Wir haben keine andere Zeit als diese

Von der Kunst, sich der Hoffnung hinzugeben
Foto: Christian Lademann

Die Kirche scheint dem Untergang geweiht. Kirchengebäude werden verkauft, die finanziellen Ressourcen werden sich in Kürze halbieren, der Ton wird rauer angesichts der Aushandlungsprozesse rund um die knapper werdenden Mittel. Die Terminkalender kirchlicher Verantwortungsträger platzen aus allen Nähten, weil sich die Organisation nicht in der Geschwindigkeit umbauen lässt, wie ihr die Puste ausgeht. Neben dem Rumoren der kirchlichen Strukturen ist da ja auch noch das viel größere Problem, dass Menschen zunehmend weniger religiös ansprechbar sind. Es stellt sich die Frage, ob wir am Ende dieses Krisenstrudels kirchlicher Selbstbeschäftigung überhaupt noch in der Lage sind, uns Menschen verständlich zu machen. 

Schlimmer als jetzt war es sicher nie in der Kirche. Das steht fest. Manch einer wünscht sich zurück in die warme Stube volkskirchlicher Vergangenheit und fragt mit der rosaroten Brille auf der Nase, wann es endlich wieder so wird, wie es nie war. Beim Blick in die Zukunft scheint defensiver Pessimismus die sichere Bank zu sein. Wenn schon alles den Bach runtergeht, will man wenigstens nicht zu denen gehören, die naiv gewesen sind. Narrative des Niedergangs haben Hochkonjunktur, von Hoffnung traut sich kaum eine zu reden. 

Vielleicht ist es Teil der institutionellen Selbstverstrickung, dass sich die Kirche gegenwärtig das Wort von der Hoffnung kaum selbst predigen kann. Gott sei Dank gibt es dann und wann kluge Journalisten, die das übernehmen. Für mich war kürzlich der Blogeintrag „Das Schlimmste hat immer Recht“ (Das Schlimmste hat immer Recht – das Muster des Worst-Case-Chronozentrismus (Digitale Februar Notizen) – Digitale Notizen) des Journalisten Dirk von Gehlen wie ein kleines Evangelium, das die Kirche braucht. 

Geschichten vom Niedergang

Von der Kirche ist in dem Text gar nicht die Rede. Der Autor wendet sich dem gesellschaftlichen Phänomen des Chronozentrismus zu. Er beschreibt, dass Menschen dauernd glauben, die Zeit, in der sie jetzt leben, sei die schlimmste. Menschen nehmen in der aktuellen politischen Großwetterlage ein Problem wahr und erheben es zur Zeitdiagnose. Dabei verfangen sie sich in dem Muster, sich laufend einzureden, früher sei alles besser gewesen. Wir erzählen einander so große Geschichten vom Niedergang, dass wir mehr und mehr das Gefühl bekommen, nichts tun zu können. Jegliche Selbstwirksamkeit kommt uns abhanden. Für van Gehlen liegt genau darin die Gefahr. Wenn wir den Menschen ausreden, dass sich Teilhabe lohnt, haben die Populisten gewonnen. Van Gehlen negiert nicht die gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen dieser Zeit. Sie fühlen sich zu recht tiefgreifend an, weil wir sie ja bewältigen müssen. Aber er redet einer bestimmten Haltung das Wort, die nicht in Fatalismus verfällt, sondern sich der Hoffnung auf eine gestaltbare Zukunft verschreibt. 

Van Gehlens Text bringt mich inmitten unserer kirchlichen Erosionsprozesse ins Nachdenken. Auch hier ist ein Chronozentrismus am Werk. Die Entwicklungen sind tiefgreifend und herausfordernd, keine Frage. Und doch gehen diese realen Entwicklungen mit einander überbietenden Untergangsnarrativen eine ungute Melange ein. Die Frage ist: Rechnen wir eigentlich mit einer sich durch diese Umbildungsprozesse entwickelnden Kirche, in der es sich zu leben und zu glauben lohnt? Lässt sich eine Haltung entwickeln, die jenseits aller rosaroten Brillen damit rechnet, dass das, was da wird, gut sein könnte? Eine Kirche mit weniger Mitgliedern, weniger Steinen, weniger Geld, die trotzdem getragen ist vom Evangelium und anziehend wirkt auf diejenigen, die Licht sein wollen und Salz, eine Kirche, die ausstrahlt. 

