Bäume für die Zuversicht

Einblicke in ein Aufforstungsprojekt mit Geflüchteten in Uganda
Uganda
Foto: Martin Egbert

In jeder Minute werden weltweit zehn Fußballfelder Wald vernichtet. Da scheinen Wiederaufforstungsprojekte nur ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein. Doch ein Projekt in Uganda sorgt nicht nur für neue Bäume, sondern hilft auch Geflüchteten aus Kriegsgebieten.

Ein knappes Dutzend Frauen und Männer hockt unter der ausladenden Krone eines alten Tamarinden-Baumes. Einige kauen an einem Stück Yamswurzel. Andere dösen vor sich hin oder unterhalten sich leise miteinander. Es ist heiß, und die Sonne brennt. Unter dem Baum jedoch gibt es Schatten, und es weht ein frischer Wind, die Luft ist feucht und fast etwas kühl. Was ein einziger Baum doch für das Mikroklima ausmachen kann.

Julius Kijali von den Malteser International versorgt die Baumschützer mit Setzlingen. Das Hilfswerk hat das Projekt initiiert.
Foto: Martin Egbert

Julius Kijali von den Malteser International versorgt die Baumschützer mit Setzlingen. Das Hilfswerk hat das Projekt initiiert.

Genau darum geht es der Gruppe unter dem Baum im Nordwesten Ugandas, unweit der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo und zum Südsudan. Noch vor einem halben Jahrhundert war die hügelige Gegend rund um die Stadt Arua ein Wald. Heute stehen nur noch wenige Bäume in dem Flickenteppich aus kleinen Feldern, wildem Grasland und entlegenen Dörfern. Die meisten wurden gefällt, um Felder anzulegen oder Baumaterial für Hütten zu gewinnen, um Holzkohle zum Verkaufen herzustellen oder für Feuerholz für die eigene Kochstelle. Von der angestammten Bevölkerung, vor allem aber auch von den Hunderttausenden von Flüchtlingen, die in den vergangenen drei Jahrzehnten über die nahen Grenzen gekommen sind, ob auf der Flucht vor Bürgerkrieg im Südsudan, nachdem dieser unabhängig geworden war, oder der Gewalt der Milizen in der DR Kongo.

Unsicherer Regen

Dabei kann die Region jeden Baum gebrauchen. Bedingt durch den Klimawandel ist auf die eigentlich zwei Regenzeiten pro Jahr immer weniger Verlass. Mal kommt der Regen zu spät, mal zu früh. Manchmal fällt viel zu viel davon oder viel zu wenig. Hitzewellen, Dürren oder Überschwemmungen sorgen für große Unsicherheit und Gefahr. „Wir brauchen wieder mehr Bäume, um uns davor zu schützen“, sagt Ojo Livingston, der Sekretär der Gruppe, von der knapp die Hälfte Flüchtlinge aus dem Südsudan sind. „Die richtigen Bäume binden Wasser und Feuchtigkeit, kühlen das Mikroklima ab, schützen vor Erosion und sorgen für Schatten.“

Auch aus diesen Setzlingen sollen große Bäume werden, die dann wieder einen Schutzraum bilden für Gemüsegärten oder die Imkerei.
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Auch aus diesen Setzlingen sollen große Bäume werden, die dann wieder einen Schutzraum bilden für Gemüsegärten oder die Imkerei.

Also hat die Gruppe auf einem acht Hektar großen, von der Kirche gepachteten Land eine Baumplantage angelegt. „Wir treffen uns regelmäßig, um die Anpflanzung zu pflegen.“ Ojo Livingston erhebt sich und greift nach der Machete. Das etwas zu große Secondhand-T-Shirt mit einem Firmenlogo flattert um seinen hageren Oberkörper. Dann stapft der 35-Jährige mit den anderen einen Trampelpfad entlang. Unter ihren Füßen rascheln trockenes Gras und Blätter, abgeworfen von den Teakbäumen, die sie hier gepflanzt haben. Die meisten Bäume sind kaum dicker als ein Besenstiel, obwohl sie schon drei Jahre alt sind. Teak wächst langsam. Doch die sehr großen Blätter sorgen schon früh für viel Schatten. Zwischen den Bäumen, die in einem Abstand von sechs Metern stehen, gedeihen Cassava, Mais, Bohnen oder Erdnüsse. Diese Kulturen sorgen zum Teil für Stickstoff im Boden. Auch decken sie ihn ab und helfen so, die Feuchtigkeit auf der Plantage zu halten. „Wir lassen außerdem das Gras zwischen den Baumreihen liegen, wenn wir es gejätet haben“, erklärt Ojo Livingston. Dann hebt er die Machete und befreit einen Stamm von einem großen Teil seiner Äste. „So wächst er gerade und hoch hinaus, die abgeschlagenen Äste nutzten wir als Feuerholz zum Kochen.“

Uganda
Foto: Martin Egbert

Es dauert mindestens zehn Jahre, bis es sich lohnt, einen Teakbaum zu fällen und zu verkaufen. Dafür aber laugt er die Böden nicht aus wie zum Beispiel der schnell wachsende Eukalyptus. Teak lässt zudem genug Nährstoffe und Wasser für den Anbau von Feldfrüchten im Boden. Deren Ernte ernährt wiederum die Menschen und motiviert sie, die Bäume zu erhalten und sich um sie zu kümmern.

