Der Flächenbrand des Bauernkrieges, der durch Flugschriften angeheizt wurde, dürfte die erste publizistisch induzierte militärische Auseinandersetzung der europäischen Geschichte gewesen sein. Diese These vertritt der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann.
In Bezug auf moderne Kriege ist unstrittig, dass Propaganda eine ihrer wesentlichen Waffen ist. Da die Wahrheit das erste Opfer jedes Krieges ist, gilt es, die Gegenseite zu täuschen, die Weltöffentlichkeit nach Kräften zu manipulieren und auf allen denkbaren Kanälen und in allen möglichen Medienformaten die eigene Sache zu legitimieren und die des Feindes zu attackieren. Der hemmungslose Zugriff auf alle Medien zum Zweck der Propaganda im Kriegsfall ist vor allem in autoritären Herrschaftssystemen möglich. Putins Russland liefert für derartige Gebaren seit geraumer Zeit vielfältigstes Anschauungsmaterial. Im so genannten Bauernkrieg des Jahres 1525 bedienten sich vor allem diejenigen der Druckpresse, die die Aufstände ablehnten und bekämpften. Der früheste Beleg für den Begriff Bauernkrieg fällt in den Herbst 1525, wenige Monate nach den großen, für die ungeübten Bauernheere vernichtenden Großschlachten etwa bei Böblingen, Zabern oder Frankenhausen, bei denen Zehntausende Landmänner abgeschlachtet wurden. Bauernkrieg bezeichnet im Kontext seiner Erstverwendung eine Perversion, eine Anomalie, einen Verstoß gegen die gottgewollte Schöpfungsordnung. Denn Bauern dürfen keinen Krieg führen; dies gebührt allein dem weltlichen Arm, dem Adel, den Herren, denen Gott das Schwert übertragen hat. Kriegführende Bauern begehen Aufruhr. Sie zu bekämpfen ist nicht nur legitim; es ist vom Gesetz Gottes her zwingend geboten. Darin stimmten die Theologen beider sich sonst schroff bekämpfenden theologischen Lager der Evangelischen und der Altgläubigen prinzipiell überein.
Eine Perversion
Unterschiedlich waren nur die Begründungen für das Unerhörte: Für Martin Luther und seine Parteigänger war es der Schwärmer Thomas Müntzer, den die Hauptschuld traf; für die katholischen Kontroverstheologen hatte Luther die Bauern durch seine Kritik an Klerus und Kirche und seine Freiheitsrhetorik verführt. Nach seinem ursprünglichen Sinngehalt bezeichnet der Begriff Bauernkrieg eindeutig ein No-Go. In einer ganzen Reihe von zeitgenössischen Publikationen wurden die wilden kriegerischen Geschehnisse des Frühjahres 1525 entsprechend verurteilt.
Auch in anderer Hinsicht waren die Geschehnisse des Bauernkrieges entscheidend mit der Druckpresse verbunden. Zwei programmatische Texte, die „Zwölf Artikel gemeiner Bauernschaft“ und die so genannte Memminger Bundesordnung, spielten bei der Ausbreitung der Aufstände eine zentrale Rolle. Der Zusammenhang beider Dokumente mit bäuerlichen Versammlungen ist keineswegs eindeutig, im Gegenteil. In ihrer zuerst in Augsburg in den Druck gelangten Form geben die „Zwölf Artikel“ schwerlich die ipssima vox rusticorum, die ureigenste Stimme der Bauern wieder. Im Verhältnis zu Beschwerdeartikeln, die die Bauernschaften des Memminger Landgebietes am 24. Februar 1524 bei dem Rat der Reichsstadt eingereicht hatten, war die Druckversion entschieden theologisiert und auf die zeitgenössischen publizistischen Auseinandersetzungen bezogen. Aller Wahrscheinlichkeit nach geht diese Bearbeitung auf den Memminger Kürschnergesellen Sebastian Lotzer zurück, der sich seit 1523 als theologischer Laienschriftsteller verdingte. Er besaß ein besonderes Interesse daran, die Bauern an die reformatorische Bewegung heranzurücken, zugleich aber diese von der sich abzeichnenden bäuerlichen Gewalt zu distanzieren. Im Hintergrund stand der allenthalben vitale Vorwurf der Anhänger der Papstkirche, Luther und die Seinen seien für Aufruhr und Empörung verantwortlich. Die Theologisierung der bäuerlichen Artikel bestand vor allem darin, dass zumeist wenig plausible Bibelstellen für einzelne Forderungen angeführt wurden. Luther, aber auch Autoren wie Andreas Osiander, Urbanus Rhegius, Philipp Melanchthon oder Johannes Brenz, die sich literarisch einschalteten, sahen darin einen Missbrauch der Bibel und wiesen die „Zwölf Artikel“ deshalb in einer Reihe an Flugschriften scharf zurück.
