Von Lernfähigkeit profitieren

Wie Künstliche Intelligenz (KI) die Seelsorge bereichern kann
Bei der App „Text with Jesus“ von der Tech-Firma „Catloaf Software“ steht nicht nur der Sohn Gottes zum Plaudern parat, sondern auch andere biblische Figuren (Foto 2023).
Foto: epd-bild/Heike Lyding
Bei der App „Text with Jesus“ von der Tech-Firma „Catloaf Software“ steht nicht nur der Sohn Gottes zum Plaudern parat, sondern auch andere biblische Figuren (Foto 2023).

In der Januarausgabe von "zeitzeichen" warf die Würzburger Praktische Theologin Ilona Nord einen Blick auf den generellen Charakter und die Wirkmöglich­keiten von Künstlicher Intelligenz (KI) im Feld menschlicher Beziehungen. Ihr Leipziger Kollege Peter Zimmerling fragt nun konkret nach der Möglichkeit, KI im Bereich der kirchlichen Seelsorge einzusetzen, und kommt zu einem durchaus positiven Ergebnis.

Mit dem Thema „Künstliche Intelligenz (KI) in der Seelsorge“ betreten wir Neuland auf dem Gebiet der Poimenik, also der Lehre von der Seelsorge. Da es bisher kaum praktische Erfahrungen damit und entsprechend auch nur wenige theoretische Überlegungen gibt, können meine Überlegungen nicht mehr als einen Versuch darstellen. Im vergangenen Jahr ist mein Doktorvater Jürgen Moltmann im hohen Alter von 98 Jahren gestorben. In seiner Abschiedsvorlesung anlässlich der Emeritierung vor 30 Jahren sprach er von der Neugier als seiner primären theologischen Motivationskraft. Ich möchte mir meinen Lehrer zum Vorbild nehmen und primär die Chancen von KI für die Seelsorge bedenken und deren Gefahren als Herausforderungen verstehen.

Von Anfang an geschah christliche Seelsorge medial vermittelt. Ursprungs- und Grundmedium der Seelsorge Gottes am Menschen war und ist die Schöpfung. Sie enthält ein „unausschöpfliches Reservoir medialer Vermittlungsformen“ der Seelsorge, wie es Hans-Ulrich Gehring bereits 2002 in seinem Buch Seelsorge in der Mediengesellschaft formulierte. So heißt es in Psalm 104,15, dass der Wein die Aufgabe hat, das Herz des Menschen zu erfreuen. Die des Öls besteht darin, sein Antlitz zum Glänzen zu bringen, und die des Brots, das Herz des Menschen zu stärken.

Christliche Seelsorge geht von Jesus Christus als dem Vermittler zwischen Gott und Menschheit (1. Timotheus 2,5) aus. Voraussetzung dafür, dass er dazu werden konnte, war die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, sie ist Grundlage und Vorbild für alles Handeln in der Seelsorge. Daher kommt die Seelsorge auch nach der Auferstehung Jesu Christi und der Ausgießung des Geistes Gottes auf alles Fleisch nicht ohne Medien aus. Vielmehr nimmt sie diese in Dienst. Seelsorge geschieht durch Worte, durch Brot und Wein, durch Bilder, durch Gesten wie Handauflegung und Salbung, um einige traditionelle Medien zu nennen.

Ein herausragendes Medium urchristlicher Seelsorge war der apostolische Brief. Paulus intendiert durch medial vermittelte Seelsorge eine persönliche Begegnung seiner Seelsorgeadressatinnen und -adressaten mit Jesus Christus beziehungsweise mit dem dreieinigen Gott. Ursache dafür, dass durch das Medium des Briefes die Begegnung mit Jesus Christus beziehungsweise der Glaube an ihn zustande kommt, stellt für den Apostel das Wirken des Geistes Gottes dar. Die Verwendung von Medien in der Seelsorge ist daher kein Selbstzweck. Ziel ist vielmehr ihre Selbsttranszendierung. Seelsorgemedien sind daher mit Hans-Ulrich Gehring als „Übergangsobjekte“ zu bestimmen.

