Maryams Sohn

Wie der Koran über die Geburt Jesu berichtet
Maria und Jesus auf einer alten persischen Miniatur
Foto: Wikipedia (gemeinfrei)
Maria und Jesus auf einer alten persischen Miniatur

Sohn einer alleinerziehenden Mutter, der sich schon als Kleinkind als Knecht und Prophet Gottes sieht und kein Gewaltmensch sein will – so beschreibt der Koran das Jesus-Kind. Für den Theologen Hans-Jürgen Benedict ein ermutigendes gemeinsames gewaltfreies Erbe von Christentum und Islam.

Was denken die vielen in Deutschland lebenden Muslime, wenn sie den vorweihnachtlichen Trubel auf den Weihnachtsmärkten erleben? Können sie in den ausgestellten Krippen mit Maria und dem Jesuskind, mit Josef, den Hirten, mit den Frieden verkündigenden Engeln, auch Teile ihrer eigenen sozusagen weihnachtlichen Tradition erkennen?  Denn die gibt es überraschenderweise auch im Koran. 

Über den Propheten Jesus, der in 19 Suren erwähnt wird, auf den sich 120 Verse beziehen, der mit vielen Titeln genannt wird (Isa, Sohn Mariens, Prophet, Gesandter) - über diesen Jesus gibt es eine Geburtsgeschichte im Koran. Darin wird Jesus als Sohn der Jungfrau bezeichnet (nicht als das Krippenkind - das sind ja ursprünglich zwei verschiedene Erzählstränge über die Geburt Jesu in der Bibel, die der Evangelist Lukas zusammengefügt hat). Wie bei den Evangelisten Lukas und Matthäus beginnt die Geschichte Jesu im Koran mit dem Wunder der Jungfrauengeburt. Ähnlich wie in der berühmten Ankündigungsszene des Lukas sagt ein Geist als wohlgestalteter Mensch in Sure 19 der jungen Frau, die „Maryam“ heißt, dass sie „einen lauteren Knaben“ gebären wird. Wie bei Lukas fragt sie erschreckt: „Wie soll ich einen Knaben bekommen, da mich noch kein Mann berührt hat und ich auch keine Dirne bin?“ Darauf antwortet der Gesandte Gottes: „Dein Herr spricht: Das ist für Gott ein Leichtes.“ 

Und so geht die Geschichte im Koran weiter: Die schwangere Maria hat sich wegen der Vorwürfe aus ihrer Verwandtschaft an einen fernen Ort zurückgezogen. Die Wehen setzen ein, sie ist verzweifelt und ruft: „Wäre ich doch vorher gestorben und ganz in Vergessenheit geraten.“ Da hört sie die Stimme ihres gerade geborenen Sohnes: „Bekümmere dich nicht. Der Herr hat unter dir ein Bächlein fließen lassen. Und rüttle am Stamm der Palme, hin zu dir, damit sie frische Früchte auf dich herunterfallen lässt. Dann iss und trink und sei frohen Mutes“. Der gerade geborene Jesus rettet so seine Mutter durch ein Sprechwunder. Und die Palme leistet gewissermaßen Hebammendienste, indem sie die gebärende Maria nach der Geburt versorgt. 

Bedrängende Realität

Das apokryphe Pseudo-Matthäus-Evangelium nimmt im 7. Jahrhundert dieses Erzählmotiv aus dem Koran auf und bindet es in die Geschichte von der Flucht der Heiligen Familie ein, die vor den Nachstellungen des Herodes nach Ägypten flieht. (Es gibt aber auch umgekehrt die These, dass der Koran es aus dem apokryphen Matthäus übernommen hat). So haben wir auf vielen von christlichen Künstlern gemalten Bildern der Ruhe auf der Flucht die Dattelpalme, die ihre Früchte für Maria und ihr Kind spendet. Sie stammt aus dem Koran.

