Der Kirchenkampf und die Medien
Der so genannte Kirchenkampf vor allem des Jahres 1933 wurde nicht zuletzt in den Medien ausgetragen. Das hartnäckige Ringen um Glaube und Selbstständigkeit innerhalb der evangelischen Landeskirchen und im Gegenüber zum NS-Staat mit Hilfe der Medien beleuchtet Christopher Spehr, Professor für Kirchengeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Der „Kirchenkampf“, jene zeitgenössisch auch als „Kirchenkonflikt“ oder „Kirchenwirren“ bezeichnete Auseinandersetzung um die evangelische Kirche im NS-Staat, umfasste drei Dimensionen: Sie war zum einen ein Ringen um Macht und Bekenntnis innerhalb der evangelischen (Landes-)Kirchen, zudem im Gegenüber zum NS-Staat mit seinen Akteuren und Ideologien und schließlich innerhalb einzelner kirchenpolitischer Gruppen. Im Kern ging es um die Auseinandersetzungen der Jahre 1933 und 1934, die bis 1945 facettenhaft ausgriffen. Der Kirchenkampf war nicht nur eine verbale, sondern auch eine mediale Auseinandersetzung. Zugespitzt lässt sich formulieren: Insbesondere im Jahr 1933 war der Kirchenkampf ein Medienereignis par excellence.
In dem Maße, in dem sich die Printpublizistik zum Massenmedium entwickelte und in Partei- und Richtungszeitungen ausdifferenzierte, etablierte sich auch eine selbstständig organisierte evangelische Pressearbeit. Unter dem Leiter des „Evangelischen Pressverband[es] für Deutschland“ (EPD), August Hermann Hinderer, avancierte die evangelische Publizistik in den 1920er-Jahren zu einem einflussreichen Player im Mediengeschäft. Hinderer, der den Begriff „Öffentlichkeit“ prägte, gelang es mit seinem Team und der Gründung der Nachrichtenagentur „Evangelischer Pressedienst“ (Epd) in Berlin, den Journalismus an der Schnittstelle zwischen Kirche und Gesellschaft zu professionalisieren.
Die Nationalsozialisten setzten stark auf die neuen technischen Massenmedien Hörfunk (besonders seit 1930) und Film. Mit dem wachsenden Einfluss der NSDAP rückten auch die Kirchen in den Fokus der Begehrlichkeiten, so dass schließlich Wilhelm Kube, Fraktionsvorsitzender der NSDAP im Preußischen Landtag, im Januar 1932 in der NS-Zeitung „Völkischer Beobachter“ Nationalsozialisten zur „Eroberung“ der evangelischen Kirche aufrief. Die 1932 in Berlin gegründete „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ (GDC) zielte von Anfang an auf einen Umbau der evangelischen Kirche im Sinne des Nationalsozialismus – mitsamt völkisch-rassistischer Ideologie und Antisemitismus. Programmatisch verbanden die Deutschen Christen (DC) die Geschichte ihrer Bewegung mit einer Geschichtsdeutung, die in Adolf Hitler Gottes wirkmächtiges Handeln sah und in einer geradezu messianischen Geschichtstheologie gipfelte. Im aggressiven Stil forderten sie die Umwandlung der „alten Beamten- und Pastorenkirche“ in eine „neue, organische Volkskirche“, genauer in eine gleichgeschaltete Reichskirche. Um ihre GDC-Organisation aufzubauen, zu vernetzen und an Popularität zu gewinnen, wurde von Anfang an auf Publizistik gesetzt. Neben Broschüren und Werbematerial gründeten sie Mitte Oktober 1932 das Sonntagsblatt „Evangelium im Dritten Reich“. Weitere DC-Zeitungen kamen hinzu. Pfarrer Albrecht Freitag aus Berlin-Charlottenburg, „Sachberater für Pressefragen“ der GDC, gab die Parole aus: „Die Presse ist […] zu der Kanzel unserer Bewegung in der Öffentlichkeit geworden“.
