Reinhard Mawick wird im Frühjahr 2025 seine Tätigkeit als Chefredakteur von zeitzeichen nach über zehn Jahren beenden. Der Herausgeberkreis der Zeitschrift hat in der vergangenen Woche entschieden, dass der Journalist Thilo Mischke seine Nachfolge antritt. Mischke war jüngst durch sexistische Äußerungen in die Kritik geraten und sucht nun nach dem Debakel rund um seine gescheiterte Besetzung als Moderator der Fernsehsendung „Titel, Thesen, Temperamente“ nach neuen Herausforderungen. Zu der Frage, ob Mawick aktuell in Verhandlungen mit der ARD stehe und sich als neues Gesicht für die Kultursendung ttt ins Gespräch bringt, wollte dieser bei einem Interview am vergangenen Mittwoch keine Auskunft geben.
Alles Fake-News meinen Sie? Da haben Sie natürlich vollkommen Recht. Da diese Zeilen von mir aller Wahrscheinlichkeit nach eher nicht viral gehen, wird sich auch CORRECTIV.Faktencheck nicht mit meiner erlogenen Gerüchteküche beschäftigen. Bei all dem, was an Desinformation in sozialen Medien kursiert, haben solche Faktenchecker ja auch in der Tat anderes zu tun als sich um eine kleine Flunkerei wie diese in einer noch kleineren bubble zu kümmern.
Kniefall vor Trump
Schon bald könnte sich die Auftragslage von CORRECTIV und Co allerdings deutlich verringern. Vor wenigen Tagen hat Mark Zuckerberg das Ende der von seinem Unternehmen organisierten Faktenchecks angekündigt. Die Zusammenarbeit mit Faktencheckern soll zunächst in den USA beendet werden. Wie sich dies in Europa auswirkt, ist derzeit noch offen und wird sich wohl vor allem durch das Maß an Widerstandskraft der EU entscheiden.
Laut Zuckerberg hätten Regierungen zu lange daran gearbeitet, Menschen zu „zensieren“. Er wolle nun seinen Konzern „zurück zu seinen Wurzeln“ führen und so die „freie Meinungsäußerung wiederherstellen“. Statt der Faktenchecks werde Meta eine Form der community notes etablieren, bei denen Mitglieder der Plattform selbst kommentieren und Fake-News als solche entlarven können. Was in Zuckerbergs Worten nach einem edlen Feldzug für die Demokratie klingen soll, ist natürlich in Wahrheit ein Kniefall vor Donald Trump und wird zu mehr Desinformation führen sowie zu verstärktem Hass und Rassismus in den sozialen Medien. Besonders bei den Themen Einwanderung und Gender will Zuckerberg nicht mehr eingreifen. Es wird rauer zugehen auf Facebook und Instagram und die Frage, was wahr und was falsch ist, wird zunehmend schwerer zu entscheiden sein. Dass das die rechten politischen Ränder für sich zu nutzen wissen, daran besteht kein Zweifel.
Wirkliches Dilemma
Welche ethischen Implikationen haben diese Szenarien für Christinnen und Christen? Ist es eigentlich noch ethisch vertretbar ein Facebook-Profil zu haben oder gar in Instagram-Stories das Evangelium zu kommunizieren? In der Facebook-Gruppe „Predigtkultur“ wurde schnell nach Zuckerbergs Ankündigungen begonnen, diese Fragen zu verhandeln. Während einige nach dem gemeinsamen Boykott riefen und das kollektive Auswandern auf andere Plattformen forderten, wollen andere erstmal abwarten, wie sich die Dinge in der EU entwickeln. Eines macht die Art dieser Kontroverse sehr deutlich. Es handelt sich um ein wirkliches Dilemma, in dem nicht trennscharf unterschieden werden kann, was richtig oder falsch ist. Wer bleibt, unterstützt und stärkt die Monopolstellung des Meta-Konzerns. Wer geht, verliert all die Kontaktflächen und so auch die Möglichkeit, Desinformation und Hassrede etwas entgegenzusetzen.
Für mich wäre ein kollektiver Boykott gegenwärtig nicht der richtige Weg. Man stelle sich einmal die fiktive Situation vor, alle, die christliche Werte teilen, wären plötzlich auf einer anderen moralisch unbedenklichen Plattform digital versammelt, gleichsam ein Paralleluniversum zu Meta, wo statt Fake-News und Shitstorms Milch und Honig fließen. Während bei Meta Desinformationen und Hetze kursieren, wären in diesem Paralleluniversum nur Herz-Emojis und Wahrheit, Wahrheit, nicht als die Wahrheit. Für mich ist ein solches Gedankenspiel so ziemlich das Gegenteil von dem, was mir ethisch einleuchtet in der aktuellen Gemengelage.
