Bibel, Wut und Bauernblut

Im März 1525 wurden die Zwölf Artikel von Memmingen geschrieben
Bauernaufstand
Foto: Martin Glauert
Erinnerungen an die Bauernkriege in historischen Umzügen.

Die Bauernkriege entstanden aus dem Geist der Reformation und der sozialen Not der Bevölkerung. In Memmingen verfassten die Aufständischen vor genau 500 Jahren ihr Grundsatzprogramm, die Zwölf Artikel. Sie gelten als die erste Menschenrechts­erklärung auf europäischem Boden.

Die Stimmung ist schlecht im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Ein Sprichwort geht im Land um: „Wer 1523 nicht stirbt, 1524 nicht im Wasser verdirbt, 1525 nicht wird erschlagen, der mag wohl von Wundern sagen.“ Was ist da los? Das Reich ist zerfallen in zahllose einzelne Herrschaften, Fürstentümer, Rittergüter und Grafschaften. Auch die Klöster verfügen über großen Grundbesitz, manche sogar über ganze Landstriche mit den zugehörigen Dörfern.

Kirchturm
Foto: Martin Glauert

Doch für die Bauern macht es keinen großen Unterschied, ob ihr Grundherr weltlich oder geistlich ist. Ihr Leben ist hart, geprägt von Arbeit und Armut. Die Nahrung besteht aus Roggenbrot und Hirsebrei, nur ein paar Fische aus dem Bach oder ein gefangenes Kaninchen im Wald sorgen für etwas Abwechslung, bis ihnen auch das verboten wird. Die Bauern werden gepeinigt durch ein ausgeklügeltes System von Abgaben. Ob Fürst oder Bischof – sie beuten ihre Untergebenen aus bis an die Grenze des Erträglichen. Herrenzins, Großzehnt, Kleinzehnt, Blutzehnt und Gartenzehnt müssen sie abliefern, zusätzlich Frondienste leisten bei ihrem Grundherren.

Und dann gibt es da noch die Leibeigenschaft. Der leibeigene Bauer gilt als Eigentum seines Herrn. Dieser kann ihn verkaufen, tauschen oder verschenken, er darf ihn nach Gutdünken bestrafen und züchtigen, allerdings nicht töten oder verstümmeln. Kühen und Schafen hat der Leibeigene immerhin das Recht voraus, in die Kirche gehen zu dürfen, wo ihm gepredigt wird, dass die herrschenden Verhältnisse von Gott gewollt sind. Die tiefgläubigen Bauern erfahren keine Seelsorge, sondern religiösen Missbrauch.

Wie ein Meteorit

In dieser verzweifelten Lage schlagen Martin Luthers Thesen ein wie ein Meteorit. Was er schreibt, ist ungeheuerlich: Um die Gnade Gottes zu erwerben, ist kein teuer bezahlter Ablass nötig. Die Menschen stehen in einem unmittelbaren Verhältnis zu Gott, der sie gleich erschaffen hat. Priester, Bischöfe und Papst haben sich zu Unrecht zwischen den Menschen und Gott gedrängt, die Kirche ist zu einem Besteuerungs- und Herrschaftsapparat pervertiert, der keine Legitimation hat und eine Schreckensherrschaft über die Gläubigen ausübt.

Erinnerungen an die Zwölf Artikel an einer Memminger Hauswand.
Foto: Martin Glauert

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan“, schreibt dieser Dr. Luther. Das ist für die Bauern keine dürre Theologie, sondern handfester politischer Sprengstoff, ein Angriff gegen das herrschende System, die Kampfansage gegen einen seelenlosen und zynischen Machtapparat. Die Stimmung im Land kippt, die Furcht und Resignation weichen einem neuen Mut zu Rebellion und Aufstand gegen die unerträglichen Verhältnisse. Ermutigt werden sie auch durch diese Worte, die Martin Luther zugeschrieben werden. „Warum greifen wir nicht vielmehr an diese schädlichen Lehrer des Verderbens, als Päpste, Kardinäle, Bischöfe und das ganze Geschwärm der römischen Sodoma mit allerlei Waffen und waschen unsere Hände in ihrem Blut ...“

Regionale Haufen

Seit Herbst 1524 rumort es unter den Bauern an vielen Stellen des Reiches. Sie sammeln sich in regionalen „Haufen“ von hunderten und tausenden entschlossenen Protestlern, und damit man sieht, dass sie es ernst meinen, bringen viele ihre Waffen mit. Welch stürmische Dynamik die Geschehnisse entwickeln, wird am später so gefürchteten „Baltringer Haufen“ sichtbar. Am Heiligen Abend des Jahres 1524 sitzen in der Schänke des Dorfes Baltringen ein paar Bauern zusammen, schütten einander das Herz aus und schließen einen Bund. Bald stoßen Freunde aus anderen Dörfern zu ihrem Stammtisch. Im Februar sind sie schon 80 Verbündete, eine Woche später 2 000 und nach wenigen Wochen 10 000 Mann unter Waffen. Sie gehen nicht mehr auseinander, sondern schlagen ein festes Lager auf.

