
Ein neuer US-Präsident, der sich von Gott auserwählt fühlt, eine Prophetin, die ihm die Stirn bietet, eine schreckliche Gewalttat in Aschaffenburg, die politisch missbraucht wird, aber auch Lichter der Hoffnung – das war eine Woche mit ungewöhnlich vielen Zeitzeichen. Stephan Kosch lässt sie nochmal Revue passieren.
Vor genau einer Woche wurde Donald Trump zum 47. Präsidenten der USA ernannt. Eine Feier, die aus vielen Gründen schwer zu ertragen war. Das Gerede vom Goldenen Zeitalter, das nun beginne (wenn auch nicht für Migrant:innen und queere Menschen), das rüpelhafte Gerede über die Vorgängerregierung, die ausgerechnet Trump in Anwesenheit von Joe Biden und Kamala Harris als „radikales und korruptes Establishment“ bezeichnete, die Beschwörung des Fetisch Automobil samt neuer Ölbohrung, als gäbe es keinen menschengemachten Klimawandel (für Trump gibt es den ja auch nicht).
Ein echter Schlag in die Magengrube eines Christenmenschen aber war die Passage, in der Trump auf das Attentat auf ihn zu sprechen kam und behauptete: „Ich wurde von Gott gerettet, um Amerika wieder großartig zu machen.“ Eine Gotteslästerung, angesichts dessen, was Trump mit den Schwächsten der Gesellschaft vorhat. Dass er dann noch Martin-Luther King und seine Vision einer USA ohne Rassismus kapert und missbraucht, ist nur noch ein weiterer Übergriff auf das Gute in Amerikas Geschichte, das es in den nächsten vier Jahren schwer haben dürfte.
Biblische Botschaften
Aber je dunkler es wird, umso heller leuchten einzelne Lichter. Dass die Predigt einer Bischöfin aus Washington weltweit viral geht, ist in Zeiten schrumpfender Kirchen im Norden der Welt schon an sich bemerkenswert. Doch die Tatsache, dass eine „Schwester im Glauben“ die erste ist, die den selbsternannten US-Messias an seinen Worten misst und ihm klar macht, dass er einige wichtige Botschaften der Bibel offenbar vergessen hat, erfüllte viele Christenmenschen mit Stolz. Auch diesseits des Atlantiks, wo ja Theolog:innen gerne über die Frage streiten, wie politisch Kirche sein soll und manche sofort Moralismus wittern, wenn es um Haltung geht.
Nun war die Predigt von Mariann Edgar Budde ja vor allem das, eine Predigt, eine religiöse Rede, die nicht nur auf den Schlussabsatz reduziert werden sollte, wie Philipp Greifenstein in der „Eule“ sehr gut dargelegt hat. Doch weil Kirche zwar nicht parteipolitisch agieren sollte, aber um des Evangelium willens politisch sein muss und die Stimme für die Schwachen und in ihrer Würde bedrohten Menschen erheben muss, (sehr gute Zusammenfassung in wenigen Sätzen zu diesem Thema findet sich aus aktuellem Anlass auf dem Instagram-Account des rheinischen Präses Thorsten Latzel), wurde Mariann Edgar Budde zur Prophetin, die den vor ihr sitzenden weltlichen Herrscher mit dem Wort Gottes konfrontierte. Und zu einem Licht der Hoffnung.
Psychisch Kranke abschieben?
Apropos Licht – davon gab es viel am Samstagabend. Zehntausende trafen sich bei Demonstrationen in 60 Großstädten und vielen kleinen Städten Deutschlands und wollten ein Zeichen setzen. Gegen den Rechtsruck in der Politik, gegen die Verengung der politischen Agenda auf die Frage, wie lassen wir möglichst wenige aus ihrer Heimat geflohene Menschen ins Land? Und um es klar zu sagen, der schreckliche Messerangriff von Aschaffenburg, wurde nicht ignoriert, wie so manche Kommentatoren kritisierten. Zumindest in Berlin begann die Veranstaltung mit einer Schweigeminute für die beiden Opfer. Schweigen und Innehalten täte vielleicht auch so manchem politisch und publizistisch aktivem Menschen gut, der oder die sofort wieder mit strengerem Grenzregime und härterer Abschiebepraxis solche Taten verhindern will.
Aber wenn der Grund für diese und andere zu verurteilenden Gewalttaten eine psychische Störung des Täters war, müsste doch eigentlich der Lösungsansatz in der medizinischen Behandlung dieser Menschen liegen. Im Zweifel auch hinter verriegelten Türen, wenn von dem Kranken Gefahr ausgeht. Warum findet diese Behandlung offenbar zu wenig statt? Gibt es wieder einmal zu wenig Plätze? Wer spricht darüber? Zum Glück diese beiden Kolleg:innen der Zeit in einem kurzen Podcast. Wir lernen von Anaïs Kaluza, Psychologin und Redakteurin im Ressort Gesundheit: Die Mehrheit der Geflüchteten haben Gewalt erlebt in ihrem Land oder auf der Flucht und haben ein entsprechend höheres Risiko, psychisch zu erkranken. Und Gewalterfahrungen sind eine mögliche Ursache dafür, selber Gewaltverbrechen zu verüben. Experten schätzen, dass jeder vierte geflüchtete Mensch eine Therapie bräuchte, auch als Prävention gegen mögliche Gewalttaten. Aber nur fünf Prozent derjenigen Geflüchteten, die eine Therapie brauchen, bekommen sie auch. Spannend, oder? Aber zu komplex für Wahlplakate und Zeitungen mit großen Buchstaben.
Bei den Losern und Ausgegrenzten
Zurück zum Brandenburger Tor, an dem auch die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, zu den Demonstrant:innen redet. Man hört ihr zu, als sie von ihrem Glauben spricht: „Mein Glaube erzählt nicht vom Recht des Stärkeren, sondern von radikaler Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Mein Gott ist auf der Seite der Schwachen und Entrechteten, bei den Losern und Ausgegrenzten.“ Natürlich ist die Präses nicht die Bischöfin von Washington und vor ihr sitzt nicht der US-Präsident, sondern zehntausende Demonstranten, von denen sich wohl eher eine Minderheit zum Christentum bekennt. Nur 20 Prozent der Berliner:innen sind noch Mitglied einer Kirche. Und sie hören hier das politische und religiöse Zeugnis einer Christin, die sich gegen jede Zusammenarbeit mit Rechtsextremen ausspricht. „Alle reden von Brandmauer, zuallererst brauchen wir Anstand. Wer Anstand hat, macht keine Sache mit Rechtsextremen. Wer Anstand hat, hält Abstand. Und zwar den größtmöglichen. Im Parlament und überall.“
Das geht an Friedrich Merz. Der CDU-Kanzlerkandidat hat ja in diesen Tagen mehrmals bekräftigt, dass es ihm egal ist, ob die AFD seiner migrationspolitischen Verschärfung zustimmt oder nicht. Dass in dem Entschließungsantrag, der in diesen Tagen in den Bundestag kommt, die AFD stark kritisiert wird und sie eigentlich nicht zustimmen kann, geht in der Debatte unter. Denn tatsächlich bekommt die „Brandmauer“ durch solche Aussagen weitere Risse, und durch die scheint eben kein Licht. Es pfeift vielmehr der kalte Wind des Populismus hindurch. Gut, wenn Kirche dagegenhält.– von Washington bis nach Berlin.
Stephan Kosch
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".