Berauscht von der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und dem „Erfolg“ der „nationalen Erhebung“ beschleunigte die GDC ihren Feldzug gegen die herkömmlichen Kirchenstrukturen und deren Leitungspersonal. Zum medialen Erfolg – besser zum Medienereignis – wurde die erste Reichstagung der GDC Anfang April 1933. Sie fand nicht nur prominent im Preußischen Landtag statt, sondern wurde auch öffentlichkeitswirksam mithilfe des modernsten Massenmediums, dem Hörfunk, inszeniert. Pfarrer Joachim Hossenfelder, Leiter der GDC, informierte am 3. April im Rundfunk über die Ziele der Bewegung. Anschließend wurde die Eröffnungsveranstaltung ins Reich übertragen. In ihr drohte Wilhelm Kube, mittlerweile Oberpräsident von Berlin und Brandenburg, der evangelischen Kirche mit massiven Eingriffen, sollte sie sich nicht den Forderungen der GDC fügen. Hossenfelder schrie am Ende der Tagung: „Der Staat Adolf Hitlers ruft nach der Kirche, die Kirche hat den Ruf zu hören!“
Kubes Rede machte deutlich, dass die NSDAP und der NS-Staat die GDC unterstützten. Dass dies im Widerspruch zu Hitlers Reichstagserklärung vom 23. März 1933 stand, in der er den Kirchen ihre rechtliche Unantastbarkeit zugesichert hatte, wurde in der kritischen Tagespresse, die es trotz Verbot der linken Zeitungen noch im Frühjahr 1933 gab, durchaus wahrgenommen. Während die NS-Zeitungen auffällig zurückhaltend von der Tagung berichteten, kritisierten die bürgerlichen Zeitungen beispielsweise die scharfe Tonart der Referate oder warnten wie die „Kölnische Zeitung“ vor einem „Staatskirchentum“. Dennoch: Aufgrund der umfangreichen Berichterstattung und der Identifikation der DC als Gestalter der nationalen Erneuerung der evangelischen Kirche fand die GDC in den kommenden Wochen enormen Zulauf. Zudem realisierte sich wenige Tage später die auf der Tagung ventilierte Forderung der „Gleichschaltung“ in einer Landeskirche. In Mecklenburg-Schwerin wurde am 22. April für kurze Zeit ein Staatskommissar eingesetzt.
Aufgeschreckt durch die Ereignisse, wurde vom Deutschen Evangelischen Kirchenbund ein dreiköpfiger Ausschuss zur „Neugestaltung des deutschen evangelischen Kirchentums“ eingesetzt. Dass Hitler zudem noch den DC-Mann und Königsberger Wehrkreispfarrer Ludwig Müller als seinen „Vertrauensmann und Bevollmächtigten“ in das Gremium entsandte, wurde zwar von dem „Drei-Männer-Kollegium“ irritiert zur Kenntnis genommen, von der deutschen Tagespresse aber fast durchgehend begrüßt. Als Ergebnis legte der Ausschuss Mitte Mai das „Loccumer Manifest“, die Grundlage der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK), vor.
In Schockstarre
Nachdem im Vorfeld Hossenfelder in zehn „Grundsätzen“ den Umbau der Kirche zu einer einheitlichen Reichskirche lutherischer Prägung mit einem Reichsbischof an der Spitze und Christen „arischer Rasse“ als Mitglieder medienwirksam gefordert hatte, regte sich Widerspruch gegen die DC-Vorstellungen. Zuvor hatten bereits erste Initiativen gegen die staatlichen Eingriffe in den Raum der Kirche protestiert und Schrift und Bekenntnis als Kern der Kirche hervorgehoben. Wirksam aber war erst die Gründung einer neuen Gruppe, die unabhängig von den verfassten, geradezu in Schockstarre geratenen Landeskirchen agierte – die „Jungreformatorische Bewegung“. Ein Kreis um Gerhard Jacobi (Pfarrer in Berlin-Charlottenburg), Walter Künneth (Leiter der Apologetischen Zentrale in Berlin-Spandau), Hanns Lilje (Generalsekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung) und Theodor Heckel (Oberkonsistorialrat in Berlin) verfasste innerhalb kurzer Zeit einen „Aufruf zur Sammlung“ und brachte Unterstützer und Unterstützerinnen zusammen.
