Wirklichkeiten und Wege

Evangelischer Kirchbautag 2025: Aus dem Bestand für die Zukunft
Revitalisierung als Grabanlage: Die Nikolaikirche Eisleben, das erste Kolumbarium in einer Kirche in Sachsen-Anhalt, beherbergt 52 Urnenschränke als Häuser mit gotischen und Renaissancegiebeln als Stadtanlage.
Foto: Ralf Klöden
Revitalisierung als Grabanlage: Die Nikolaikirche Eisleben, das erste Kolumbarium in einer Kirche in Sachsen-Anhalt, beherbergt 52 Urnenschränke als Häuser mit gotischen und Renaissancegiebeln als Stadtanlage.

Mit diesem Beitrag eröffnet Andreas Hillger eine vierteilige zeitzeichen-Serie, die sich mit den Themen des diesjährigen Kirchbautages befasst. Dieser findet im September in Berlin statt. Im ersten Teil taucht der Dessauer Autor und Dramaturg in die Kirchenbaulandschaft Thüringens ein.

Mit erfolgreicher Umnutzung hat man in der Stadtkirche St. Peter und Paul in Weißensee sichtlich Erfahrung: Als die Reformation im 16. Jahrhundert die thüringische Stadt erreichte, verwandelte man die Skulptur der Muttergottes am Altar kurzerhand in eine Christus-Figur, indem man ihr einen Bart anmalte. Und als die zunehmende Säkularisierung fast 500 Jahre später einen wechselweisen Betrieb als Bürgersaal und Gotteshaus ratsam erscheinen ließ, diskutierte man die flexible Anbringung des Kruzifixes für eine Art Epiphanie bei Bedarf. Das Kreuz hängt mittlerweile seitlich sichtbar im Raum – und die Gemeinde nutzt das aufwendig restaurierte Gebäude wohl wieder häufiger als die Kommune.

Veränderte Nutzung

Als Superintendent des Kirchenkreises Eisleben-Sömmerda kennt Andreas Berger viele solcher Geschichten, die er an diesem Wintermorgen in seinem Amtszimmer erzählt. Mit am Tisch sitzt Klaus-Martin Bresgott, der für das Kulturbüro des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland konzeptionell und organisatorisch maßgeblich den Kirchbautag vorbereitet. Dabei sollen vom 11. bis zum 13. September 2025 in Berlin „Wirklichkeiten und Wege“ aufgezeigt – und unter diesem Motto vor allem veränderte Nutzungskonzepte für sakrale Räume in den Blick genommen werden. Welche Region wäre da geeigneter für eine vorbereitende Bestandsaufnahme als das viel beschworene „Kernland der Reformation“, in dem Luthers Geburts- und Sterbeort Eisleben ebenso zu finden ist wie – nach diversen administrativen Verschiebungen – auch Allstedt als Schauplatz von Thomas Müntzers Fürstenpredigt? Von Teutschenthal im Osten erstreckt sich das Gebiet im Westen bis fast nach Nordhausen, es beginnt kurz vor Aschersleben im Norden und endet knapp hinter Sömmerda im Süden. 

Das weitläufige Terrain umfasst sieben Landkreise in zwei Bundesländern – und vereint mit 235 Kirchen mehr als ein Prozent aller 20 300 evangelischen Gotteshäuser in Deutschland. Davon war, so Berger, um 1990 rund ein Drittel nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr nutzbar. Dass es inzwischen – mit wenigen Ausnahmen in Schaafsdorf, Tonndorf und Zellewitz – keine ruinösen Zustände mehr gibt, verdankt sich auch und vor allem dem vielfältigen Engagement von mehr als 60 Fördervereinen, die sich freilich überwiegend für die bauliche Substanz stark machen und dabei nicht immer auf ungeteilte Gegenliebe in den Gemeinden stoßen. Denn zur Wirklichkeit gehört eben auch, dass im Schnitt 85 evangelische Christen auf eine Kirche kommen – und im Extremfall, wie im Dörfchen Elben bei Gerbstedt, noch vier Protestanten zur Gemeinde zählen. Zudem leiten sich aus dem bürgerschaftlichen Engagement auch Ansprüche ab: Warum sollte man in der Kirche nicht Jugendweihe feiern dürfen, wenn man doch zu ihrer Restaurierung beigetragen hat? Und warum sollten die Glocken nicht für den verstorbenen Atheisten läuten, wenn er zu Lebzeiten im Verein aktiv war? Berger weiß von zünftigen Christvespern mit Glühwein und Weihnachtsmann-Mützen … aber eben auch von architektonisch ambitionierten Planungen für ein Ortsteilzentrum, dem vor der Kirchentür leider der nötige Ort fehlt.