Eleganz des Fatalismus

Und wie steht es eigentlich um die Selbstwirksamkeitserfahrungen in der Kirche? Gegenwärtig geht zahlreichen Ehrenamtlichen in den Kirchenvorständen die Puste aus, weil sie nicht das Gefühl haben, gestalten zu können, sondern schlicht den Niedergang zu verwalten. Dieses Gefühl ist kein bloßes Empfinden, sondern wurzelt auch darin, dass wir uns im Protestantismus sehr gut darin eingerichtet haben, Ideale der Beteiligung vordergründig zu bejahen und sie in unseren Strukturen nur mehr schlecht als recht einzulösen. Manchmal wirkt es fast ein wenig hilflos, wie in allerlei kirchlichen Zukunftsprozessen Beteiligungsformate geschaffen werden und dann mit den Voten der sich Beteiligenden im Nachgang kaum etwas geschieht. Wir benötigen dringend Räume für wirkliche Selbstwirksamkeitserfahrungen. Diese sind der Motor, warum Menschen überhaupt ehrenamtlich engagiert sind. Es braucht da nicht bloß hier und da einen guten Willen, sondern einen echten Kulturwandel. 

Wahrzunehmen ist zudem etwas, was sich vielleicht mit der Eleganz des Fatalismus beschreiben lässt. Da sind vor allem Kirchenleitende leicht zu verführen. In Zeiten, in denen man kirchenleitend kaum etwas „richtig“ machen kann, erscheint es verführerisch, zumindest als derjenige in Erscheinung zu treten, der schonungslos die harten Realitäten benennt. Dass das geschieht ist sicher sinnvoll und wichtig. Dennoch besteht darin eine gewisse Sogwirkung. Wenn ich schon nicht die große Rettergestalt sein kann, dann doch zumindest derjenige, der möglichst elegant den Niedergang beschreibt und dafür Applaus bekommt. 

Widerständiges Hoffen

Es liegt schon eine gewisse Ironie darin, dass gerade der Kirche, die zutiefst von der Hoffnung getragen ist, diese Hoffnung im Hinblick auf ihre eigene Zukunft so sehr abhanden kommt. Manchmal geht es mir selbst so, dass ich mich frage, warum gerade ich nun in diese anstrengenden Zeiten hineingeboren werden musste. Die ersten Jahre meiner Berufstätigkeit habe ich in einer Institution gearbeitet, die nicht wahrhaben wollte, was sich abzeichnet und bis zu meinem Ruhestand und darüber hinaus werden die Erosionsprozesse in vollem Gange sein. 

Am selben Tag, an dem ich auf den Text van Gehlens gestoßen bin, saß ich in der Andacht einer Freundin, die mir eine Gedichtzeile von Mascha Kaléko in Erinnerung rief: „Wir haben keine andere Zeit als diese.“ Die Zeile begleitet mich seitdem, weil sich für mich darin so viel ausspricht von dieser widerständigen Hoffnung, die in allen Widrigkeiten mit einer gestaltbaren Zukunft rechnet. Der gleichnamige Gedichtband liegt seit ein paar Tagen auf meinem Küchentisch. Jeden Morgen übe ich mich ein wenig ein in diese Art des widerständigen Hoffens , die Mascha Kaléko so meisterhaft beherrscht. Jeden Morgen lese ich eins ihrer Gedichte, bevor ich die Nachrichten wahrnehme, bevor ich den ersten zoom starte mit kirchlichen Zukunftsfragen. Und wenn ich den letzten Schluck Kaffee getrunken habe und die letzte Zeile noch in mir nachklingt, setze ich mich an meinen Schreibtisch und fange an. Was auch sonst. Ich habe keine andere Zeit als diese. 

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Foto: Christian Lademann

Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.

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