Mehlfinger in den Wunden

Die "Tradwives" sind die Buhfrauen des Internets. Das ist ein Fehler.
Foto: privat

Die Nachrichtenlage ist nicht zum Aushalten, da hilft nur Eskapismus. Eines der „guilty pleasures“, der sündigen Vergnügen, denen ich mit zurzeit manchmal hingebe, ist, dass ich kleine Videos von so genannten „Tradwives“ schaue. Das sind junge Frauen, die in schönen Klamotten und sorgfältig geschminkt im Haushalt wirken. Für ein halbes Stündchen tauche ich dann ein in die Phantasie- und Märchenwelt dieser „traditional housewifes“ und stelle mir vor, ich würde Gummibärchen oder Bratwürste selbst herstellen, Tischdecken umhäkeln oder meinen acht Kindern beibringen, wie man Kühe von Hand melkt.

Keine Frau, die ich kenne, macht sowas, selbst wenn sie es könnte, hätte sie keine Zeit dafür. Genau deshalb ist der Trend ja so faszinierend. Die Tradwives inszenieren ein trotziges Gegenbild zur modernen, emanzipierten Frau, die - wie die meisten von uns - erwerbstätig ist, immer zu wenig Zeit hat, und im ständigen Spagat zwischen ihren vielfältigen Verpflichtungen kurz vorm Burnout balanciert.

Eine Zumutung

Seit einiger Zeit sind die Tradwives so etwas wie die Buhfrauen des Internet. Fast als hätten sie persönlich Donald Trump ins Amt katapultiert (und nicht etwa die vor allem weißen Männer, die ihn ganz überproportional gewählt haben, oder die Demokraten, die in vier Jahren keine Alternative aufgebaut haben oder oder oder). Sie werden kritisiert als Antifeministinnen, die jungen Frauen eine Welt vorgaukeln, die es nicht gibt, und sie davon abhalten, sich auf ihre Berufe und Karrieren zu konzentrieren.

Und ja, da ist natürlich was dran. Frauen beim Backen, Putzen und Kinderbespielen zuzuschauen, die unendlich viel Zeit und sichtlich keinerlei Geldsorgen haben, ist eine Flucht vor der Realität. Und für die emanzipierte Frau von heute eine Zumutung. Darf man das? Ist das nicht jugendgefährdend?

Globaler Trend

Im Übrigen gibt es das Phänomen nicht nur in der europäisch-amerikanischen Variante der Fünfzigerjahre-Hausfrau, sondern in praller kultureller Diversität. Der Trend ist global. Da wären zum Beispiel die „Silent Vlogs“ koreanischer Influencerinnen, die ihre aufgeräumte Hausfrauenwelt nicht nur ohne Gerede, sondern auch ohne Männer präsentieren - in Korea ist es unter jungen Frauen momentan „in“, Single zu bleiben. Dann sind da die Ehefrauen reicher Scheichs in Dubai, die sich natürlich nicht bei der Hausarbeit filmen, dafür gibt es Personal, sondern beim Shoppen, was sie sehr ausgiebig tun, denn in Dubai sind alle Ehemänner mehrfache Millionäre. Und schließlich gibt es noch unzählige religiösen „Content Creators“, die nicht nur filmen, was sie kochen und wie sie sich anziehen, sondern auch erklären, was man genau tun muss, um eine fromme jüdisch orthodoxe oder amische oder muslimische Ehefrau zu sein. 

Jaja, ich weiß, alles sehr edgy und bedenklich - aber ich kann mir nicht helfen, ich finde das interessant, jedenfalls wenn es gut gemacht (wie in jedem Genre ist auch viel Schrott dabei). Irgendetwas gefällt mir daran, wie weibliche Internetprofis ihre mehlbesprenkelten Finger in die Wunden der heutigen Erwerbsarbeitswelt legen, die eben allzu oft wenig Befriedigung mit sich bringt, dafür aber umso mehr Leistungsdruck, Stress, Zeitmangel. Denn aller feministischen Kritik zum Trotz ist unser Arbeitsleben eben immer noch auf kerngesunde Menschen ohne Care-Verpflichtungen eingerichtet. Die angebliche „Vereinbarkeit“ von Kindererziehung, Sorge für Alte und Pflegebedürfte und Berufstätigkeit ist ein Märchen, und den Preis bezahlen Frauen, die bis zur ständigen Erschöpfung rennen und schuften.

Keine Lösung

Natürlich ist plüschige Hausfrauennostalgie keine Lösung. Die wenigsten von uns werden sich einen reichen Scheich angeln oder in eine religiöse Sekte eintreten oder mit einer achtköpfigen Kinderschar auf eine Ranch in Utah ziehen. Wir probieren ja nicht mal die ganzen Super-Rezepte und Haushaltstipps aus, die sich in unserem „Gespeichert“-Ordner bei Instagram-Reels ansammeln. 

Sünde, um es mal theologisch zu wenden, ist aber nicht individuelle Schuld, sondern die Verstrickung in gottlose Strukturen. Und es sind die Strukturen, auf die sich auch die Kritik am Kult der „Tradwives“ richten muss - nicht auf einzelne Frauen, die „unfeministische“ Videos drehen. Oder sich anschauen. 

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