„Was Sie machen, tut mir gut“

Anne Gidion hat über „Leichte Sprache“ promoviert
Portrait Anne Gidion (Frau mit zurückgesteckten blondem Haaren im blauen Blazer am Schreibtisch)
Foto: Karin Baumann

Seit 2023 ist die Theologin Anne Gidion Bevollmächtigte der EKD bei der Bundesregierung und der EU in Berlin und Brüssel. Kurz bevor sie dieses Amt antrat, promovierte sie über die Verwendung von „Leichter Sprache“ in Gebet und Liturgie.

Sprache hat mich geprägt, schon immer. Schon bevor ich anfing, sie zu verstehen. Meine Mutter hat jahrzehntelang eine Zeitschrift redigiert, mit dem Klack-Klack ihrer Schreibmaschine bin ich abends eingeschlafen, aus abgelehnten Manuskripten habe ich Buchstaben ausgeschnitten und neue Worte gelegt. Unter dem Schreibtisch meines Vaters, Fachleiter Deutsch und Lehrer in Göttingen, hörte ich ihn über „Didaktik“ sprechen und dachte, er meint das Tick-Tack der großen Uhr meines Großvaters auf dem Kaminsims.

Zur Theologie kam ich aber nicht durch mein Elternhaus – mein Vater war sogar aus der Kirche ausgetreten, da er nach der NS-Zeit keine „Systeme“ mehr ertragen konnte –, sondern durch eine mitreißende Lehrerin im Leistungskurs Religion. So wurden Religion und Theologie meines. In der Gemeinde St. Albani engagierte ich mich in der Jugendarbeit und diskutierte die Themen des Leistungskurses Religion mit jungen Erwachsenen. In diesem Kreis studierten einige bereits Theologie. Griechisch und Hebräisch zu lernen, lockte mich. Ich musste meinem Vater allerdings versprechen, dass ich keine Pfarrerin werde. Als ich es später doch wurde, hatte er mir längst verziehen …

Mein Studium absolvierte ich in Marburg, Wuppertal, Heidelberg und im britischen Durham. Als Studentin war ich damals, Ende der 1990er-Jahre, das jüngste Mitglied in der Präsidialversammlung des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Dort bin ich rasch in diese Welt zwischen Kirche und Gesellschaft hineingewachsen. Direkt nach dem Studium wurde ich für ein Jahr Referentin beim Kirchentag, danach war ich für zwei Jahre im Büro des Bevollmächtigten in Berlin und danach drei Jahre im Bundespräsidialamt für die Kontakte zu den Kirchen, den Religionsgemeinschaften und zur Kultur zuständig. Dann absolvierte ich mein Gemeindevikariat in Hamburg und trat meine erste Stelle als Pastorin in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf an.

In Alsterdorf begegnete ich erstmals intensiver dem Phänomen der Leichten Sprache, auch durch die Aktivistengruppe „People first“, die sich für Menschen mit Lernschwierigkeiten stark machte und deren Mitglieder auf Diakoniekongressen rote Stoppschilder hochhielten. Sie sagten: „Rede nicht über uns, sondern rede mit uns!“ Das war unbequem, gleichzeitig überzeugte mich diese klare Intervention: Stopp: Leichte Sprache! Und dann habe ich angefangen, mich damit zu beschäftigen.

Später, als Dozentin im Gottesdienst­institut der Nordkirche, habe ich ganz praktisch Leichte Sprache in Liturgie und Gebet in Workshops ausprobiert. Schließlich gab ich dann 2013 mit anderen zusammen das Buch Leicht gesagt! Biblische Lesungen und Gebete zum Kirchenjahr in Leichter Sprache heraus (Neuauflage 2023). Es war das erste Werk dieser Art (siehe auch den Text zum Thema in zz 7/2017). Immer wieder habe ich Anlauf genommen, zu diesem Thema auch wissenschaftlich zu arbeiten. Aber neben einer vollen Berufstätigkeit? Spätestens ab 2017 als Rektorin des Pastoralkollegs der Nordkirche in Ratzeburg wurde es immer schwieriger, noch nebenbei an einer Promotion zu arbeiten.