Rechts der Verfasser Christoph Schappeler, Prediger an der St. Martinskirche (links).
Foto: Martin Glauert

Die Zwölf Artikel an einer Memminger Hauswand. Rechts der Verfasser Christoph Schappeler, Prediger an der St. Martinskirche (links).

Ähnliche Haufen bilden sich an verschiedenen Orten. In den ersten Märztagen des Jahres 1525 stehen in Oberschwaben mehr als 40 000 Mann aus allen möglichen Berufen und Lebensbereichen unter Waffen. Die meisten sind Bauern oder Dorfhandwerker, aber auch Bürger sind dabei, Geistliche und Berufssoldaten. Noch sind sie entschlossen, ihre Ziele mit friedlichen Mitteln zu erreichen.

Zum Zentrum dieser gewaltigen Bewegung wird das idyllische Memmingen. In der Reichsstadt predigt seit zehn Jahren der Zwinglischüler Dr. Christoph Schappeler, ein leidenschaftlicher Reformator mit festen Vorstellungen über die nötigen politischen Veränderungen. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund, korrupte Mönche und rückständige Geistliche nennt er „Mistfinken“ und „Suppenprediger“. Memmingen hat sich früh der Reformation angeschlossen und bereits im Winter 1524/25 tiefgreifende Reformen durchgesetzt, darunter die Abschaffung der Leibeigenschaft.

Georg III. Truchsess von Waldburg, der mit großer Grausamkeit gegen die Bauern kämpfte.
Foto: Martin Glauert

Georg III. Truchsess von Waldburg, der mit großer Grausamkeit gegen die Bauern kämpfte.

Am 6. März 1525 treffen sich in dieser offensichtlich bauernfreundlichen Stadt die gewählten Vertreter aller oberschwäbischen Haufen und gründen die „Christliche Vereinigung“. Dem bibelfesten Kürschner Sebastian Lotzer fällt die Aufgabe zu, aus den zahllosen Beschwerden, Bittschriften und Forderungen der einzelnen Bauern ein konsensfähiges Grundprogramm zu destillieren. So entstehen in der Stube der Kramerzunft Memmingen die Zwölf Artikel, die zur ideologischen Grundlage des Bauernaufstands im ganzen Reich werden.

Aufständische Bauern belagern eine Burg oder ein Kloster.
Foto: Martin Glauert

Aufständische Bauern belagern eine Burg oder ein Kloster.

Sie fordern nicht den Umsturz und sind keine Anstiftung zur Gewalt, sondern kommen auf den ersten Blick eher brav daher. Die Einleitung stammt von Christoph Schappeler und stellt gleich zu Beginn klar, dass die Forderungen nicht willkürlich und beliebig erhoben werden, sondern sich auf das göttliche Recht der Bibel beziehen. „Es ist unsere demütige Bitt und unser Begehr“, heißt es im 1. Artikel, dass eine Gemeinde ihren Pfarrer selbst wählen und wieder absetzen dürfe. Zudem soll er „das heilige Evangelium klar und ohne allen menschlichen Zusatz predigen.“ Sola scriptura!

Von Grund auf frei

Bereits im 2. Artikel wird deutlich, dass die Reformation sich nicht auf rein theologische Bereiche beschränken kann, sondern praktische Auswirkungen im täglichen Leben haben muss. Der Kornzehnt soll dem Unterhalt des Pfarrers und als Almosen für die Armen verwendet werden. Artikel 3 bis 11 betreffen konkrete, existenzielle Regelungen: Abschaffung der Leibeigenschaft, das Recht der freien Jagd und des freien Fischfangs, Nutzung des Waldes und der Dorfwiesen. Frondienste und Abgaben der Bauern an ihre Grundherren werden detailliert geregelt sowie eine Neuordnung des Gerichtswesens. Der „Todfall“ soll abgeschafft werden, jene Leichensteuer, die der Landesherr verlangte, wenn ein Familienvater gestorben war. Der 12. Artikel enthält wieder ein eindeutiges Bekenntnis zur Heiligen Schrift. Die Bauern verpflichten sich, von jeder Forderung abzulassen, deren Rechtmäßigkeit nicht unwiderlegbar aus der Bibel nachzuweisen ist.

Uns mögen diese Forderungen der Bauern problemlos nachvollziehbar, selbstverständlich und eher bescheiden erscheinen, damals jedoch waren sie revolutionär. Alle Menschen sind von Gott geschaffen gleich! Der Mensch ist von Grund auf frei! Eine gerechte und solidarische Welt für alle Menschen wird angestrebt. Das klingt fast schon wie „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Tatsächlich sind die Zwölf Artikel die erste Menschenrechtserklärung auf europäischem Boden und gelten als direkte Vorfahren der Französischen Revolution und unseres Grundgesetzes.

Memmingen wirbt mit seiner Geschichte.
Foto: Martin Glauert

Memmingen wirbt mit seiner Geschichte.