Dennoch unterstützt der Kirchenkreis alle Aktivitäten in „Dach und Fach“ nach Kräften. Weil den Kirchenkreisen in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland keine zweckgerichteten Baumittel zur Verfügung stehen, ist er dabei auf die Erträge aus dem Grundbesitz angewiesen, von denen 20 Prozent direkt bei den Gemeinden verbleiben. Der größere Rest, dessen Zumessung sich auch aus vielen historischen Zufällen speist, wird in einem Baulastfonds treuhänderisch verwaltet und verteilt – immerhin rund eine Million Euro pro Jahr, die sich durch Fördermittel aus verschiedenen Töpfen versechsfachen lässt. An rund 40 Orten im Kirchenkreis wird parallel gebaut, drei Referent:innen begleiten die Maßnahmen … aber nicht immer wird mit dem Bestand auch der Bedarf gesichert. Andreas Berger erzählt von dem Politiker, der sich im Wahlkreis ein Denkmal setzen will, indem er das Geld für die Sanierung auftreibt – oder von der alten Dame, die dem Pfarrer ein Säckchen mit Goldbarren in die Hand drückt, damit in der alten Heimat die Glocken wieder läuten. Wer sich dann um den laufenden Betrieb kümmert, ist angesichts von derzeit 24 Gemeinde-Pfarrstellen nicht immer geklärt. Und kulturelle Umnutzungen, wie sie sich in größeren Städten erfolgreich denken ließen, laufen vor Ort oft an der Realität vorbei. Stattdessen setzt man in Eisleben-Sömmerda auf das pragmatische Modell der Ortsbeiräte, in denen auch Nicht-Gemeindeglieder über die Nutzung der Kirche mitbestimmen können. Für die Festschreibung der Möglichkeiten und Grenzen hat Berger einen einfachen Leitsatz: „Macht Verträge, solange ihr euch vertragt!“

Erntedank zeitlich flexibel

Der Kirchenkreis hilft, wo er kann – etwa mit dem Kultursommer, der in Pandemie-Zeiten entstanden ist und inzwischen rund 20 kostenfreie Veranstaltungen überwiegend an kleineren Orten anbietet. In Eisleben und Stolberg sind für jeweils rund sechseinhalb Millionen Euro zwei so genannte Kulturkirchen ertüchtigt worden. In der Lutherstadt beherbergt das bereits 1973 durch die Gemeinde aufgegebene Gebäude von St. Nikolai neben dem Kirchenarchiv auch das erste Kolumbarium des Landes Sachsen-Anhalt. In der Fläche aber muss man der Realität Rechnung tragen: Erntedank wird zeitlich flexibel gefeiert, am Ewigkeitssonntag setzen die Sterbefälle Prioritäten, Ostern lässt sich als Stationen-Gottesdienst gestalten … und zu Weihnachten führt der Kirchenkreis landesweit noch immer die Besucher-Statistik an. Generell verweist der Superintendent darauf, dass durch die Fülle des Vorhandenen jede und jeder Gläubige allsonntäglich einen Gottesdienst im Umkreis von zehn Kilometern besuchen könne – auch wenn der Wohnort der Predigenden möglicherweise viel weiter entfernt sei.

Angesichts von rund 140 Pfarr- und Gemeindehäusern ermutigt der Kirchenkreis die Gemeinden bei Leerstand solcher Immobilien zum Verkauf – wohl wissend, dass man dabei auch auf ahnungslose Schnäppchenjäger treffen kann, die den Sanierungs-aufwand der preiswerten Gebäude leicht unterschätzen. Aber dennoch bleibt das Ziel, sich von Bestand zu trennen und neben dem Dienstsitz des Pfarrers perspektivisch nur ein Gebäude pro zehn Gemeinden zu unterhalten. Unterstützung bietet dabei ein Fonds zum Umstieg auf Erneuerbare Energien, der auch mit den Bemühungen der Landeskirche um eine allgemeine Gebäude-Konzeption einhergeht. Aber was, fragt Berger, nützen solche äußeren Ansätze ohne tragfähige Inhalte? Es dürfte die vorrangige Aufgabe des Kirchbautages sein, aus dem Bestand heraus für die Zukunft zu denken – und das Ererbte zum Erlebbaren zu machen, ohne sich generelle Denkverbote aufzuerlegen.

Dass die Entscheidungen freilich im Zweifel von den Gemeinden als Eigentümern vor Ort getroffen werden, zeigt das Beispiel Unterrißdorf: An der „kalten Stelle“ bei Eisleben, an der sich Martin Luther 1546 ernstlich verkühlte, hat man das alte Pfarrhaus verkauft, um ein neues Gemeindehaus bauen zu können – ohne finanzielle Hilfe des Kirchenkreises, der solche Beispiele eben darum als Zeichen für Zukunft wertet. Auch bei jenen Kirchen, die in jüngster Vergangenheit zumindest als Hülle konserviert worden sind, hofft Berger weiter auf künftige Fülle. Schließlich sei sich das „Rote Mansfeld“ nach der Wende zumindest der Kirchtürme als Ortsmarken bewusst geworden – vor allem in der Reformations-Dekade, die maßgeblich von Stefan Rhein als damaligem Direktor der Luther-Museen mitgeprägt wurde, der nun auch tatkräftig im Beirat des Evangelischen Kirchbautages mitwirkt.

 

Das Programm des Evangelischen Kirchbautages in Berlin (11.–13. September 2025) ab 25. Februar 2025 im Netz: www.kirchbautag.de

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