede ihrer Äußerungen über ihr Queersein Gefahr laufe, Anlass einer „Verschiebung zum hegemonialen Diskurs“ (Florence Häneke) zu werden. Hinsichtlich Kasualien stellt Theodor Adam Transitionsgottesdienste vor und bedenkt sie liturgisch. Zur Entwicklung von Queer-Gottesdiensten zeichnet Jonas Trochemowitz (kirchen-)historische Entwicklungen wie grundsätzliche Verständnisse nach – Queer-Gottesdienst als Gottesdienst: von queeren Menschen, für queere Menschen, über queere Themen, in queerer Liturgie. Dass „Individualisierung, Pluralisierung und Säkularisierung nicht nur in ihrem [der Pfarrperson] sozialen Umfeld – quasi bei ihrem Gegenüber – in Seelsorge und Kommunikation, sondern auch [sie] selbst davon betroffen sind“ (Isolde Karle), weist auf die Verbindung pastoraltheologischer, religionssoziologischer und kirchentheoretischer Überlegungen hin. Pastoraltheologie habe zudem eine Brückenfunktion zwischen Theologischer Ethik und Praktischer Theologie, wie Traugott Roser mit Verweis auf Christian Palmer festhält. Oft scheint auch die biblische Hermeneutik (Christopher Swift) hinsichtlich Queersein zentral zu sein.
In Michel Foucaults „Pastoralmacht“ führen Elis Eichener und Traugott Roser ein. Zwar handele es sich dabei um ein von Foucault historisch ermitteltes Phänomen (Traugott Roser), das jedoch auch in EKD-Schriften Ausdruck fand, die (queere) Sexualität als Krankheit und zu „bewältigenden“ Seelsorgeanlass festhielten (Elis Eichener). Auf autobiografische, erschreckend eindrückliche Weise führt Annette Gernberg (Pseudonym) Auswirkungen trans*phoben Christ:innentums auf sie aus. Gegen eine stupide Reproduktion von Heteronormativität entwirft Peter Bubmann Maßnahmen für die Hochschullehre. Mara Klein ermittelt Potenziale queerer Gegennarrative gegen das binär denkende katholische Lehramt. Das Versagen und Verschleiern auch evangelischer Kirchenleitungen kritisieren unter anderen Isolde Karle und Thomas Zippert. Die beeindruckende Glaubensgewissheit der Gotteskindschaft, die in bearbeiteten und berichteten autobiografischen Zeugnissen aufscheint, drängt – und damit schließt sich der Kreis zum ersten Punkt – zu theologischer Anthropologie, die Queersein inkludiert. Für pastorale Praxis, praktisch-theologische Reflexion als auch theologisches Denken insgesamt bietet dieser facettenreiche Band umfassende und weitreichende Impulse.
Carlotta Israel
Carlotta Israel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München.