Noch im gleichen Monat werden sie in mehreren Auflagen gedruckt und verbreiten sich unfassbar schnell in einer Auflage von geschätzt 25 000 Exemplaren als Flugschrift im gesamten Reich. Gleichzeitig dienen sie als Grundlage für die Verhandlungen mit dem Schwäbischen Bund in Ulm. Dieser Zusammenschluss aus mehreren Fürstentümern, Klöstern und Reichsstädten ist zuständig für die Einhaltung der Landordnung und die Sicherung der Reichsgrenzen. Faktisch ist er die Vertretung der Grundherrschaft und damit der Gegenspieler der Bauern.

Auf Zeit gespielt

Der Schwäbische Bund gibt sich zunächst verhandlungsbereit, eingeschüchtert durch die 40 000 bewaffneten und schwer berechenbaren Bauern, die nur ein paar Wegstunden entfernt lagern. Der Bund versucht, Zeit zu gewinnen, um sein Heer militärisch aufzurüsten. Wie man intern wirklich denkt, verraten die Briefe des bayerischen Kanzlers Leonhard von Eck. „Aus den Forderungen der Bauern ersieht man, was die lutherische Lehre anrichtet: Dieser Teufel ist nicht zu bannen ohne den Henker.“ Weiter: „Wir werden den Bauern nicht nachgeben. Der Bauern brüderliche Liebe ist mir zuwider. Ich habe mit meinen leiblichen Geschwistern nicht gerne geteilt, geschweige denn dass ich es mit Bauern täte.“

Als das Heer des Schwäbischen Bundes unter der militärischen Führung des Georg Truchsess von Waldburg stark genug ist, beenden seine Vertreter kommentarlos die Verhandlungen und fordern die Bauern auf, ihre Haufen aufzulösen, ihre Waffen abzuliefern und friedlich nach Hause zu gehen. Bei den Bauern in Memmingen löst das Hohngelächter und Wutausbrüche aus. Einzelne Trupps ziehen auf eigene Faust hinaus ins Land, stürmen Burgen und Schlösser, plündern Klöster und Gotteshäuser. Der Krieg beginnt.

Keine Chance

Das Heer des Schwäbischen Bundes mit 9 000 Söldnern und 1 500 gepanzerten Reitern greift am 4. April 1525 den Leipheimer Haufen an. Die überraschten Bauern haben gegen die kriegserfahrenen und gut ausgerüsteten Landsknechte keine Chance und werden niedergemetzelt oder in die eiskalte Donau getrieben, wo sie ertrinken. Die Kämpfe in den folgenden Wochen spielen sich immer nach dem gleichen Muster ab: Die Bauern warten ab, der Truchsess attackiert und vernichtet so einen Haufen nach dem anderen, ohne selbst größere Verluste zu erleiden. Den Bauern gelingt es nicht, sich abzustimmen und eine gemeinsame Kampftaktik zu entwerfen. Die Truppen des Truchsess Georg von Waldburg, der sich durch seine Grausamkeit den zweifelhaften Namen „Bauernjörg“ erwirbt, wüten gnadenlos. Sie fallen in die Dörfer ein, plündern, brandschatzen und vergewaltigen, treiben das Vieh weg, stecken die Häuser an und lassen ganze Dörfer in Flammen aufgehen.

Das kunsthistorisch bedeutende Chorgestühl in der St.-Martins-Kirche überlebte den Bildersturm
Foto: Martin Glauert

Das kunsthistorisch bedeutendeChorgestühl in der St.-Martins-Kircheüberlebte den Bildersturm.

Wo aber ist Luther? Das Mastermind, der mutige Mann, der dem Kampf der Bauern die ideologische Grundlage und theologische Rechtfertigung gegeben hat? Er gießt Öl ins Feuer der Gewaltorgien und verfasst seine Kampfschrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“. Der Ton ist drastisch: „Dreierlei greuliche Sünden wider Gott und Menschen laden diese Bauern auf sich, daran sie den Tod verdient haben an Leib und Seele mannigfältiglich … daß sie Aufruhr anrichten, rauben und plündern mit Frevel. Darum soll hie zuschmeißen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer das kann, und gedenken, daß da nichts Schädlicheres, Giftigeres, Teuflischeres sein kann, denn ein aufrührerischer Mensch.“

In diesen Tagen, am 13. Juni 1525, feiert Martin Luther Hochzeit mit der ehemaligen Nonne Katharina von Bora.

Die Bauernkriege gelten bei den Historikern als Europas größter Aufstand, gemessen an der Zahl der Teilnehmer. Weit mehr als 100 000 Tote hat er gekostet und hinterlässt verwüstete Städte, Dörfer und Äcker. Bei den Menschen brennt sich die Gewissheit ein, dass ein Aufbegehren gegen die Obrigkeit offenbar vergeblich ist. Für mehr als 300 Jahre versinkt Deutschland danach in stumpfer Untergebung. Als Leuchtturm aus dieser dunklen Zeit ragen jedoch die Zwölf Artikel hervor. 

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