Irgendwie beneidenswert, auf diese Weise glauben zu können: aus tiefstem Herzen und im fast unerschütterlichen Vertrauen auf die Existenz und das Wirken Gottes, auf Trost und auf Heilung. Für diese und für die nächste Welt. Menschen, denen das gelingt, sind seltener geworden in der rationalisierten und säkularisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Umso erstaunlicher, dass sich unter denen, die ihren Glauben öffentlich bekennen, auch ein Mann befindet, der in einem linksliberalen und gebildeten städtischen Milieu lebt und arbeitet, in einem Milieu, in dem der christliche Glaube ebenso wie kirchliche Bindungen erst recht nicht angesagt sind: in der Welt der Medien. Tobias Haberl, Autor beim Magazin der Süddeutschen Zeitung, aber erklärt frei: „Ich bin gläubiger Christ.“ Was das für ihn und seinen Alltag bedeutet und warum das so ist, entfaltet er in seinem Buch Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bin.
Die Sache mit den Heiden im Titel stellt Haberl dankenswerterweise im Buch selbst klar (denn das ist ja nicht nur eine verkürzende, sondern auch historisch nicht ganz korrekte Betrachtungsweise). Viel wichtiger auch als die „Heiden“ ist das „trotzdem“ im Untertitel. Trotz des privaten und gesellschaftlichen Umfelds, trotz eines aufgeklärten Bewusstseins, trotz aller aktuellen (berechtigten und unberechtigten) Kirchenkritik hält Haberl an seinem christlichen Glauben fest. Er hat den 49-Jährigen lebenslang begleitet und getragen.
Denn Haberl hat Glück gehabt. Er ist in einem christlichen Elternhaus in einer weitgehend heilen dörflichen Gemeinschaft im Bayerischen Wald aufgewachsen. Und was noch wichtiger sein dürfte: Der Glaube in seiner Familie war nicht bloßes Lippenbekenntnis und auch kein Sonntagschristentum. Er wurde gelebt, vorgelebt, vor allem vom Vater, der als Landarzt tätig war. In diesem Umfeld bedurfte es keines religiösen Drucks. Das Kind wuchs hinein in den Glauben und die damit verbundenen Traditionen. Wie wunderbar!
Starker Tobak
Haberl ist katholisch. Darum mag einiges von dem, was er in seinem Buch schreibt, für Protestantinnen und Protestanten schwer nachvollziehbar sein. Zum Beispiel sein inniges Verhältnis zur Eucharistie, also zur Wandlung von Brot und Wein zum Leib und Blut Christi. Noch irritierender ist sicherlich seine Vorliebe für die so genannte Alte Messe der römisch-katholischen Kirche, eine Messe, bei der der Priester mit dem Rücken zur Gemeinde steht, die gut und gerne zwei Stunden dauert und komplett auf Latein abgehalten wird. Das ist schon starker Tobak für die meisten Evangelischen. Auch Haberls relativ unbefangener Umgang mit dem Begriff der Sünde verlangt nach Erläuterungen. Und bisweilen ist er auch nicht ganz sauber in der Wortwahl: Manchmal sagt er christlich, wenn er katholisch meint.
Dennoch ist sein Buch ein Beleg dafür, dass auch eine persönliche Vorliebe für traditionelle Formen der Frömmigkeit nicht automatisch zu dogmatischer Enge und vor allem nicht zu Engherzigkeit gegenüber Andersgläubigen führen muss. Strenger als mit Andersgläubigen ist Haberl ohnehin mit den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die an gar nichts glauben – sei es aus Desinteresse, sei es aus bewusster Ablehnung. Vielleicht gelingt es ihm mit seinem Buch ja, etwas mehr Verständnis zu wecken für das, wofür die christlichen Kirchen letztlich stehen oder stehen sollten, und zwar jenseits aller Struktur- und Missbrauchsdebatten: für die erlösende und befreiende Kraft des Glaubens. Dass dabei positive Kindheitserfahrungen mit und in der Kirche von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind, beweist die Lebens- und Glaubensgeschichte Haberls einmal mehr.
Darum ist dem Buch eine breite Leserschaft zu wünschen, nicht nur unter denen, die sich und ihren Glauben darin bestätigt sehen möchten, sondern auch „unter Heiden“ und anderen, die auf der Suche sind.
Annemarie Heibrock
Annemarie Heibrock ist Journalistin. Sie lebt in Bielefeld.