Vertrauen – woher?

Warum es gilt, der Resignation zu widerstehen

Die Weisen sind gegangen: Dieses Lied aus dem landeskirchlichen Teil unseres Evangelischen Gesangbuchs für Rheinland, Westfalen, Lippe und die Reformierte Kirche habe ich erst spät entdeckt. Seitdem mag ich es besonders. Es trifft die ernüchterte Stimmung, die sich gern im Februar breitmacht. Auch die langlebigsten Weihnachtsbäume sind seit Mariä Lichtmess am 2. Februar weggeräumt, aus Straßen, Wohnungen und Kirchen ist der letzte Rest der weihnachtlichen Dekoration verschwunden. „Die Weisen sind gegangen. / Der Schall verklang, der Schein verging, / der Alltag hat in jedem Ding / nun wieder angefangen.“ (EG 348,1) Ja, auch die Weisen sind weg, die – einem auffälligen Stern folgend – erst spät den Weg zur Krippe fanden. Menschen aus einer anderen Kultur. Viele von ihnen haben mit uns Weihnachten gefeiert.

Der Alltag hat uns wieder, die Tage eines langen Jahres liegen vor uns. In die eigenartige Februar-Beklommenheit hinein fragt die letzte Strophe des besagten Liedes: „Was soll ich weiter fragen. / Ich habe manches mitgemacht – / wem trau ich mehr: der einen Nacht / oder den vielen Tagen?“ (EG 348,5). Dem Vertrauen wird derzeit in aller Öffentlichkeit übel mitgespielt. „Wem trau ich mehr?“: Die Lüge und das Vortäuschen falscher Tatsachen gehören zum Tagesgeschäft, längst auch in der Politik. Kurz vor den weihnachtlichen Festtagen hat der Bundeskanzler die „Vertrauensfrage“ gestellt. Ein großes Wort für das taktische Instrument einer Regierung, um das zerstrittene Parlament zu disziplinieren. Als beabsichtigte Folge der „Vertrauensfrage“ findet in diesem Monat in unserem Land eine vorgezogene Bundestagswahl statt. „Wem trau ich mehr?“: Diese Frage werden sich alle stellen müssen, die sich (hoffentlich!) aktiv an der Wahl be­teiligen. Noch nie war mein Vertrauen in die Demokratie derart erschüttert wie zurzeit. Es mag naiv sein: Bisher habe ich gedacht, Vertrauen beruhe auf Gegenseitig­keit. Menschen, die in verantwortungsvolle Führungsämter gewählt werden, brauchen das Vertrauen ihrer Wählerinnen und Wähler, ja. Aber müssen sie nicht umgekehrt auch ihrerseits diesen Wählerinnen und Wählern vertrauen können?

Ohne eigenes Vertrauen in diejenigen, für die er oder sie sich der Verantwortung stellt, kann kein Mensch auf Dauer Verantwortung übernehmen. Die „da oben“ müssen auch von denen „da unten“ etwas erwarten dürfen, nicht nur umgekehrt. Und seien es „nur“ Anstand und Respekt. Sonst kann es nicht funktionieren mit der Demokratie. Man muss derzeit nicht nur ins Grübeln, man kann leider auch schnell ins Resignieren geraten. „Wem trau ich mehr?“: Ich will in der naheliegenden Ver­suchung des Resignierens den großen Horizont dieser Frage nicht vergessen. Bleiben die vielen Tage, die kommen, wirklich unberührt von der Kunde jener einen Nacht, in der wir feiern, wie Gott unsere Sache zu seiner gemacht hat – und zwar für immer? „Wem trau ich mehr: der einen Nacht / oder den vielen Tagen?“: Unsere Antwort auf diese Frage wird einen Unterschied machen – und darüber mitentscheiden, ob der Wahlausgang am 23. Februar die Demokratie stärkt.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Gesellschaft"