Angesichts der Frage nach der möglichen Rolle von KI in der Seelsorge stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob auch moderne, vom Menschen geschaffene, technische Produkte und Kommunikationsprozesse als legitime mediale Vermittlungsformen christlicher Seelsorge gelten können. Im Hinblick auf das Telefon ist diese Frage schon vor Jahrzehnten positiv beantwortet worden. Es gilt heute unbestritten als Medium gelingender Seelsorge. Auch das Internet wurde nach einigem Zögern bei Einhaltung bestimmter Voraussetzungen als Medium der Seelsorge kirchlich anerkannt. Die intensive Nutzung von Internetforen, E-Mails und Chats zeigt, wie wichtig die neuen Medien als Mittel der Seelsorge inzwischen sind. Im Hinblick auf die Internetseelsorge sind sich die Fachleute einig: Kirche und Gemeinden müssen mit ihren Angeboten dort sein, wo sich die Menschen aufhalten, und dürfen nicht warten, bis sich diese in die kirchlichen Binnenräume verirren.

Meine These ist, dass das für die Telefon- und Internetseelsorge Gesagte analog auch für die Nutzung von KI in der Seelsorge gilt, wobei einige Präzisierungen nötig sind. Wie alle anderen Medien in der Seelsorge auch, besteht das Ziel von KI darin, sich selbst überflüssig zu machen. Es geht wie bei allen anderen Medien bei KI darum – mit Ignatius von Loyola, dem Begründer des Jesuitenordens und bis heute einflussreichsten katholischen Seelsorger gesprochen –, „dass der Schöpfer und Herr sich selbst seiner [des Seelsorgesuchenden] Seele mitteilt“. Diese Einsicht ist die Voraussetzung einer nüchternen Einschätzung der Möglichkeiten von KI in der Seelsorge. Sie sollte einer messianischen Aufladung der Erwartungen an KI einen Riegel vorschieben, aber genauso vor einer übergroßen Skepsis bewahren.

Vergleichbar mit einer menschlichen Seelsorgeperson ist KI fähig, aus der Interaktion mit den Seelsorgesuchenden zu lernen. Darin unterscheidet sie sich von allen anderen Medien in der Seelsorge. Die Fähigkeit zu lernen, stellt eine nicht zu unterschätzende Chance im Hinblick auf die Weiterentwicklung von KI und ihre Verwendung in der Seelsorge dar.

Anders als Seelsorgerinnen und Seelsorger ist KI nicht nach Zeit und Raum begrenzt. Das ist angesichts des zukünftig zu erwartenden großen Nachwuchsmangels an hauptamtlichen Seelsorgerinnen in der Kirche ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Eine in ihren Möglichkeiten begrenzte (und auch fehlbare) KI ist immer noch besser als ein nicht vorhandener menschlicher Seelsorger. Überdies stellt KI ein Hilfsmittel auf dem Weg zu einer barriereärmeren, inklusiveren Seelsorge dar. Das zeigt sich an ihrer Verfügbarkeit für Menschen, die kein Deutsch verstehen und sprechen können. KI erlaubt darüber hinaus, gesprochene Sprache in Schriftsprache und umgekehrt Schriftsprache in gesprochene Sprache zu übertragen.

Kategorialer Unterschied

KI zeichnet sich durch emotionale Distanz gegenüber den Seelsorgesuchenden aus. Das muss im Vergleich mit einer menschlichen Seelsorgeperson nicht unbedingt ein Nachteil sein. Zwischen Seelsorgenden und Seelsorgesuchenden können emotional bedingte störende Übertragungs- und Projektionsmechanismen und Abhängigkeiten entstehen. KI dagegen verbleibt gegenüber den Seelsorgesuchenden in professioneller emotionaler Distanz.

Trotz der genannten Vorteile von KI besteht zwischen ihr und einem Menschen mindestens ein dreifacher kategorialer Unterschied. Einen ersten stellt die Unergründlichkeit des Menschen dar. Aufgrund des menschlichen Geschaffenseins geht das christliche Menschenbild von der Gottes­ebenbildlichkeit des Menschen aus. Der Mensch bleibt sich selbst und anderen ein Geheimnis. Da der Mensch den Menschen unendlich übersteigt, hat die christliche Seelsorge das Ziel, dass Seelsorgesuchende sich ihrer „Selbsttranszendenz“ (Karl Rahner) bewusst werden.

