Hans-Martin Gutmann will mit seinem neuen Buch Wir brauchen Väterlichkeit eine Väterlichkeitsbewegung anstoßen und inhaltlich-kritisch begleiten. Der emeritierte Hamburger Professor für Praktische Theologie legt ein Plädoyer für einen „heilsamen Konservatismus“ vor: Väter- und Großväterlichkeit als Arznei gegen reaktionären Konservatismus und Neoliberalismus, „die gegenwärtig unsere Demokratie, unsere Freiheit, unser Land zu zerrütten“ drohen.
Damit ist das politische Programm beschrieben, das dem kurzen Band zu Grunde liegt, den man(n) an einem Nachmittag durchgelesen hat. Doch damit ist viel zu wenig gesagt über die Haltung, aus der heraus – und den Stil, in dem das Buch geschrieben ist. Gutmanns Geschichtenerzählen ist selbst Teil der Botschaft, die er senden möchte. Ein Antwortversuch auf zwei miteinander verwobene Fragen: Wie kann es (heute) gelingen, ein guter (Groß-)Vater zu sein? Kann eine recht verstandene und geübte Väterlichkeit Teil der Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit sein?
Wir brauchen Väterlichkeit ist kein typischer Ratgeber für junge Väter. Vielmehr führen die biografischen Erzählungen und die kleinen Film- und Literaturstudien – unter anderen „Das fliegende Klassenzimmer“, „Star Wars“ und „Harry Potter“ – in eine selbstständige Reflexion dessen, was es bedeuten kann, als Vater und Großvater Begleiter von jungen Menschen zu sein. Gutmann spannt dazu einen Bogen von der Schilderung eigener Kindheitserinnerungen mit dem Vater bis zum Nachdenken über seine eigene Vater- und Großvaterschaft. Den Schluss des Buches bildet ein sehr knapper Durchgang durch das Vaterunser, ein kleiner Väterlichkeits-Katechismus.
Damit hat es sich im Buch übrigens auch mit der Theologie. Von jungschen Archetypen in Bibeltexten und anderen fraglich gewordenen Traditionsgütern einer am Mann-Sein interessierten Theologie keine Spur. Man(n) kommt nicht umhin, das Buch auch vor dem Hintergrund der jüngsten Männlichkeitsfanale zu lesen und gerade in solchen Auslassungen ein bewusstes Statement zu erkennen. Anders als man es von Autoren gewöhnt ist, die im Untertitel ihrer Bücher ein Plädoyer ankündigen, verstrickt sich Gutmann nicht in Argumente oder gar Grabenkämpfe. Er sucht tatsächlich keinen Ärger, erst recht nicht mit anderen Emanzipationsbewegungen.
Gutmann erzählt. Und versucht damit einzulösen, was er selbst erklärt: Die Macht von Erzählungen, bei Hörenden und Lesenden eigene Bilder heraufzubeschwören, verändertes und veränderndes Handeln möglich erscheinen zu lassen. „Väterlichkeit ist etwas radikal anderes als machtverliebte Autorität“, erklärt er. Selbst dort, wo sie als „unterweisende Vorbildkultur“ (Margarete Mitscherlich) in Erscheinung tritt, verträgt sie sich nicht mit Dozieren, Befehlen und empörtem Drängen. Gleich im ersten Satz des Buches bekennt Gutmann, angesichts der Herausforderungen in unserer Gesellschaft „empört und verzweifelt“ zu sein. Die große Leistung dieses Buches liegt darin, dass es ganz väterlich trotzdem einen Kommunikationsraum der Sicherheit eröffnet, der von Geschichten geprägt ist und nicht von zürnenden Tiraden. In gute Väterlichkeit, so Gutmann, kann man sich einüben, sie lebt von der Nachahmung. Das beste Bild für seine Väterlichkeitsbewegung ist darum tatsächlich ein Schneeballsystem.
Wir brauchen Väterlichkeit ist eine Inspiration zu einer (Groß-)Väterlichkeit, die sich nicht in der Gestaltung familiärer oder gar leiblicher Beziehungen erschöpft, sondern Verantwortung für das Ganze meint. Am besten liest man das Buch in enger Verbindung mit Gutmanns Re-Lektüre Martin Luthers in Mein Vater und der Krieg (2012) und einem Erich-Kästner-Buch. Gute Väter übernehmen Verantwortung, wenn Andere wertvolles Porzellan zerschmissen haben und viel zu Bruch gegangen ist. Solche (Groß-)Väterlichkeit können wir gut gebrauchen.
Philipp Greifenstein
Philipp Greifenstein ist freier Journalist sowie Gründer und Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur „Die Eule“: https://eulemagazin.de