„Zusammen mit unserem Gemüsegarten am Haus ernähren die Erträge mich und meine sechs Kinder gut, und manchmal kann ich sogar Gemüse verkaufen.“ Yang Charity ist vor acht Jahren vor der Gewalt zwischen Rebellen und Regierungstruppen im Südsudan geflohen – und vor dem Hunger. Der gefährliche Fußmarsch dauerte über einen Monat. Das jüngste Kind hat sie die ganze Zeit auf dem Rücken getragen. „Meine Mutter ist vor Erschöpfung gestorben, als wir endlich hier ankamen.“ Yang Charity hält für einen Moment inne, schaut auf den bunten Stoff ihres traditionellen Gewandes. „Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir hier Schutz gefunden haben“, sagt sie dann. „Und wir können selbst für unseren Lebensunterhalt sorgen.“

Die Regierung von Uganda gibt Flüchtlingen ein kleines Stück Land, auf dem sie sich eine Hütte bauen und einen Gemüsegarten anlegen können. Alleine rund um das Rhino-Camp des UNHCR bei Arua sind so zahlreiche Dörfer entstanden, in denen insgesamt rund 125 000 Flüchtlinge leben, meist in strohgedeckten Hütten aus Lehm. Trotz der Gemüsegärten und der Möglichkeit, auf Gemeindeland etwas anzubauen, hängen viele an den Lebensmittelrationen der UN. Schulen, Krankenhäuser, natürliche Ressourcen und Infrastruktur des Distriktes Arua sind zudem überlastet. Eigentlich ist die Aufnahmebereitschaft der lokalen Bevölkerung groß. Die Belastungen aber führen zu Spannungen. „In unserer Gruppe lernen wir uns kennen, wir arbeiten zusammen und helfen uns gegenseitig“, sagt Ojo Livingston. „So können wir in Frieden miteinander leben.“ Yang Charity nickt.

Uganda
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Sie passen aufeinander auf. Und auf die Bäume. Das ist vor allem am Anfang entscheidend für den Erfolg einer Anpflanzung. „Gerade in den ersten zwei Jahren ist es wichtig, sich intensiv um die Bäume zu kümmern, damit sie nicht eingehen“, sagt Julius Kijali von den Malteser International. Das Hilfswerk hat die Gruppe initiiert. Julius Kijali und sein Team unterstützten diese sowie andere Menschen und Institutionen mit Teak-, Moringa- oder Karitébaum-Setzlingen, mit Wissen und Hilfe bei der Organisation der Pflanzaktionen. Auch fördern sie den Anbau von Obstbäumen in den Dörfern. Zudem markieren sie alte Bäume mit roter Farbe, um diese zu schützen. Fast 9 000 Karitébäume wurden so gekennzeichnet – in der Hoffnung, dass die Menschen daran ihren Wert für Mensch und Umwelt erkennen. „Ist ein vierzig Jahre alter Karitébaum erst einmal gefällt, geht diese lange Zeit an Wachstum und Überlebenskampf verloren“, so Julius Kijali weiter. „Und niemand kann mehr seine Früchte essen und aus den Kernen Öl und Karitébutter herstellen.“

Weniger Entwaldung

Nach Angaben der FAO sind weltweit 420 Millionen Hektar Wald zwischen 1990 und 2020 verloren gegangen. Das entspricht knapp zwölf Mal der Fläche Deutschlands.

Eine App dient der Dokumentation der geleisteten Arbeit.
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Eine App dient der Dokumentation der geleisteten Arbeit.

Zwar ist die Entwaldungsrate rückläufig. Trotzdem werden immer noch etwa zehn Fußballfelder Wald weltweit in der Minute vernichtet. Lange schon gibt es zahlreiche Initiativen und Versuche der Wiederaufforstung, gerade in den vom Klimawandel besonders betroffenen Regionen, wie etwa der Sahelzone. Afrikas „Grüne Mauer“ dort dürfte zu den bekanntesten Vorhaben zählen. Nicht alle diese Aufforstungen aber sind erfolgreich. Nur, wenn es auch Menschen gibt, die sich darum kümmern, kann das Pflanzen von Bäumen dauerhaft Erfolg haben. „Wenn die Menschen von den Bäumen profitieren, schützen sie diese auch“, erklärt Julius Kijali. Seit 2019 wurden durch sein Projekt 225 Hektar angepflanzt. Auch wenn auf einem Hektar 1 111 Bäume wachsen, ist das angesichts der weltweiten Verluste von Wald nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber Julius Kijali und sein Team zeigen, wie es nachhaltig funktionieren kann.

