Es sind starke Bilder, die den Wahlkampf in den USA im vergangenen Jahr geprägt haben. Sie zeigen, wie anders die deutsche Seele tickt, wenn es um Rhetorik geht: Die kommt bei uns gern rational und nüchtern, korrekt und kontrolliert daher. Durch die amerikanische Brille betrachtet, dürfte deutscher Wahlkampf als langweilig, bisweilen gefühlsarm, wenig zupackend und zielorientiert wirken. Was für politische Rede gilt, gilt auch für die Form der Predigt und geistlichen Rede: So zeigte sich Donald Trump umringt von Gläubigen, die ihm die Hände auflegen. Ein evangelikaler Prediger betet laut und beschwörend. Er preist Trump als Heilsbringer und verteufelt die Demokraten als politische Gegner. Bilder, die in Deutschland eher befremden und verstören. Sie offenbaren eine unheilvolle Allianz von Glauben und Politik, die hier tatsächlich überwunden scheint.
So greift die Mainzer Pfarrerin und Radioautorin Inga Kreusch mit ihrem Promotionsthema ein hochaktuelles Thema auf: Sie zeichnet die Geschichte einer stets wechselvollen Beziehung zwischen Rhetorik und Homiletik nach und forscht dabei nach den Ursachen einer Entfremdung. Am Ende hält sie ein Plädoyer für die Überwindung von Spannungen und Ambivalenzen zwischen beiden, wie sie auf dem anderen Kontinent zum Beispiel in den Konzeptionen von David Buttrick und Thomas G. Long gelingt. Sie stellt dabei Fragen: Woher rührt die Ablehnung an deutschsprachigen Hochschulen, die Predigt zwar mittlerweile auch als Kunstwerk begreifen und Predigen als „Kunst unter Künsten“ (Martin Nicol), dabei aber doch deutlich andere Wege gehen als die New Homiletic, die seit den 1960er-Jahren in Nordamerika traditionelle Predigtlehre und -praxis zunehmend ablöste und das rhetorische Profil religiöser Rede in den Fokus zu rücken begann.
Kreusch bietet einen kompakten Überblick über die Ursprünge der Rhetorik in der Antike, wo gute und wirkungsvolle Rede erstmals als Kunst und Handwerk in den Blick geriet, theoretisch durchdacht und für die Praxis handhabbar gemacht wurde. Kritik gab es bereits damals. So äußerte Platon den Verdacht, Rhetorik diene nur der Durchsetzung eigener Interessen. Basierend auf den Erfahrungen von Ideologisierung und Indoktrination nationalsozialistischer Propaganda, die auch vor den Kanzeln Deutschlands nicht Halt machte, vollzog die Dialektische Theologie mit Trennschärfe die Ablehnung rhetorischer Mittel beim Predigen. Ein Schritt, der bis heute in unserer Predigtkultur nachwirkt und – auch das weist die Autorin nach – weiterhin Berechtigung hat. Dennoch wirbt sie für eine Überwindung und Annäherung von Rhetorik und Homiletik.
Zu Recht, denn es lohnt in Zeiten von Kriegen und Krisen und erstarkenden populistischen und rechtsextremen Gesinnungen, auf die kirchliche Rede zuweilen verzweifelt mit Predigten und Statements zu reagieren versucht, sich wieder das humanistische Ideal in Erinnerung zu rufen. Allein die drei Wirkungsfunktionen der klassischen Rede, die Kreusch hier in Erinnerung ruft, sind es wert, künftig als Reminder bei der eigenen Predigtvorbereitung neben jede Tastatur im Amtszimmer gelegt zu werden: Belehren, erfreuen und bewegen möge eine gute Rede – möge gute Predigt auch!
Inga Kreusch gelingt mit ihrem Buch ein spannender Überblick über die unterschiedlichen Entwicklungen des Predigtverständnisses. Sie macht Mut zur eigenen Verortung und fordert Klarheit über die eigene Intention beim Predigen. Sie markiert dabei Chancen und Gefahren religiöser Rede, die einer eigens erarbeiteten rhetorischen Strategie folgt, sich also absichtsvoll vollzieht, ohne dabei aber die Unverfügbarkeit des Evangeliums und die Freiheit der Zuhörenden aufzugeben. Es geht am Ende eben nicht um Beeinflussung, sondern um Rechenschaft über die eigene Intention und nicht zuletzt um die Wertschätzung und das Ernstnehmen der Predigthörenden. Gilt nicht nur im Radio.