(Kein) rechtes Wort zur rechten Zeit?

Anmerkungen zur aktuellen Stellungnahme der Kirchen zum migrationspolitischen Kurs der CDU/CSU
EKD-Bevollmächtige Anne Gidion und der Leiter des Berliner katholischen Büros, Karl Jüsten
Foto: picture-alliance
Prälatin Anne Gidion, Bevollmächtigte der EKD in Berlin, und ihr katholischer Kollege Prälat Karl Jüsten am 18.12. 2024 in Berlin.

Gestern ist im Deutschen Bundestag das „Zustrombegrenzungsgesetz“ der CDU/CSU gescheitert. Die EKD und die katholische Deutschen Bischofskonferenz hatten den Entwurf schon zuvor klar abgelehnt. Der Wiener Theologe Ulrich Körtner kritisiert in seinem Beitrag, dass die EKD anscheinend keinen substanziellen Kurswechsel in der bisherigen Migrationspolitik für nötig hält. Dies führe dazu, dass sich viele immer weniger in ihrer Kirche repräsentiert fühlten.

In einer gemeinsamen Stellungnahme haben sich die Kirchen in Deutschland – genauer gesagt ihre Repräsentanten bei der Bundesrepublik Deutschland – in der aktuellen migrationspolitischen Debatte zu Wort gemeldet und die Vorschläge der CDU massiv kritisiert. Prälat Karl Jüsten, Leiter des Katholischen Büros in Berlin und Prälatin Anne Gidion, Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, weisen das Ansinnen zurück, den illegalen Zustrom von Drittstaatenangehörigen nach Deutschland durch ein Gesetz zu begrenzen, das schon einmal im Deutschen Bundestag auf der Tagesordnung stand, im November 2024 aber mehrheitlich abgelehnt wurde. 

Nun hatte es die CDU unter Friedrich Merz erneut auf die Tagesordnung gesetzt und anders als noch im vergangenen Jahr, bewusst in Kauf genommen, das Gesetz nun mit Unterstützung der AfD durch das Parlament zu bringen. Der Versuch ist gescheitert, das Thema einer wirksamen Begrenzung der irregulären Migration wird aber auf der Tagesordnung bleiben. Merz hat zwar stets betont, jede Zusammenarbeit mit der AfD abzulehnen. Seine Kritiker werfen ihm dennoch einen unverzeihlichen Dammbruch bzw. das Einreißen der vielbeschworenen Brandmauer gegenüber der AfD vor. Merz und die CDU argumentieren hingegen, die Parteien der Mitte dürften sich nicht in Geiselhaft der AfD nehmen lassen, wenn sie nur Anträge in die Parlamente ein bringen, bei denen nicht mit einer Zustimmung der AfD zu rechnen ist. Zustimmung durch die AfD in Einzelfragen sei keineswegs mit Zusammenarbeit gleichzusetzen, von Koalitionsoptionen ganz zu schweigen. Deutlich auf Distanz zur CDU gehen unter anderem die Kirchen. Sie halten den Vorstoß der CDU für demokratiegefährdend. Gleichzeitig bleiben sie bei ihrer migrationspolitischen Haltung, die sie seit der Flüchtlingskrise 2015/16 eingenommen haben. Diese versteht sich als humanitäres Ethos und als humanitäre Politik, die in Übereinstimmung mit Grundsätzen eines christlichen Menschenbildes die Würde jedes Menschen und die besondere Verpflichtung für Schwache, Notleidende und Verfolgte achtet. Die Frage, wann ein aufnahmewilliger Staat an seine Belastungsgrenzen stößt – und zwar nicht nur rein finanziell, sondern auch was die Integrationsfähigkeit sowie die Rechte und Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung betrifft –, hat für diese Position weniger Gewicht als die unterstellten moralischen und daraus abgeleiteten politischen Verpflichtungen gegenüber Geflüchteten und Schutzsuchenden. 