Medialer Coup
Am 9. Mai 1933 luden die Initiatoren in- und ausländische Medienvertreter zu einer Pressekonferenz ins Berliner Hotel Adlon, wo sie die Gründung der Bewegung verkündeten. Damit war ihnen ein medialer Coup gelungen, bestand die „Bewegung“ bis zu diesem Zeitpunkt doch nur aus den wenigen Initiatoren und Unterstützern. In den nächsten Tagen erschien die Nachricht mitsamt „Aufruf“ reichsweit in der Tagespresse – innerhalb einer Woche wuchs die Zahl auf mehr als 3 000 Unterstützer. Das Vorgehen der Jungreformatoren, die Öffentlichkeit von Beginn an durch die Presse zu informieren, war für den kirchlichen Raum medienstrategisch ein Novum. Um auf die aggressiv-kämpferische Propaganda der GDC effektiv zu reagieren und sich als Gruppe von der verfassten Kirche zu unterscheiden, griffen die den NS-Staat gleichwohl begrüßenden Jungreformatoren zu neuen Kommunikationsformen. Inhaltlich plädierten sie für den raschen Neuaufbau der evangelischen Kirche aus dem Wesen der Kirche heraus, für einen Reichsbischof und eine geistliche Kirchenleitung. Außerdem lehnten sie den so genannten Arierparagraphen und die „Ausschließung von Nichtariern“ aus der Kirche ab.
Noch während der Verfassungsausschuss tagte, begann der Streit um das Reichsbischofsamt, der sich zur Personaldebatte zuspitzte. Am 16. Mai hatte die „Tägliche Rundschau“ in einem Zeitungsartikel in Aufnahme der Gegenüberstellung Petrus oder Stephanus für den „ersten Diakon der Kirche“ an deren Spitze plädiert. Die Jungreformatoren griffen die Idee auf und forderten wenige Tage später vor der Hauptstadtpresse „einen Mann wie Friedrich von Bodelschwingh“ (Bielefeld-Bethel) als Reichsbischof. Demgegenüber brachte die GDC jetzt Ludwig Müller in Stellung, nachdem dieser soeben den Machtpoker um die Führung der GDC gegen Hossenfelder verloren hatte.
Am 24. Mai überschlugen sich die Ereignisse. Über die Nachrichtenagentur Wolff’sches Telegraphenbüro war die Nachricht verbreitet worden, die Bevollmächtigten des Kirchenbundes hätten Ludwig Müller zugestimmt. Jetzt musste der zögerliche „Drei-Männer-Ausschuss“ reagieren. Nachdem nachmittags Hermann Kapler, Mitglied des Ausschusses, der Presse mitgeteilt hatte, dass sie sich geeinigt hätten, ließ er am Abend verlauten, von Bodelschwingh sei als Reichsbischof ausersehen. Am folgenden Tag war das Medienecho in der Tagespresse geteilt. Ein Großteil meldete verkürzt Bodelschwingh sei Reichsbischof, ein geringer Teil Müller. Selbst NS-Zeitungen wie das Mannheimer „Hakenkreuzbanner“ titelten am 26. Mai „Bodelschwingh“, um am folgenden Tag – nachdem die GDC eine erneute Pressemeldung verbreitet hatte – einzuräumen, Müller sei als Reichsbischof vorgesehen.
Aufgrund der parteiischen Pressemeldungen entwickelte die Personalie ihre eigene Dynamik mitsamt Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Obwohl die Landeskirchenvertreter auf ihrer Sitzung am 27. Mai mehrheitlich Bodelschwingh zum Reichsbischof gewählt hatten – die Wahl wurde später auf Druck der GDC in „Designation“ umbenannt –, entbrannte ein Streit um den rechtmäßigen Anspruch, der offen in der Tagespresse ausgetragen wurde. Während der gewählte 55-jährige Bodelschwingh sich am Abend des 27. Mai in einem Grußwort zu Wort meldete, sprach Müller am selben Abend öffentlich im Berliner Deutschlandsender und tadelte die evangelischen Kirchenleitungen, den „Ruf der Stunde“ und „Gottes Stimme“ nicht gehört zu haben. Demgegenüber unterstützten die Jungreformatoren Bodelschwingh durch eigene Kommunikationsstrategien wie Vortrags- und Begegnungsabende, Flugblätter, Denkschriften, Rundbriefe und die Gründung der Zeitschrift „Junge Kirche“, deren erste Ausgabe am 21. Juni 1933 erschien.
Die GDC begann noch Ende Mai mit Unterstützung der NSDAP einen Propaganda-Feldzug gegen Bodelschwingh – mit Radiobeiträgen, Presseberichten, verbalen Drohungen, Unterstellungen und persönlichen Einschüchterungen. Ihre Devise lautete: „Die Gegenseite darf keine Zeit behalten, die Volksstimmung zu ihren Gunsten zu bearbeiten.“ Die engagierten Jungreformatoren hatten gegen die gewaltige öffentliche Einflussnahme der GDC keine Chance. Während Müllers und Hossenfelders Pfingstgottesdienst aus dem Riesengebirge im Radio übertragen wurde, konnte Bodelschwinghs Pfingstgottesdienst aus der Berliner Zionskirche wegen vorgeschobener technischer Probleme nicht genehmigt werden. Der Hörfunk war mittlerweile ganz in staatlicher Hand. Hinzu kam unter Androhung von Konsequenzen die Anweisung aus Goebbels Reichspropagandaministerium am 20. Juni: Die Presse habe „unter allen Umständen jede Diskussion über Kirchenfragen insbesondere über Streitigkeiten in der evangelischen Kirche“ zu unterlassen.