Die Frage von Pilatus „Was ist Wahrheit“, die vordergründig im Johannesevangelium unbeantwortet bleibt, findet ja zwischen den Zeilen des Johannesevangeliums doch eine Beantwortung. Wahrheit zeigt sich in der Begegnung mit Jesus. Wahrheit ist keine überzeitliche Einsicht, die man in ein Paralleluniversum retten kann. Wahrheit wird und entsteht in Begegnung und vor allem in der Begegnung, in der wir miteinander um diese Wahrheit ringen müssen. Was wäre das für ein Christentum, wenn es das Evangelium nicht gerade da ins Spiel bringt, wo es zutiefst in Frage steht? Die fragile und ambivalente Welt der sozialen Medien mit ihren demokratischen Grundzug und allerlei Räumen der Solidarität einerseits und Verdrehung der Tatsachen und Hassrede andererseits braucht Menschen, die immer wieder beharrlich diese Frage stellen: „Was ist Wahrheit?“ Sich mit dieser Frage aus dem Staub zu machen wäre für mich alles andere als redlich. Und dabei will ich nicht bestreiten, dass in Zukunft die Mechanismen so kippen können, dass ein Bleiben in der Tat nur noch eine Stabilisierung eines destruktiven Systems bedeutet.
Nur mittendrin
Gegenwärtig werden mir Bonhoeffers Gedanken über Wahrheit neu plausibel. Bonhoeffer hält fest, dass „die Wahrheit sagen“ nicht einfach eine Sache der Gesinnung ist, sondern auch der „richtigen Erkenntnis und des ernsthaften Bedenkens der wirklichen Verhältnisse“ (Bonhoeffer, Konspiration und Haft 1940-1945, DBW Bd. 16, S. 619). Die Wahrheit sagen muss also gelernt werden. Es geht nicht nur um die eigene untadelige Gesinnung und dann wäre alles andere ein Kinderspiel. Die Wahrheit sagen ist harte Arbeit. Es geht um das immer bessere Erkennenlernen der Wirklichkeit. „Es geht um das jeweils rechte Wort. Dieses zu finden ist eine Sache langer, ernster und immer fortschreitender Erfahrung und Erkenntnis des Wirklichen“ (a.a.O., S. 622) Wie sollte das möglich sein, wenn wir uns aus all den Diskursen verabschieden, innerhalb derer ein Großteil der Menschen sich ihre Meinungen bilden? Miteinander die Wahrheit sagen zu lernen, das geht nur mittendrin.
Nicht die Etablierung einer Gegenkultur kann der Schlüssel sein, sondern ein Gestaltungswille im Hinblick auf die Diskursformen in sozialen Medien. Volker Jung hat in der Vergangenheit die Zurückhaltung der Kirchen im Hinblick auf die Digitalität problematisiert. Wo die Kirche mit Digitalität umgegangen ist, hat sie den digitalen Raum tendenziell eher verkürzt als ein Vehikel für religiöse Kommunikation wahrgenommen, durch die sie ihre Botschaft in die Welt bringen konnte. Jung macht stark, dass es den Willen brauche, die digitale Veränderungen gestalten zu wollen, sonst gestalten sie uns. Es geht nicht allein darum, die digitalen Medien zu nutzen, sondern darum, Digitalität aktiv mitzugestalten. Vor dem Hintergrund von Zuckerbergs Ankündigung gewinnt dieser Appell an Brisanz. Als Kirchen haben wir eine ethische Aufgabe im Hinblick auf die skizzierte Gemengelage, die sich nicht vom Spielfeldrand erledigen lässt, sondern nur aus der aktiven Mitgestaltung heraus.
Für die EU steht ein Kraftakt an im Umgang mit den geplanten Änderungen bei Facebook und Instagram. Ob sie die Widerstandskraft aufbringt, die es bräuchte, ist derzeit offen. Um sich für diesen Kampf zu rüsten, ist vor allem ein tragfähiger ethischer Kompass unumgänglich. Als christliche Kirchen hätten wir zu seinem solchen Kompass Einiges beizutragen. Wir sollten damit nicht hinterm Berg halten, sondern es zur Verfügung stellen. Immerhin geht es um nicht weniger als die Wahrheit.
Katharina Scholl
Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.