Mit 60 Prozent ist die Überlebensrate ihrer Bäume nicht schlecht. Zudem erproben sie neue Methoden der Kontrolle und Dokumentation. Seit neuestem zum Beispiel mit einer App. In ihr können die Menschen in den Dörfern in den ersten zwei Jahren alle sechs Monate Fotos gepflanzter Bäume und ihre Standorte in eine Datenbank hochladen. So dokumentieren sie, dass sie sich erfolgreich um die Bäume gekümmert haben, was jedes Mal durch einen kleinen, digital angewiesenen Geldbetrag belohnt wird. Die Malteser wiederum können den Erfolg der Aufforstung überprüfen und nachweisen.

Fast 9 000 Karitébäume wurden als wertvoll für Mensch und Umwelt markiert.
Foto: Martin Egbert

Fast 9 000 Karitébäume wurden als wertvoll für Mensch und Umwelt markiert.

Eine weitere Maßnahme für den Schutz der Bäume ist zudem die Imkerei. Die Imker in Uganda hängen ihre Bienenkörbe, die eigentlich große Holzkisten sind, traditionell in die Bäume. Dort gibt es Schatten sowie Schutz vor Wind und Regen. Wilde Bienenvölker besiedeln diese Holzkisten. Die afrikanischen Bienen gelten als verhältnismäßig aggressiv. Also traut sich niemand mit einer Machete an diese Bäume, um Feuerholz oder Baumaterial zu hacken. Zusätzlich sorgen die Imker für Schutz. „Honig ist sehr gesund, und er lässt sich gut verkaufen“, sagt Martin Lokolo. Zusammen mit einem Freund organisiert der 39-Jährige ebenfalls eine Gruppe, die sich um das Anpflanzen von Bäumen kümmert. Beide Männer sind, wie Yang Charity, aus dem Südsudan geflohen. Ihr Dorf wurde von den Regierungstruppen besetzt, die gegen die Rebellen kämpfen sollten. Doch die Soldateska tyrannisierte vor allem die Zivilbevölkerung. Als sie Martin Lokolo verdächtigten, für die Rebellen zu arbeiten, entschlossen er und sein Freund sich über Nacht zur Flucht. Nun organisieren sie in ihrem Dorf eine 31 Mitglieder starke Gruppe. Neben einer Plantage für Bäume und Feldfrüchte haben sie zahlreiche Obstbäume im Dorf gepflanzt. Und sie betreiben 125 Bienenkisten. Fast 200 Kilogramm Honig konnten sie bislang ernten. Von den Einkünften aus dem Verkauf hat die Gruppe Ackerland gepachtet, auf dem sie Cassava pflanzt.

Samen reinigt Trinkwasser

Viel Nutzen bringt auch der heimische Moringa-Baum, der in der Region zunehmend auf Plantagen gepflanzt wird. „Moringa hilft gegen Husten und zahlreiche andere Leiden, man kann seine Blätter als Gemüse essen und mit den Samen sein Trinkwasser reinigen.“ Taban Samuel aus dem Sudan lebt bereits seit dreißig Jahren in Uganda. Als er geflohen ist, weil die Armee des damaligen Diktators Baschir sein Dorf bombardierte, gab es den unabhängigen Südsudan noch nicht. „Ich vermisse meine Heimat sehr, aber die Kämpfe dort hören einfach nicht auf“, sagt er und zieht sich die zu große, schwarze Jacke um die Schultern. Gerade hat es geregnet. „Darauf haben wir lange gewartet“, sagt der Farmer. In drei Jahrzehnten hat er sich mit dem Anbau von Cassava und Mais gut über Wasser halten können. Doch nun setzt der 62-Jährige zunehmend auf den Baum mit den gefiederten Blättern und den vielen Wirkstoffen. Fast fünfzig Bäume hat er am Rande seines Dorfes angepflanzt. „Sie machen nicht viel Arbeit, wenn sie erstmal angewachsen sind, und die Nachfrage nach Blättern und Samen wächst sehr“, sagt er und lächelt. „Man muss die Bäume nur vor dem Frass der Ziegen schützen.“ Dafür löst der erfahrene Farmer Ziegenköddel in Wasser auf, mit dem er die Bäume bestreicht. „Dann gehen die Tiere da nicht mehr ran“, verrät er mit einem breiten Grinsen.

Vor seiner Hütte aus Lehm reicht uns Taban Samuel sein Gästebuch, ein festes Ritual in den meisten ostafrikanischen Ländern. Schließlich ist man stolz auf seine Gäste. „Don’t destroy the environment“ steht auf dem Deckblatt. „Ich werde noch viel mehr Bäume pflanzen“, sagt der alte Farmer zum Abschied, entschlossen und mit einem festen Händedruck. Seine Zuversicht ist ansteckend.

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