Zwei Dutzend Drucke
Hinsichtlich der über zwei Dutzend Drucke stellen die „Zwölf Artikel“ die verbreitetste Publikation des früheren 16. Jahrhunderts dar. Das nur einen Quartbogen umfassende Schriftchen wurde in ungefähr acht Wochen in weiter geografischer Streuung verbreitet. Die Druckorte der durchweg anonym erschienenen Ausgaben konnten erst in unseren Tagen ermittelt werden. Sie reichen von Augsburg über Konstanz, Worms, Speyer, Nürnberg, Zwickau, Erfurt, Straßburg, Regensburg, Forchheim, Würzburg und Reutlingen bis ins schlesische Breslau. Dass der Norden des Reiches von Nachdrucken der „Zwölf Artikel“ nicht erreicht wurde, war durchaus symptomatisch, denn hier spielte der Buchdruck eine ungleich geringere Rolle als im städtereicheren Mittel- und Süddeutschland. In Süd- und Mitteldeutschland schlossen sich die Bauernhaufen in großer Zahl den „Zwölf Artikeln“ an. Und auch dort, wo sie Adlige oder Städte in ihre Gefolgschaft zogen, bildete die oft durch Beeidungen vollzogene Anerkennung der „Zwölf Artikel“ ein entscheidendes Kriterium. Selbst dann, wenn bestimmte Rechtsformen, mit denen sich diese auseinandersetzten, in einzelnen Gegenden gar nicht galten – die Leibeigenschaft etwa in Thüringen –, nahm man sie feierlich an. Der verwegene Anspruch der „Zwölf Artikel“, die Hauptartikel aller Bauern in jedem beliebigen Herrschaftsgebiet zu repräsentieren, schuf sich seine eigene Plausibilität und setzte sich sogar gegen die Faktizität im Einzelnen sehr differenzierter Rechtsverhältnisse, in denen die Bauern lebten, durch. Insofern bildeten sie das stärkste Bindeglied zwischen den in wenigen Wochen in Brand geratenen Aufstandsregionen – vom Allgäu und Oberschwaben über Württemberg, die Pfalz, Franken und das Elsass bis nach Hessen und Thüringen.
Die erste der Forderungen der „Zwölf Artikel“ bestand in der freien Pfarrerwahl. Die Sehnsucht nach evangelischer Verkündigung rückte deutlich in den Vordergrund. Sodann wurde die Forderung formuliert, den Großen oder Kornzehnten in gemeindliche Verantwortung zu überführen und für die Pfarrbesoldung und die Armenversorgung zu nutzen. Den Kleinen oder Viehzehnten wollte man nicht mehr entrichten. Bei der Forderung nach einer Abschaffung der Leibeigenschaft war die Begründung bemerkenswert: weil „uns Christus all mitt seynem kostparlichen plutvergussen erlöst und erkaufft habe.“ Aus der universalen Heilsbedeutung des Todes Jesu wurde also eine allgemeine Freiheit der Menschen abgeleitet. Luther konnte darin nichts anderes als eine Vermischung des geistlichen und des weltlichen Regiments sehen. Dass diese allgemeine Freiheitsproklamation in einer unaufgelösten Spannung zur Anerkenntnis der weltlichen Obrigkeit, die die „Zwölf Artikel“ auch aussprachen, stand, ist evident. In manchen Forderungen wehrten sich diese gegen erst unlängst eingetretene Neuerungen, die dadurch gekennzeichnet waren, dass adlige oder geistliche Herren ihre Macht ausweiteten und angestammte alte Rechte der Bauern verletzten oder ignorierten.
„Zwölf Artikel“ als Manifestation
Inwiefern man die „Zwölf Artikel“ auch als Manifestation einer bäuerlichen, ökologischen Theologie interpretieren kann, wie die renommierte Oxforder Historikerin Lyndal Roper es tut, wird grundlegend zu diskutieren sein. Jedenfalls sahen diese eine gemeindliche Nutzung der Allmende vor und ein freies Jagdrecht der Bauern in Wäldern und Flüssen. Auch die Nutzung der Ressourcen an Holz, Wiesen und Äckern sollte gemeinschaftlich erfolgen. Bei grundsätzlicher Anerkenntnis bestehender Herrschaftsstrukturen strebte man allerdings an, die den Obrigkeiten zu erbringenden Dienstleistungen und die Pachtzinsen zu verringern. Als Begründung wurde das Adam anvertraute dominium supra terram (Genesis 1) angeführt: „Wann als Gott der herr den menschen erschuff, hat er im gewalt geben uber alle thier, uber den fogel im lufft und uber den fisch im wasser.“ Im Jahr 2000, aus Anlass des 475. Jubiläums der „Zwölf Artikel“, interpretierte Bundespräsident Johannes Rau diese Äußerung im Sinne der Idee einer elementaren, ursprünglichen, gottgewollten Freiheit und Gleichheit aller Menschen und rückte sie in die Entstehungsgeschichte der Menschenrechte ein. Das mag sein; sie als genuinen Ausdruck bäuerlichen Empfindens zu werten, ist allerdings aus Gründen methodischer Quellenkritik durchaus schwierig.
