Auf die Wirkung kommt es an

Brauchen wir mehr kirchliches Unternehmertum? Oder führt solches Denken aus der Wirtschaft in die Irre? Darüber wurde auf unserer Website bereits heftig diskutiert. Nun liefert die Religionssoziologin Miriam Zimmer einen neuen Impuls für die Debatte. Ihre These: Man kann nicht vom Einzelnen vor Ort „Unternehmertum“ fordern, wenn die übergeordneten selbiges eher verhindern.
Die Kirche soll „unternehmerisch“, die in ihr Tätigen „spirituelle Entrepeneure“ sein – so lautet die Aufforderung der badischen Landesbischöfin Heike Springhart in einem Interview mit dem epd, die an dieser Stelle eine Debatte mit Beiträgen von Philipp Greifenstein, Johannes Wischmeyer und Heike Springhart selbst ausgelöst hat. Auch eine jüngst stattgefundene ökumenische Konferenz hat sich dieses Thema gegeben.
Die Idee, die Kirche vom schwerfälligen „Tanker“ zum flexiblen und mutigen „Unternehmertum“ (Heike Springhart) umzugestalten, wirkt theologisch-assoziativ und wenig analytisch, da bereits die beiden Begriffe auf völlig unterschiedlichen metaphorischen Ebenen verortet sind. Metaphern sind ein gängiger theologischer Modus Operandi, in der Debatte bedarf es jedoch präziser analytischer Kategorien. Johannes Wischmeyer fordert in seiner Reaktion daher verständlicherweise zu mehr Konkretion auf und bringt Argumente aus dem New Public Management (in seinen Worten: der „agilen Verwaltung“) ein, einem Konzept, das seit den 1990er-Jahren versucht, über Kriterien der Wirkungsorientierung öffentliche Verwaltungen effizienter und effektiver zu machen.
Gehen wir es also analytisch an: Die klassische Staats- und Volkswirtschaftslehre teilt kollektives Handeln in drei Sektoren ein: Im ersten Sektor sind die Wirtschaft mit ihren Unternehmen angesiedelt; im zweiten Sektor der Staat mit seinen Körperschaften; und im dritten Sektor, dem Non-profit-Sektor, sind sämtliche nicht-gewinnorientierten zivilgesellschaftlichen Verbünde unterwegs.

In Deutschland sind die beiden großen Kirchen stark in Sektor 2, also als körperschaftliche Akteure, verankert. Im Mittelpunkt steht die damit einhergehende Versorgungslogik, in diesem Fall die Ausstattung der Bevölkerung mit spirituellen, rituellen und caritativen Diensten. Diese Versorgung ist sicherzustellen; es geht dort nicht um Gewinn (erster Sektor) oder Wirkung (dritter Sektor). Über Jahrzehnte spiegelte diese Rolle auch den Bedarf der Christ:innen im Land, die lange über neunzig Prozent der Bevölkerung ausmachten, wider.
Mit der nunmehr stark gesunkenen Anzahl an Kirchenmitgliedern – nur noch fünfzig Prozent gehören einer der beiden großen christlichen Kirchen an – haben sich der gesellschaftliche Bedarf sowie die Erwartungen drastisch geändert. Kirche ist gesellschaftlich keine Institution mehr. Die Mitgliedschaft ist heute in vielen sozialen Kontexten begründungspflichtig geworden. Ihr rechtlicher Status hingegen ist bislang unangetastet geblieben und ihr inneres Selbstverständnis entspricht weiterhin dem der Körperschaft (Territorialprinzip, Steuerfinanzierung, Verbeamtung, quasi-demokratische Gremien und Wahlverfahren, Selbstverwaltungsrecht, Kirchengesetze, Kirchenämter) – und das passt nicht zusammen. So ist das nun einmal: Meist werden Gesetze erst angepasst, wenn die gesellschaftlichen Entwicklungen schon weit fortgeschritten sind.
