Das Hallesche Heilthum

Über Kunst als Ausdrucksmittel von Macht und Frömmigkeit
Die Lindenholzplastik „Heiliger Martin zu Pferde“ vom Ende des 15. Jahrhunderts wird im Kunstmuseum Moritzburg in Halle gezeigt.
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Die Lindenholzplastik „Heiliger Martin zu Pferde“ vom Ende des 15. Jahrhunderts wird im Kunstmuseum Moritzburg in Halle gezeigt.

Ein eindrucksvolles Bild von spätmittelalterlicher Frömmigkeit, höfischer Macht und Prachtentfaltung bietet eine Ausstellung in der Moritzburg in Halle an der Saale. Der Autor und Dramaturg Andreas Hillger blickt in eine Epoche am Vorabend der Reformation.

Der Erzbischof wusste zu herrschen – und zu teilen: Als Ernst II. von Sachsen am 3. August 1513 in der halleschen Moritzburg starb, wartete seine Grabtumba im Magdeburger Dom bereits seit 18 Jahren auf den Leib des geistlichen Herrn. Dass er aber verfügt hatte, sein Herz in der Maria-Magdalenen-Kapelle seiner Residenz beizusetzen, lässt sich im heutigen Sachsen-Anhalt als politische Pointe mit Hintersinn lesen: Auch die beiden großen Städte des Bindestrich-Landes wirken oft seltsam zerrissen, wobei die weltliche Macht inzwischen allerdings im Schatten des ehrwürdigen Magdeburger Gotteshauses regiert. In der Moritzburg aber fügt das Landeskunstmuseum nun zumindest auf Zeit wieder zusammen, was in den vergangenen fünf Jahrhunderten in alle Winde zerstreut worden ist – und was Sehens- und Bemerkenswertes über die „Frührenaissance in Mitteldeutschland“ erzählt.

Gerechtigkeyt 1525

Als äußerer Anlass der spektakulären Schau dient die ebenso schreckliche wie schlagartige Zäsur des Bauernkriegs, die der Erzbischof von Magdeburg und Administrator des Bistums Halberstadt gar nicht mehr erlebte – und deren Ursachen doch eng mit seiner Familie verbunden bleiben. Denn Ernst II. war der jüngere Bruder jenes sächsischen Kurfürsten Friedrich, der als „der Weise“ in die Geschichte der Reformation eingehen sollte – und dessen Todestag sich 2025 zum 500. Mal jährt. Und wenn dieser Herrscher seine Hand einige Jahre zuvor nicht schützend über den störrischen Untertanen Martin Luther gehalten hätte, wäre die Eskalation der religiösen und sozialen Konflikte vielleicht auch nicht in den „Uffrur“ der Bauern und Bergleute gemündet – und das tausendfache Sterben auf dem Schlachtberg bei Frankenhausen vermieden worden. Nun aber erzählt man in Halle folgerichtig von „Macht, Repräsentation, Frömmigkeit“ als Teil einer dezentralen Landesausstellung, die unter der Dachmarke „Gerechtigkeyt 1525“ auch Stationen der Luthermuseen in Eisleben und Mansfeld sowie zeitgenössische Positionen der Kunststiftung Sachsen-Anhalt und der Werkleitz-Gesellschaft vereint. Die kulturhistorische Grundlegung für dieses Panorama aber findet sich hier.

Ausgebreitet sind rund 250 Exponate von 70 Leihgebern, ein dreiteiliger Rundgang erschließt den zeit- und kunstgeschichtlichen Horizont: Die erste Abteilung nimmt das Wirken jenes Erzbischofs in den Blick, der oft zu Unrecht im Schatten seines halleschen Nachfolgers – und Luther-Gegenspielers – Albrecht von Brandenburg steht. Nachdem die Berater des erst 14-jährigen, mit päpstlichem Dispens kurz zuvor ins Amt gehobenen Ernst einen Konflikt der halleschen Salzsieder mit den übrigen Innungen genutzt hatten, um die mächtigen Patrizier weitgehend zu entmachten, begann in der Stadt an der Saale 1479 der Bau der Moritzburg. Sie zeigt in Portalen, Giebeln und Arkaden italienische Einflüsse und zählt wie der benachbarte, wenig später aus der Stiftskirche hervorgegangene Dom zu den frühen Zeugnissen der „welschen Manier“. Dass dieses Gehäuse – trotz seiner späteren Zerstörung und der aktuellen Überformung – selbst zum größten Exponat der Ausstellung geworden ist, hätte dem Bauherren wohl gefallen. Schließlich schätzte er als eifriger Sammler von kostbaren, heilspendenden Memorabilien auch den Wert der Verpackung.