Unter dem Titel „Handlung und Artikel so fürgenommen von allen Räten der Haufen, so sich zusammen verpflicht haben“ wurde in Speyer die so genannte Memminger Bundesordnung gedruckt. Das Dokument geht auf die Zusammenkunft der Delegationen dreier Bauernhaufen – der Bodenseebauern, des Allgäuer und des Baltringer Haufens – Anfang März 1525 in der Memminger Kramerstube zurück. Zu Beginn der Verhandlungen sah es so aus, als ob man sich über das weitere Vorgehen nicht würde verständigen können: Die Seebauern und die Allgäuer favorisierten nämlich ein gewaltsames Vorgehen, die von dem Handwerker Huldrich Schmied angeführten Baltringer wollten sich ganz am Worte Gottes orientieren und Gewalt vermeiden. Gleichwohl einigte man sich schließlich auf einige Artikel, die man dann drucken ließ. Diese Ordnung einer „christlichen Vereinigung“ schien einerseits einen friedlichen Konfliktaustrag mit den Herren anzustreben, andererseits mit „krieg und auffrur“ zu rechnen beziehungsweise diesen vorzubereiten. Jegliche Abgaben an geistliche oder weltliche Obrigkeiten wurden der Ordnung zufolge bis auf Weiteres ausgesetzt. Ein Artikel über die Schlösser verbot Adligen, ihre Wohnsitze militärisch zu sichern. Ansonsten wurde die Organisationsstruktur der unter Waffen stehenden Bauernhaufen festgelegt. Die ursprünglich in Spannung zur Memminger Bundesordnung stehenden „Zwölf Artikel“ verschmolzen in ihrer Rezeption mit dieser und avancierten zum Programm auch der sich militarisierenden Bauernhaufen.
Publizistische Dynamik
Mit über 30 Druckausgaben waren die „Zwölf Artikel“ und die „Memminger Bundesordnung“ die verbreitetsten Schriften, die reale oder fingierte Anliegen der Bauern zum Ausdruck brachten. Dadurch unterschieden sich die Vorgänge des Frühjahrs 1525 von allen vorreformatorischen Bauernaufständen – etwa „Bundschuh“ und „Armer Konrad“ –, die sich seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts signifikant gehäuft hatten. Die publizistische Dynamik offenbart auch, was aufgrund von Luthers scharfer Polemik gegen die bäuerlichen Aufstände immer wieder bestritten oder marginalisiert wurde: dass es einen genuinen Zusammenhang zwischen der durch den Wittenberger Reformator ausgelösten reformatorischen Bewegung und dem Bauernkrieg gab. In dieser Hinsicht haben die altgläubigen Kontroversisten eindeutig Richtiges gesehen. Luthers religiös egalitäres Priestertum aller Gläubigen barg das Potenzial eines Gesellschaftsbebens. Die von ihm beschworene christliche Freiheit trugen Handwerker wie Sebastian Lotzer, literarische Figuren wie der Karsthans – ein schlagfertiger, bibelfester, aber lese- und schreibunkundiger Bauer –, aber auch Theologen wie Christoph Schappeler von Memmingen und Thomas Müntzer von Allstedt und Mühlhausen aus in die Lebenswelt der Bauern hinein. Diese Interferenzen zwischen stadtbürgerlichen Reformationsakteuren und Bauern, die auch durch die regelmäßigen wirtschaftlichen, religiösen und sozialen Kontakte zwischen Stadt und Land ermöglicht und befördert wurden, trugen dazu bei, dass bäuerliche Anliegen an die publizistische Öffentlichkeit gelangten. Der Flächenbrand des Bauernkrieges, der durch die Publizistik angeheizt wurde, dürfte die erste publizistisch induzierte militärische Auseinandersetzung der europäischen Geschichte gewesen sein. Ihr fielen etwa 100 000 Bauern zum Opfer. Dass Medienwandel mit dramatischen gesellschaftlichen Veränderungen einhergehen und Potenziale zum Bösen wie zum Guten enthalten, ist gewiss eine der Lehren auch des Bauernkrieges.
Literatur
Thomas Kaufmann: Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis. Herder Verlag, Freiburg 2024, 544 Seiten, Euro 35,–.
Thomas Kaufmann
Thomas Kaufmann ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Göttingen