„Jede Begrenzung letztlich unchristlich“

Die vormalige Ratsvorsitzende der EKD Annette Kurschus äußerte im Oktober 2023 gegenüber der FAZ die Ansicht, jede Begrenzung der Aufnahmekapazitäten sei letztlich unchristlich. Aus Sicht der Nächstenliebe liege die Grenze erst da, wo es zu Selbstaufgabe komme. Man kann das als eine gesinnungsethische Position bezeichnen, welche die Verantwortung für die möglichen Folgen, etwa auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, weitgehend ausblendet. Auch wenn sich andere Kirchenvertreter öffentlich weniger rigoros äußern, ist die Haltung der Kirchen damit doch gut umrissen.

Die aktuelle Wortmeldung der beiden Kirchen hat eine doppelte Stoßrichtung: Es geht in ihr nicht nur um die Bekräftigung der eigenen migrationspolitischen Position, sondern auch darum, sich als Hüterinnen der Demokratie zu positionieren. Man darf dabei an den bekannten Ausspruch des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker erinnern, wonach die Kirchen nicht selbst Politik machen, wohl aber Politik möglich machen wollen, indem sie an die wertmäßigen Voraussetzungen des freiheitlichen, säkularen Staates erinnern, die der Staat selbst nach dem berühmten Diktum des Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde nicht garantieren kann. 

Mit ihrer gemeinsamen Stellungnahme wollen die Repräsentanten der beiden Kirchen jedoch keineswegs nur Politik möglich machen, sondern selbst Politik machen. Nicht nur ergreifen sie auf einem politisch und juristisch kontroversen Handlungsfeld eindeutig Partei. Sie schalten sich mit ihrer Stellungnahme auch in den deutschen Bundestagswahlkampf ein. 

So kann man auch den Auftritt der EKD-Präses Heinrich auf der Lichtermeer-Demo am 25. Januar werten. Auf der Demo, an deren Organisation sich neben zahlreichen Vereinen, Parteien, Gewerkschaften und Initiativen auch die EKD beteiligt hat, waren viele Plakate zu sehen, die sich ausdrücklich gegen Friedrich Merz und seine Absicht richteten, das „Zustromsbegrenzungsgesetz“ im Bundestag zur Abstimmung zu stellen.

Während auf anderen Politikfeldern von ökumenischer Übereinstimmung nicht mehr die Rede sein kann – man denke an die jüngsten Diskussionen zum Schwangerschaftsabbruch oder auch an die Kontroversen um den assistierten Suizid, üben die Kirchen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik den Schulterschluss. Hier möchte man endlich wieder einmal gemeinsam Stärke zeigen, die den Kirchen infolge der zunehmenden Säkularisierung und wachsenden Distanz zwischen ihnen und den politischen Verantwortungsträgern zunehmend abhandenkommt. Man kann die Stellungnahme daher auch als einen Versuch werten, ein Lebenszeichen öffentlicher oder politischer Theologie zu geben, um die es in letzter Zeit recht still geworden ist.

Auffallende Theologieabstinenz

An der gemeinsamen Stellungnahme fällt ihre Theologieabstinenz ins Auge. Sie untermauert ihre politische Position ausschließlich mit juristischen Argumenten. Nun ist es das gute Recht der Kirchen, Stellungnahmen in Gesetzgebungsverfahren abzugeben. Man fragt sich aber, worin die besondere Expertise der Kirchen auf migrationsrechtlichem, verfassungs- und europarechtlichem Feld liegt. Sicher haben die Kirchen, Diakonie und Caritas ihre juristischen Fachleute. Aber deren Stimme hat kein höheres Gewicht als diejenige anderer namhafter Juristen wie etwa des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, der Zurückweisungen an Deutschlands Grenzen nicht nur für rechtlich zulässig, sondern sogar für geboten hält, weil anders die Souveränität des Staates nicht gewahrt werden könne. 

