Auf die Kanzel!

Warum ich mich nicht mit dem Lesepult als Predigtort zufrieden gebe
Foto: Harald Oppitz

„Kanzel im Kontext“ – kaum war die Ankündigung für diesen Studientag auf den sozialen Kontakten gepostet, da war der Tag auch schon ausgebucht. Werbung überflüssig. Drei Keynotes und verschiedene Workshopangebote haben Leute aus ganz Deutschland verlockt, einen Tag in Frankfurt zu verbringen. Auch die angefragten Referentinnen und Referenten hätten nicht lange gezögert. Stimmt, auch ich habe als Referentin für den Workshop „Kurzpredigt“ zugesagt und in Frankfurt dann die Gelegenheit genutzt, mir auch andere Workshops und Vorträge anzuhören. Etwa zum Thema „Predigt und Krise“. Von Krisenstimmung war am Workshoptag aber keine Rede, alle hatten gute Laune und Lust, sich Inspirationen zu holen. Die Predigt ist aktuell. Nach wie vor. 

Ein Thema war natürlich, dass man zwar gerne predigen, nicht aber zutexten will. „Papa don´t preach!“ Ein Ja also zur Predigt, nicht aber zum indoktrinierenden Monolog. Bitte schön Dialog auf Augenhöhe statt Moralinsäure mit anschließendem Ohrenbrennen. Predigt muss transformiert werden – wie auch immer Transformation definiert und Transformationen umgesetzt werden sollen. Natürlich kann man in der modernen VUCA-World nicht mehr so predigen wie zu Schleiermachers Zeiten – aber der Begriff Transformation scheint mir immer schwammiger zu werden. 

Was allerdings nicht schwammig daher kommt ist die Kanzel. Sie gehört zur Predigt scheinbar wie das Amen in der Kirche, steht fest, unverrückbar und hoch, aus stabilem Holz, oft genug auch fest gemauert in der Erden. Sogar der Titel der Tagung kommt an ihr nicht vorbei: Kanzel im Kontext! Kein Wunder, dass das Reaktionen provoziert. Die Kanzel, in der deutschen Sprache weiblich – wie auch im Französischen – kommt bei einigen als patriarchalisches, gar phallisches Symbol rüber. Sie stehe für eindimensionale Kommunikation, die jahrhundertelange Dominanz von Männern auf der Kanzel. Wie daher mit der Kanzel umgehen, gar als Frau? Sie absägen? 

Wie die böse Fee

Ein Vorschlag lautet: Ignorieren. Die Kanzel einfach links liegen- respektive stehenlassen und stattdessen andere Orte nutzen oder die Predigt ganz als Bibel-Sharing in die Kirchenbänke auflösen. Als Seelsorgerin weiß ich: Was man außen vor lassen will, das drängt sich um so hartnäckiger ins Zentrum des Geschehens. Das ist wie bei der bösen Fee im Märchen, die gerade dann kommt, wenn sie ausdrücklich nicht eingeladen wird. Und als „Gastgeschenk“ die ganze Festgesellschaft verflucht. Eine ignorierte Kanzel spricht auch dann, wenn niemand sie als Kanzel nutzt. Einfach, indem sie herumsteht. Und wirkt.

Als Pfarrerin spüre ich allerdings auch eine große Unlust, mir diese Kanzel wegnehmen zu lassen oder sie einseitig männlich zu konnotieren. Generationen von Frauen vor mir haben hart darum kämpfen müssen, eine Kanzel bespielen zu „dürfen“. Sie haben sich mit Blut, Schweiß und Tränen dafür eingesetzt, dass Pfarrerinnen dieselben Rechte haben wie Pfarrer. Sie sind dafür lächerlich gemacht worden, sie sind der Kanzel verwiesen worden, man hat sie nicht ernst genommen. Doch sie haben sich die Kanzeln erobert. Wenn´s drauf ankam auch mit einem Schemel, damit die Gemeinde sie auch über dem Kanzelrand erblicken konnte. 

Warum haben sie sich nicht mit dem Lesepult begnügt? Weil die Kanzel eben machtvoll ist. Ein machtvoller Ort.

Auf Augenhöhe

Warum sollte ich mir, gerade als Frau, diesen Ort wieder nehmen lassen? Ihn gar eintauschen gegen einen Ort, der akustisch weniger geeignet ist. Schließlich haben sich die Architekten aller Zeiten sehr gut überlegt, wo die Kanzel platziert werden soll. Natürlich ist die Kanzel auch Macht-konnotiert. Wenn ich mit Konfis die Kirche spielerisch erkundet habe, dann war die Kanzel immer der attraktivste Ort. Mit einer gewissen Scheu haben die Jugendlichen sich in die Höhe gewagt. Und sind dann immer selbstbewusster geworden und haben probiert, wie es klingt, von der Kanzel aus zu sprechen. Ich finde es gut, wenn man die Erfahrung der Kanzel-Hoheit und ihrer Macht teilen mag. Mit anderen Menschen, spielerisch, phantasievoll. Mit Predigten, die gerne vieldimensional konzipiert sind und ein akustisches Netz in der Kirche spannen. 

Die Kanzel kann nichts dafür, dass viele Männer sie über Jahrhunderte für ihre Zwecke missbraucht haben. Ich glaube, dass die Kanzel stark genug ist, über dieser Geschichte zu stehen. Eine in einem gut konzipierten Gottesdienst bespielte Kanzel ist lebendig und verflüssigt Machtphantasien, einfach weil die Predigt, die von ihr aus gehalten wird, die Hörenden ernst nimmt. So gelingt das Kunststück, auf Augenhöhe zu kommunizieren – auch wenn man nicht auf Augenhöhe steht.

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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