Am Ende des Jahres ereignet sich im Vielfamilienhaus ein Phänomen. Von Halloween über Sankt Martin bis hin zum Nikolaus kommt es an der Wohnungstür zum Kinderklingeln. Ein bunter, multikultureller Nachwuchs im Vorschulalter gibt gestenreich und unmissverständlich in etwa zu verstehen: „Gib Süßes, sonst Saures!“
Ich komme aus dem Schaumburg-Lippischen und will mich auf die Wurzeln besinnen. Zu Halloween fällt mir nicht viel mehr ein als dicker Kürbis mit Lametta beim Discounter. Aber zu Sankt Martin, dem Heiligen auf dem Pferd, sind wir als Kinder gegen Abend mit bunten Laternen durchs Dorf gezogen, haben im Chor gesungen und dafür mal ein Süßi bekommen. Damals habe ich erfahren, dass auch ein Martin Luther am 10. November 1483 geboren und einen Tag später getauft wurde. Für mich war der 11. November ganz einfach ein fröhliches Martinssingen, aus dem sich erst später eine tiefere Beziehung zum Reformator entwickeln sollte.
Nun nahte der vorweihnachtliche Höhepunkt der Kinderaktion. Am 6. Dezember kommt ein Nikolaus, obwohl schon Martin Luther kein großer Freund von ihm gewesen sein soll. Der bekannte Brauch der Befragung der Kinder durch den Nikolaus, ob sie denn auch brav und fromm gewesen seien, gerät immer mehr in Vergessenheit.
Und eines schönen Abends hat es wieder an der Haustür geklingelt. Herrjeh, der 6. Dezember. Die Kinder aus verschiedenen Stockwerken und Nationen stehen freestyle verkleidet vor der Tür. Im kakophonischen Rap strecken sich mir die Ärmchen entgegen. Und ich stehe da mit leeren Händen. Hilfesuchend erhasche ich den Blick einer begleitenden Mutter. Geistesgegenwärtig greift sie in ihre gesammelten Süßigkeiten und schiebt mir eine Handvoll Bonbons rüber. Stück für Stück kann ich mit großer Geste einen Knicks und Kinderlächeln zaubern. Mein Nikolaus war gerettet.
Kathrin Jütte
Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.