Öffentliches Kesseltreiben
Zum Rücktritt Friedrich von Bodelschwinghs am Abend des 24. Juni 1933 führte aber nicht allein das öffentliche Kesseltreiben, sondern der schwindende Rückhalt durch die einflussreichen Landesbischöfe und schließlich die überraschende Einsetzung August Jägers zum Staatskommissar für alle preußischen Landeskirchen. Der Weg für Ludwig Müller war frei.
Am 14. Juli 1933 stimmte die Regierung der neuen Verfassung der DEK zu. Noch am gleichen Tag wurde Jäger zurückgezogen und Kirchenwahlen wurden angeordnet. Hitler bestimmte kurzfristig Sonntag, den 23. Juli 1933, zum Wahltermin. Auch der Wahlkampf wurde zu einer Medienschlacht – allerdings mit ungleichen Mitteln. Weil mittlerweile die Tageszeitung „Tägliche Rundschau“ verboten worden war und die übrigen Zeitungen es aufgrund der Zensur nicht mehr wagten, dem NS-Regime zu widersprechen, dominierten jetzt die Medienkampagnen der GDC. Die von den Jungreformatoren in Berlin entwickelten Flug- und Druckschriften wurden durch die Geheime Staatspolizei umgehend beschlagnahmt. Zwar konnten Dietrich Bonhoeffer und Gerhard Jacobi die Rückgabe der noch nicht vernichteten Flugblätter erreichen, doch musste der Name der Kirchenpartei „Evangelische Kirche“ in „Evangelium und Kirche“ geändert werden.
Demgegenüber kämpfte die GDC mit allen legalen und illegalen Mitteln. Zum Medienereignis nochmals gesteigert wurde der Wahlkampf am Samstag vor der Wahl. In der Tagespresse wurde eine Ansprache Hitlers zur Kirchenwahl für den Abend in den Tageszeitungen angekündigt – Spannung und Erwartung stiegen noch weiter an. Aus Bayreuth meldete sich sodann der Reichskanzler über alle deutschen Rundfunksender zu Wort und rief das evangelische Kirchenvolk eindringlich zur Wahl der DC auf. Für die kirchliche Opposition, deren Vertreter bis zuletzt naiv an die Neutralität Hitlers geglaubt hatten, war das eine herbe Niederlage. Und tatsächlich gewann die GDC größtenteils die Kirchenwahlen. Der braune Spuk nahm seinen Lauf durch die kirchlichen Institutionen.
Obwohl der NS-Staat zunehmend die Presse gleichschaltete und mit dem zum 1. Januar 1934 in Kraft getretenen Schriftleitergesetz massiv einengte, gelang es zum Ärger der NS-Führer, den Streit um den Kurs der evangelischen Kirche anfangs noch öffentlich auszufechten. Dass hierbei der Kirchenkampf 1933 sogar als Medienereignis(se) ausgetragen wurde, hatten nicht zuletzt die bewusst auf die allgemeine Presse setzenden Kirchenparteien zu verantworten. In dem Maße aber, in dem die Presse eingeschränkt, die Landeskirchen gleichgeschaltet und die Arbeit der sich formierenden Bekennenden Kirche staatlich zensiert wurden, kam es zu Änderungen der öffentlichkeitswirksamen Strategien. Jetzt setzten die Akteure neben kirchlichen Synoden auf Großkundgebungen wie den rheinisch-westfälischen „Gemeindetag unter dem Wort“ am 18. März 1934 in Dortmund. Sie verdeutlichten dem NS-Staat, dass der Protest gegen deutsch-christliche Positionen größer war als zunächst angenommen.
Information
In Kürze wird das Thema durch einen Band vertieft, der auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Thüringen in Neudietendorf 2023 beruht: Siegfried Hermle/Hennig Pahl (Hg.): Medien des Kirchenkampfes. Göttingen 2025.
Christopher Spehr
Dr. Christopher Spehr ist Professor am Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.