Letztlich handelt es sich bei der Stellungnahme um die Bekräftigung einer gesinnungsethischen Position, die in juristische Argumente gekleidet wird. So möchte man sich unangreifbar machen, wie die Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig jüngst in der Zeitschrift Communio zutreffend kommentierte

Diese Vorgangsweise ist politisch leicht zu durchschauen. Sie erweckt den theologisch problematischen Eindruck, dass die Kirchen auf diese Weise wieder ein politisches Wächteramt in Anspruch nehmen will, das in der heutigen Theologie mit Blick auf eine moderne Demokratie weitgehend für problematisch angesehen wird.

Pikanterweise sind auf katholischer Seite Differenzen publik geworden. Demnach wurde die gemeinsame Stellungnahme zumindest nicht mit Zustimmung der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht. Unter den Bischöfen herrscht Uneinigkeit, wie sich an Wortmeldungen des Regensburger Bischofs Voderholzer und des Bischofs von Speyer Wiesemann ablesen lässt. Ersterer hat sich ausdrücklich von der Stellungahme distanziert, letzter signalisiert in der Sache Zustimmung, ohne das Dokument namentlich zu nennen. Über Unstimmigkeiten auf evangelischer Seite ist bislang nichts bekannt. 

Lautstarke Warnung

Die Stellungnahme suggeriert, dass sich die Kirchen einmal mehr auf die Seite derer schlagen, die keine substantiellen Änderungen in der deutschen Asylpolitik wollen. Neben den Anhängern des Kurses von Exkanzlerin Merkel ist das die Position von Rot-Grün. Die sich selbst als progressiv verstehenden Kräfte wollen in der Sache den Status quo fortschreiben, den breite Teile der Bevölkerung inzwischen ablehnen.

Paradoxerweise repräsentieren die vermeintlich Progressiven die politischen Beharrungskräfte, deren ideologische Voreingenommenheit man aber von einem Konservativismus im herkömmlichen Sinne unterscheiden muss. Die Kirchen warnen lautstark vor der AfD und dem demokratiegefährdenden Rechtspopulismus. Dass sie mit ihrer eigenen Positionierung den Rechtspopulismus weiter stärken könnten, wollen sie hingegen nicht gelten lassen.

Über den konkreten Anlassfall hinaus veranschaulichen die Wortmeldung der Kirchen und die sich an ihr entzündende Diskussion eine tiefer reichende Problematik im Verhältnis von Politik und Kirche. Verhandelt wird in den aktuellen migrationspolitischen Konflikten auch die Frage nach einem zukunftsfähigen Konservativismus, der nicht mit rechtspopulistischen oder rechtsextremen Einstellungen in einen Topf geworfen werden darf. 

Zunehmend politisch heimatlos

Einmal mehr zeigt sich, dass politisch konservative Christen in Deutschland zunehmend politisch heimatlos sind. Schon länger zeichnet sich eine Entfremdung zwischen der CDU und den Kirchen ab. Erkennbar wurde dies in der Debatte um das neue Grundsatzprogramm der Partei 2024 und die Frage, welche Rolle das „C“ künftig noch in der Programmatik der Partei spielen solle. Nach intensiven Debatten wurden folgende Sätze in das neue Programm eingefügt: „Unsere Politik beruht auf der Verantwortung vor Gott und den Menschen. Für uns ist der Mensch von Gott nach seinem Bilde geschaffen. Unser Kompass ist das christliche Bild vom Menschen.“ 

Das hinderte die Kirche allerdings nicht daran, schon vor der jüngsten Initiative im Bundestag an den migrationspolitischen Aussagen der CDU deutliche Kritik zu üben. Letztlich führt diese dazu, dass das politische Gewicht einer Vereinigung wie dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU weiter geschwächt wird. Nicht wenige Kirchenmitglieder, die sich als konservativ verstehen, aber gerade aus christlicher Überzeugung eine Partei wie die AfD nicht für wählbar halten, fühlen sich sowohl in der eigenen Kirche als auch in der politischen Parteienlandschaft nicht mehr ausreichend repräsentiert. Das gibt gleichermaßen kirchenintern wie demokratiepolitisch Anlass zur Sorge. 

 

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