Dass die Arbeit dann doch noch fertig wurde, ist auch eine Folge der beiden Corona-Jahre, in denen sich zwangsläufig etwas mehr Freiräume fürs Schreiben boten, da direkte Begegnungen mit den Gruppen im Kolleg nur eingeschränkt möglich waren. Ich verdanke es aber besonders meinem Doktorvater Thomas Klie von der Universität Rostock, der mich immer wieder sehr ermutigt hat. 2024 ist die Arbeit schließlich unter dem Titel Leichter beten. Leichte Sprache in der Liturgie – Argumente, Anschauungen, Auswirkungen im Kohlhammer-Verlag in Stuttgart erschienen. Darin trage ich zum einen aus rechtlich-politischer Perspektive zusammen, was der Anspruch auf barrierefreie Kommunikation mit dem Recht auf Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und mit Leichter Sprache zu tun hat. Die linguistische Forschung ist seit einem guten Jahrzehnt ebenfalls mit den Auswirkungen von Leichter Sprache beschäftigt. Mittlerweile gibt es sogar einen DUDEN für Leichte Sprache, der natürlich viel differenzierter ist als das ursprüngliche Regelwerk der Selbsthilfebewegung. Die Kirchentage waren schon früh ein Erprobungsfeld für Leichte Sprache und Liturgie – in meiner Arbeit werte ich Gebete der Eröffnungsgottesdienste zwischen 2007 und 2019 aus.

Die Verwendung Leichter Sprache auch im Gemeindegottesdienst oder in Kasualien bietet Zugangswege für Menschen mit Verstehensschwierigkeiten und auch für kirchlich Ungeübte. Gerade in Liturgie und Gebet sollten wir den Maßstab und die Möglichkeiten kognitiv Schwächerer im Blick behalten – das ist für mich ein zutiefst befreiungstheologischer, ja ein jesuanischer Impuls. Natürlich fällt das nicht immer leicht, und Versuche dazu geraten nicht immer überzeugend, denn geistliche Rede orientiert sich ja bewusst an geprägter Form aus anderen Zeiten: Sie ist eine Art „Wortmusikalität“, die etwas transportiert, was gar nicht „nur“ Kommunikation sein will, sondern per se schon Sinnsprache ist. Aber in diese Spannung hineinzugehen, liturgische Situationen genau vorwegzunehmen und Leichte Sprache als Formulierungsoption mitzudenken, finde ich lohnend und faszinierend. Liturginnen und Liturgen kommen, so meine Erfahrung in Seminaren, im Übersetzungsprozess von traditionellen Texten in Leichte Sprache häufig selbst in eine Haltung, die der betenden Haltung am meisten entspricht.

Seit gut zwei Jahren bin ich nun als Bevollmächtigte des Rates der EKD im Gegenüber zu Staat und Politik tätig, zum einen als kirchliche Interessenvertreterin, aber auch als „Anwältin“ derjenigen, die im politischen Raum wenig Gehör finden. Und ich bin außerdem Seelsorgerin von Politikerinnen und Politikern. Auch in solchen Kontexten lege ich bei Gebeten oft die Prinzipien der Leichten Sprache zugrunde, denn unsere traditionelle, herkömmliche Sprache wird immer weniger verstanden. Behutsame Umformungen und Elementarisierungen können nützlich sein. Ich habe mich jedenfalls gefreut, als kürzlich eine bekannte Politikerin nach einer Andacht zu mir sagte: „Was Sie machen, tut mir gut. Irgendwie habe ich das Gefühl, Sie beten wirklich, wenn Sie beten.“

Aufgezeichnet von Reinhard Mawick

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Theologie"