Eine andere Form der kategorialen Unterscheidung besteht in der menschlichen Vulnerabilität. Anders als KI kennt Menschsein keine zwangsläufige Selbstoptimierung. Der Mensch bleibt ein fehlerhaftes, gebrochenes Wesen. Mit Paracelsus von Hohenheim gesprochen: „Ein glattes Herz taugt nicht. Hinter den Narben des Herzens liegt all unsere Menschlichkeit verborgen.“ Ein dritter Unterschied: „Die menschliche Person ist und bleibt in ihrer individuellen Körpergestalt die primäre Vermittlungsform medialer Seelsorgepraxis.“ (Hans-Ulrich Gehring) Grund dafür ist die Inkarnation Gottes in Jesus Christus. Die Inkarnation stellt, wie wir sahen, das „Grundmuster medialer Praxis“ der christlichen Seelsorge dar und gibt damit den Rahmen und das Kriterium für gelingende Seelsorge vor. Dahinter muss jede allein durch KI geübte Form von Seelsorge zurückbleiben. Die menschliche Seelsorgeperson muss daher keine Angst haben, durch den Einsatz von KI überflüssig zu werden.

Unerlässlich ist die Transparenz des Einsatzes von KI im Rahmen der Seelsorge. Wo immer KI in der Seelsorge eingesetzt wird, sollte das gegenüber den Seelsorgesuchenden klar kommuniziert werden. Klar ist: Der Datenschutz bleibt eine Schwachstelle. Die entsprechenden Computer, die für die Datenausstattung von KI notwendig sind, stehen in den USA und unterliegen nicht den im Rahmen der EU geltenden datenrechtlichen Bestimmungen. Bereits jetzt kommt KI an manchen Stellen in Beratung und Therapie zum Einsatz. Die Rezeption in der kirchlichen Seelsorge hat dagegen bisher nur ansatzweise begonnen.

Sinnvoll erscheint mir die Anwendung von KI weniger als Ersatz denn als Unterstützungs- und Hilfsmittel. KI kann das Spektrum der Seelsorgemöglichkeiten erweitern. In der Stellungnahme des Deutschen Ethikrats zu KI wird zu Recht gefordert, dass der Einsatz von KI menschliche Handlungsmöglichkeiten erweitern und nicht ersetzen soll.

Mangel an Hauptamtlichen

KI kann als Unterstützung und als Hilfsmittel in der Seelsorgeausbildung dienen. Ich denke hier an alle möglichen Formen von Inspiration und Brainstorming durch KI. Daneben ist es möglich, die eigene Seelsorgekompetenz mit Hilfe von KI in Form von Rollenspielen einzeln oder in Gruppen zu trainieren. Denkbar ist auch, mit Hilfe von KI Fallbeispiele aufzusetzen. Auf diese Weise könnte zum Beispiel der seelsorgliche Umgang mit suizidalen Ankündigungen optimiert werden.

Vielen Menschen – auch vielen Kirchenmitgliedern – liegt der Gedanke, einen Seelsorger um ein Gespräch zu bitten, fern. Dazu kommt der zunehmende Mangel an Hauptamtlichen in der Kirche, so dass immer weniger professionelle Seelsorgerinnen zur Verfügung stehen. Angesichts dieser Situation könnte KI Seelsorgesuchenden, auch Gemeindegliedern, jedenfalls denen, die im Internet zu Hause sind, eine Form von Selbstseelsorge bieten.

Bereits heute kommen Roboter in asiatischen Ländern in der Altenpflege zum Einsatz. Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland und den knapper werdenden Pflegekräften könnte eine ähnliche Entwicklung auch auf uns zukommen. In diesem Zusammenhang kann es nicht darum gehen, den menschlichen Kontakt alter Menschen zu Seelsorgerinnen durch die Anwendung von KI zu ersetzen, sondern zu ergänzen. Alte Menschen, die mit digitaler Kommunikation vertraut sind, finden in KI einen hilfreichen Gesprächspartner, der rund um die Uhr verfügbar ist und weder eigene Bedürfnisse noch Erwartungen hat (was allerdings auch die Abhängigkeit von ihm fördern kann). Einsame Menschen fühlen sich durch KI weniger einsam. Überhaupt mit jemandem reden zu können, ist besser, als gar keinen Gesprächspartner zu haben.

Mir ist bewusst, dass im Rahmen der wissenschaftlichen Seelsorgediskurse die Skepsis gegenüber dem Einsatz von KI gegenwärtig dominiert. Ich bin anderer Meinung. KI ist ein mögliches Seelsorge-Medium unter anderen. Da Technologien an sich weder gut noch schlecht sind, ist die Frage entscheidend, zu welchem Ziel und Zweck KI eingesetzt wird, ob sie nützt und wer davon profitiert.

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