Ein Augenschmaus

„Hollands Kunstwunder“: Die Barockmalerin Rachel Ruysch
Rachel Ruysch: Blumenstillleben in einer Glasvase auf einem Marmorsims, 1710.
Foto: The National Gallery, London/© Private Collection
Rachel Ruysch: Blumenstillleben in einer Glasvase auf einem Marmorsims, 1710.

Ein Blick auf ein Bouquet der Amsterdamerin Rachel Ruysch (1664–1750) zeigt die Pracht und Detailverliebtheit, die ihre leuchtende Stilllebenmalerei auszeichnen. Zweifarbige Tulpen sind kunstvoll neben Pfingstrosen, Chrysanthemen und Lilien arrangiert. Im Vordergrund windet sich eine zum Betrachter biegende Sonnenblume, auf deren Blatt ein weißer Schmetterling ruht und in deren Blüte eine Biene krabbelt. Oberhalb des Sims führen Geißblattblüten den Blick zu einer auf dem Sims sitzenden großen Libelle mit ihren ausgebreiteten, zart bläulich schimmernden Flügeln. Diese streckt dem Betrachter ihr stachelförmiges Hinterteil zu.

Ruyschs zum Teil großformatige Ölbilder zeigen opulente Kompositionen kunstvoll arrangierter Blüten aus verschiedenen Jahreszeiten, ergänzt mit einer Vielzahl von akribisch gemalten Schmetterlingen, Käfern oder gar Reptilien. Die naturwissenschaftlich geprägte und international vernetzte Feinmalerin bezieht in ihre Blumen- und Fruchtstücke auch exotische Arten ein.

Ihr Spiel mit der Realität erschafft eine Scheinrealität, beispielsweise indem sie bei der Darstellung von Schmetterlingen auf einen Trick zurückgreift, den ihr ihr Lehrer zeigte. Diese Wesen wurden in die noch klebrige Farbe gedrückt und wieder abgezogen. Zurück bleiben Flügelschuppen und Härchen und erzeugen in der malerisch vollendeten Form jene berückende Zartheit. Der Titel der Ausstellung ihrer Bilder „Nature Into Art“ in der Alten Pinakothek in München spielt auf Ruyschs genaue Naturbeobachtung, ihre Faszination für deren Schönheit und ihre Verwandlung in Kunst an.

Gräser wie Sternschnuppen

Das Licht konzentriert sich immer auf die prall gefüllten Blüten in der Mitte des Bouquets, einige Rispen erscheinen wie ein herabfallender Blütenregen. Gerne lässt Ruysch einzelne Gräser wie kleine Sternschnuppen an den Seiten eines Arrangements aufleuchten. Teilweise welken ihre Blüten elegant, zum Teil strahlen sie an der Schwelle des Sterbens noch einmal in voller Farbenpracht und weisen so auf die Vergänglichkeit ihres Naturkosmos hin.

Schon als Kind lernt die Malerin genaues Sehen und zeichnet viele der Sammlungsstücke ihres Vaters Frederik Ruysch, eines angesehenen Gelehrten für Anatomie und Botanik. Als junge Malerin erhält sie zusammen mit ihrer Schwester Anna eine mehrjährige Ausbildung. Ein äußerst seltener Umstand ihrer Zeit, der zeigt, wie intensiv ihr Vater seine Töchter förderte.

Die Münchener Ausstellung folgt Ruyschs Lebensphasen. Mit 36 Jahren, sie ist seit sieben Jahren mit einem bekannten Maler verheiratet und wird mit ihm zehn Kinder bekommen, beginnt ihre Hauptschaffensphase, in der sie drei bis vier Werke pro Jahr malt. Mit 37 Jahren wird die Malerin Mitglied in der Künstlerbruderschaft Pictura in Den Haag, mit 44 Jahren gar Hofmalerin des mächtigen Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz. Ohne Residenzpflicht in Düsseldorf. So kann sie zeit ihres Lebens in Amsterdam leben. Rachel Ruysch ist eine gute Geschäftsfrau, ihre kostbaren, begehrten und raren Bilder erzielen Preise von 750 bis 1 250 Gulden. Dies ist umso bemerkenswerter, als im 17. Jahrhundert selten mehr als 500 Gulden für ein Werk eines angesehenen Malers gezahlt wurden. Ruysch malt bis ins hohe Alter, auf das sie seit ihrem 71. Lebensjahr stolz in ihrer Signatur verweist. Sie stirbt sehr wohlhabend und hoch verehrt mit 86 Jahren. Ihr Biograf Johan van Gool, der sie zu ihren Lebzeiten trifft, nennt sie „Hollands Kunstwunder“ und „unsere geniale Kunstheldin“.

Die Verbindung von Kunst, Natur und Wissenschaft ihrer Zeit zeigt das Kuratorenteam dieser weltweit ersten monografischen Schau in einem eigenen Ausstellungsraum. Präsentiert werden hier unter anderem Forschungsinstrumente, beispielsweise ein Mikroskop von 1 700. Dazu eine Vielzahl an Präparaten, darunter die faszinierende Wabenkröte namens Pipa pipa, die der Besucher auch auf einem zeitgenössischen Kupferstich betrachten kann. 

 

Information
Die Ausstellung „Nature Into Art“ ist bis zum 16. März in der Alten Pinakothek in München zu sehen.

Der lesenswerte Katalog „Rachel Ruysch, 1664–1750, Nature Into Art“ kostet 39,90 Euro.

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