Künftig im dritten Sektor
Wo kann es hingehen? Das Unternehmertum (1. Sektor) scheint für viele ein erfolgversprechendes Prinzip zu sein – aber oft nur, solange es metaphorisch bleibt. Risiko, am Ende noch mit Eigenkapital und -biografie, Konkurrenz- und Gewinndruck möchte man dann doch nicht. Auch, dass Kirche an sich nun gewinn- und nicht inhaltsorientiert arbeiten soll, eine Priorität, bei der Inhalte und Art der Produkte sehr schnell zweitranging werden oder sich nach Konjunkturen richten, passt nicht. Der Kern von Kirche, das Evangelium in Wort und Tat zu verkünden, ist allerdings nicht einfach austauschbar gegen eine neue Botschaft, die besser funktioniert.
Eine neue Minderheitenkirche sollte sich daher als Purpose-Organisation lieber im dritten Sektor verorten, das heißt, non-profit-orientiert und non-governmental agieren. Dabei darf sie gern flexibel, kreativ in ihren Aktivitäten, gemeinwohlorientiert und auch wirtschaftlich nachhaltig gestaltet sein. Am wichtigsten ist, dass sie ein Wirkungsinteresse hat, das Evangelium. Im Verhältnis zum Staat bedeutet das, dass sich die Kirchen unter den Mantel des geltenden Rechts stellen und ernsthaft überlegen sollten, welche Privilegien eine wirksame Kirche eher behindern als befördern. Im Verhältnis zu den Menschen ist Kirche ohnehin schon herausgefordert, ihre Glaubensinhalte und ihr Handeln überzeugend zu plausibilisieren, um Vertrauen (zurück)zugewinnen und Relevanz im Leben der Menschen zu erlangen.
Von Strukturen und Personen
Es gibt sie, die unternehmungslustigen Personen, die viel ausprobieren und neue Ideen entwickeln, Glauben verkünden und sozialen Zusammenhalt stärken. Oft stehen ihnen dabei aber gerade die Normen und Strukturen kirchlicher Verwaltungen im Weg. Die Organisationen, also die (Erz-)Diözesen und Landeskirchen, sollten daher nicht, wie es allzu häufig in den Krisen unserer Zeit getan wird, die Verantwortung auf die Individuen abschieben, also erwarten, dass sich die haupt- und ehrenamtlichen Christ*innen jetzt zu Glaubensunternehmer*innen entwickeln. Stattdessen sollten sie die strukturellen Auswüchse und Machtansprüche der Körperschaften auch entsprechend umbauen, sodass aus den Kirchen wirksame purpose-driven zivilgesellschaftliche Organisationen werden können.
Kompetenzen statt Ämter als Kriterien für Stellenbesetzungen, kirchliche Datenschutzgesetze abschaffen, echte Arbeitnehmer:innenrechte etablieren, Chancengleichheit unter den Angestellten herstellen durch einen Stopp der Verbeamtungen - schon diese Punkte würden bei den Kirchen zu Bürokratieabbau, flexibleren Strukturen und finanziellen Einsparungen führen. Weiterhin würden auch die Abkehr vom Gießkannen- oder Rasenmäherprinzip und die Entwicklung einer wirkungsorientierten (Ressourcen-)Steuerung der Gemeinden, Dekanate/Kirchenkreise und Diözesen Anreize für das schaffen, was viele gern unter „kirchlichem Unternehmertum“ verstehen möchten. Warum nicht auch finanzielle und personelle Zuweisungen an die Wirkungen kirchlicher Praxis binden? Warum nicht ernsthaft mit kirchlichem Personal Zielvereinbarungsgespräche führen, Wirkungen erheben, besprechen und aus der Erkenntnis heraus die Praxis verändern?
Und ja, das sind die dicken Bretter, die mühsam zu bohren sind. Passieren werden diese Dinge angesichts des Rückgangs der Kirchlichkeit in Deutschland ohnehin irgendwann; allerdings wäre jetzt die Zeit, zu gestalten. Es lässt sich eben nicht von den Einzelnen vor Ort „Unternehmertum“ fordern, wenn die übergeordneten Strukturen durch Statussicherung und Besitzstandswahrung selbiges eher verhindern als begünstigen. Der organisationale Primat muss sich ändern – von der Verwaltung und Versorgung (und sei sie noch so effizient und agil) hin zur Wirkungsorientierung.
Miriam Zimmer
Dr. Miriam Zimmer ist Religionssoziologin und Leiterin Evaluation am Zentrum für angewandte Pastoralforschung, Ruhr-Universität Bochum.