Die Hamas-Freunde feixten, als sie mit Zündeln und aggressivem Pro-Irgendwas verhindert hatten, den Dokumentarfilm „Screams before Silence“ in Dortmund im Kino zu zeigen. Er hat bloß wenige drastische Szenen, macht das Grauen der Vergewaltigungen auf dem Nova-Festival jedoch krass spürbar. Und die Frauen erhalten eine Stimme. Tali Binner konnte sich verstecken und hörte ihre Schreie. Sie wusste, was geschah. Im Film redet sie darüber.
Verstummen war nach dem 7. Oktober auch für Trompeter und Komponist Avishai Cohen der erste Impuls. Er machte gerade eine Auszeit in Israel, wollte die Musik für sein neues Album schreiben, sie live mit seinem Quartett spielen, bevor es nach Südfrankreich ins Studio gehen sollte. Aber nichts ging mehr: „Nichts konnte ich schreiben, nicht mal die Trompete anfassen.“ Er wollte Tour und Aufnahmen absagen. Ashes to Gold verdanken wir seinem Pianisten Yonathan Avishai: „Nein, wir müssen Musik machen“, habe er gesagt. Der Produktionsprozess der Suite von symphonischer Intensität war indes ganz anders als bei den bisherigen Alben (Cohen: auch Flöte und Flügelhorn; Barak Mori: Bass; am Schlagzeug: Ziv Ravitz). Sonst haben sie die fertig geschriebene Musik improvisatorisch im Studio interpretiert, diesmal jedoch gemeinsam an ihr gearbeitet – in nur einer Woche, während die Raketen flogen.
Es ist eine Suite gegen das Verstummen, deren erster Satz mit Piano und Flöte beginnt. Der Bass gestrichen, spät setzt die Trompete ein, das Schlagzeug bleibt sacht. Arglosigkeit, aber da ist ein Lauern. Der Horror, das Massaker sind laute Schatten, Geierkreisen, nicht purer Krach, sondern unmittelbar Verstörung, Trauma, Schock. Stolpernde Chronologie, kein Nacherzählen, kein Klangmalen, bloß sehr ergreifend das, was erreichbar ist, wenn sich vier eingespielte Musiker der Stille nach den Schreien stellen. Kern ist der mittlere, dritte Satz: Gezupfter Bass und Piano beginnen, Cohen und Ravitz kommen spät hinzu. Trauer mit der Anmutung eines Passionschorals, wuchtig, aber ohne Erlösung. Doch sie spielen weiter. Im vierten Satz kehrt die Flöte zurück, Leben und Horror dicht an dicht. Perlendes Pianospiel eröffnet den Schlusssatz. Er pulst, mit deutlich jazzigerem Idiom, das Schlagzeug ist expressiver, herzschlagmäßig, die Trompete schwingt sich auf.
Ashes to Gold guckt hin – packt, schüttelt und macht seltsam ruhig. Es ist auf unheimliche Weise tröstlich. Grandiose Musik, die zwischen Klage und nacktem reinen Ton nichts auslässt. Am Ende dann „The Seventh“ – berührend zärtliche Interpretation einer Melodie, die Cohens Tochter geschrieben hat. Eine Teenagerin, die leben dürfen soll und frei, tanzen, wie sie will. Auch auf einem neuen Nova-Festival.
Udo Feist
Udo Feist lebt in Dortmund, ist Autor, Theologe und stellt regelmäßig neue Musik vor.