Nicht schweigen, niemals

Warum das Ausharren auf X und Co. trotz allem weiter nötig ist

Seit einigen Wochen werde ich ab und zu angesprochen, weil unsere zeitzeichen.net-Kolumnistin Katharina Scholl kürzlich schrieb, dass ich in meiner Position bei zeitzeichen bald durch den Journalisten Thilo Mischke ersetzt würde. Ja, durch jenen Thilo Mischke, der Anfang des Jahres nach vielen öffent­lichen Querelen nun doch nicht als Moderator einer ARD-Kultursendung präsentiert wurde. Natürlich war dieser Einstieg ein bewusster „Fake“, eine Mini-Satire, wie sich auch nach ein paar Zeilen entlarvte. Aber seitdem fragen mich immer wieder Menschen: „Was machst Du jetzt?“ oder „Wie konnte es dazu kommen?“

Das beweist: Viele lesen im täglichen Nachrichtengewirr auf dem Smart­phone, Tablet oder Computer oft nur Headlines oder erste Absätze, und weiter geht’s zum nächsten Nachrichtenanfang im Mediendschungel. Ich nehme mich da überhaupt nicht aus. Seitdem aber Mark Zuckerberg ankündigte, dass er den so genannten Faktencheck auf Instagram und Facebook, zumindest in den USA, aufheben will, stellt sich verstärkt die Frage: „Darf“ man überhaupt noch auf diesen Plattformen unterwegs sein? Werden dort jetzt nicht Hass und Hetze noch mehr Tor und Tür geöffnet? Für viele ist es eine Frage der Haltung. Nicht wenige haben bereits demonstrativ die Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) des AfD-Wahlhelfers Elon Musk verlassen, und jetzt stehen auch Mark Zuckerbergs digitale Megaplattformen mehr denn je in der Diskussion.

Unsere Kolumnistin Scholl, deren Text ich ausdrücklich empfehlen möchte, spricht sich explizit dagegen aus, die umstrittenen Plattformen zu meiden. Ihr Kern­argument lautet: „Wahrheit wird und entsteht in Begegnung und vor allem in der Begegnung, in der wir miteinander um diese Wahrheit ringen müssen. Was wäre das für ein Christentum, wenn es das Evangelium nicht gerade da ins Spiel bringt, wo es zutiefst in Frage steht?“ Dem stimme ich gerne zu, denn letztlich hilft gegen Populismus, Hetze und Falsch­information nicht die Haltung „Ohne mich“, sondern vielmehr eine Haltung, die bei aller Netiquette und Wertschätzung menschenfeind­lichen Meinungen und Fake-News klar widersteht.

Schon vor über einhundert Jahren fand der Soziologe Max Weber die Formel, dass Politik „ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“ erfordere. Dies gilt grundsätzlich auch für den öffentlichen Diskurs, auch
den schwierigen auf Social Media. Ansonsten nämlich droht eine viel ältere Weisheit Geltung zu erlangen, die auf Papst Bonifaz VIII. im 13. Jahrhundert zurückgeht: Qui tacet, consentire videtur, zu Deutsch: Wer schweigt, scheint zuzustimmen. Schweigen aber in Form des Rückzugs können wir uns nicht leisten, denn wir sollten unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft medial nicht kampflos den Populisten über­lassen. Bildlich gesprochen: Die dicken Bretter des Populismus müssen immer wieder neu durchbohrt, sprich widerlegt werden. Leider kann man sich die Umgebung dafür nicht immer aussuchen. 
 

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