Zentausende Partikel soll das Hallesche Heilthum umfasst haben, das Kardinal Albrecht 1520 katalogisieren ließ, mindestens 103 Reliquiare gingen auf Ernst zurück. Dass die meisten der wundertätigen Exponate – ebenso wie die konkurrierende Kollektion des Wittenberger Kurfürsten – zerstört, eingeschmolzen oder in alle Winde verstreut wurden, lässt die wenigen Überbleibsel in der Schau umso kostbarer erscheinen. Dazu zählt etwa ein hinreißendes, winziges Perlmutt-Relief von Christus am Ölberg, an dem der Betrachter die Wirkmacht eines Pars pro toto nachvollziehen kann – stellvertretend für das Verlorene. Dass im selben Raum auch die Magdeburger Grablege des Erzbischofs als moderne Medien-Replik inszeniert wird, wirkt wie ein erhellendes Kontrastmittel zu den umgebenden Originalen. Näher als hier kann man der letzten, in der berühmten Nürnberger Werkstatt von Peter Vischer aus Messing gefertigten Ruhestätte auch in jenem Dom nicht kommen, der unter Ernst II. seiner Vollendung entgegenging. Eine Figur des Heiligen Mauritius steht – als duplizierte Abordnung der zwölf Magdeburger Grabwächter – der Installation gegenüber, wichtige Dokumente der bischöflichen Macht und ein liturgisches Gewand aus dem Halberstädter Domschatz vervollständigen das Lebensbild. Im Turmkabinett nimmt hingegen bereits die rote Grundierung jene fiebrige Stimmung auf, die um 1500 in Mitteldeutschland herrschte – geschürt durch die Medienrevolution des Buchdrucks, aber auch durch Bildungsreisen der Adligen und durch das erwachende Selbstbewusstsein des „dritten Standes“. Eindrücklich das Nebeneinander von Weltchronik und landwirtschaftlichem Lehrbuch, von Dürers Bauern-Bildern und von den geschnitzten Eckpfeilern einer Stolberger Bohlenstube, deren düstere Heilige einst auf den jungen Thomas Müntzer hinabgeblickt haben mögen.

Individuelles Menschenbild

Der weitaus größte Teil der Ausstellung aber widmet sich der Kunst als Ausdrucksmittel von Macht und Frömmigkeit – und damit jenen Namen, die ihre einstigen Mäzene längst überstrahlen. Die Entdeckung des individuellen Menschenbildes wird in ausdrucksstarken Porträts wie in allegorischen Akt-Darstellungen kenntlich, biblische Standards wechseln mit höfischer Selbstinszenierung, intime Miniaturen mit raumgreifenden Altartafeln. Aus nah und fern kommt so noch einmal zusammen, was sich damals schon in Halle und Umgebung versammelte: Albrecht Dürer und Martin Schongauer, Jacopo de’ Barberi und natürlich der mitteldeutsche Großmeister Cranach, dessen Wittenberger Werkstatt überkonfessionell und mit gleichbleibend hoher Qualität lieferte – Luther-Porträts ebenso selbstverständlich wie die Altar-Retabeln des halleschen Doms, die Kardinal Albrecht als größten zusammenhängenden Gemälde-Auftrag der deutschen Kunstgeschichte bei ihm zuvor bestellt hatte. Schmerzliche Fehlstellen – die von Ernst für seine Herzkammer erworbenen Altäre von Hans Baldung Grien – werden in der Maria-Magdalenen-Kapelle immerhin durch Nachbildungen ersetzt, auch die frühe Baugeschichte der Moritzburg vor ihrer Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg kann man an einem 3D-Modell nachvollziehen … ein prächtiger Parcours, der zudem auf Korrespondenz-Standorte in der halleschen Moritzkirche, in Magdeburg und in Halberstadt verweist.

Dass diese Blütezeit zugleich der Anbruch einer epochalen Krise war, in der mit den Gewissheiten des Glaubens auch die Gesellschaft erschüttert wurde, erzählt sich freilich eher in den Leerstellen als im gegenständlich Gezeigten. Den Morgenstern, dessen Aufgang diese von den Kuratoren als „Vorabend“ postulierte Zeit beendete, sucht man hier noch vergebens. Und so ergänzt man auch das verstümmelte Zitat aus dem Vaterunser auf der Rückseite des Kataloges: „Pracht und Herrlichkeit“ … in Endlichkeit, Amen! 

 

Informationen

Die Ausstellung „Frührenaissance – Macht. Repräsentation. Frömmigkeit.“ ist bis 2. März 2025 in dem Kunstmuseum Moritzburg in Halle/Saale zu sehen. Montag, Dienstag, Donnerstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen. 
www.kunstmuseum-moritzburg.de
www.gerechtigkeyt1525.de

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