Welch eine schöne Gemeinsamkeit zwischen Islam und Christentum! Jesus und seine Mutter waren Flüchtlinge. Aber das ist nicht nur eine alte gemeinsame Geschichte, sondern auch gegenwärtig bedrängende Realität  - mit Blick auf Flüchtlinge aus der von Russland mit einem schrecklichen Krieg überzogenen Ukraine, aber auch auf die, die übers Mittelmeer nach Europa kommen.

Nun erzählt der Koran weiter, wie Maria mit dem Säugling zu ihren Verwandten zurückkehrt und diese ihr Vorhaltungen machen: „Maria, du hast etwas Unerhörtes getan. Dein Vater war doch kein unzüchtiger Mann und deine Mutter keine Dirne.“ Maria deutet zu ihrer Verteidigung auf das Kind. Die Verwandten sagen verächtlich: „Wie sollen wir mit einem sprechen, der noch ein Kind in der Wiege ist?“ 

Und da geschieht nochmals ein Sprech-Wunder. Wieder beginnt das Kleinkind beginnt zu reden. Es stellt sich mit folgenden Worten selbst vor: „Ich bin der Knecht Gottes! Er gab mir das Buch und machte mich zum Propheten. Er verlieh mir Segen, wo immer ich auch war, und trug mir das Gebet und die Armensteuer auf, solange ich am Leben bin. Und Ehrerbietung gegen meine Mutter! Er machte mich zu keinem elenden Gewaltmenschen.“ Das klingt verglichen mit unserem Jesusbild vertraut und fremd zugleich. Jesus stellt sich hier wie andere jüdische Propheten als Knecht Gottes vor, der von Gott zum Propheten berufen wurde. Zwar hat Jesus sich in den Evangelien nicht selbst als Knecht bezeichnet. Doch er beschreibt sich als einer, der gekommen ist, zu dienen und nicht sich bedienen zulassen.. „Gott gab mir das Buch“, sagt Jesus im Koran, sprich die Thora und die Evangelien, und deswegen gehören die Christen wie die Juden zu den von den Muslimen zu achtenden „Menschen des Buchs“. 

Gerettet vor der Steinigung

Außerdem stellt sich Jesus als frommer Jude und zugleich als frommer Moslem vor. Denn er sagt von sich, dass er die Pflichten des rituellen Gebets und der Armensteuer erfüllt sowie das Elterngebot. Was er gleich praktisch unter Beweis stellt, indem er seine Mutter verteidigt. In dieser Geschichte aus dem Koran wird die enge Verbindung zwischen Maria und ihrem Sohn deutlich. Jesus verhält sich von Anfang an wie ein „Ritter“ der alleinstehenden Maria. Denn im Koran gibt es keinen Ehemann Josef, der sie beschützen kann. Jesus ist im Koran vaterlos, er ist zuerst und vor allem „der Sohn Marias“. (In den Evangelien distanziert er sich hingegen von seiner Mutter, siehe Mk 3,31ff). 

Mit dieser Ansprache des kleinen Propheten, der noch ein Kind in der Wiege ist, wird Maria, der wegen illegitimer Schwangerschaft die Strafe durch Steinigung drohte, gerettet.  Abschließend sagt Jesus hier von sich, er sei „kein elender Gewaltmensch.“  Das erinnert deutlich an Jesu Seligpreisung der Friedensstifter und an seine Aufforderung an die Jünger, in Konflikten auf Gewalt zu verzichten. „Dem, der dich auf die rechte Backe schlägt, dem halte auch noch die linke hin.“ 

Es gibt also ein gemeinsames gewaltfreies Erbe von Christentum und Islam. Allen Attentätern und Gewaltmenschen, die im Namen ihres Glaubens Gewalt gegen Mitmenschen üben, sei dieser Spruch Jesu aus dem Koran ins Stammbuch geschrieben: „Gott macht mich zu keinem elenden Gewaltmenschen.“ Und das stimmt ja auf schöne Weise mit der Verkündigung der Engel über den Feldern von Bethlehem überein. „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Der neugeborene Messias ist ein Messias des Friedens. Er würde den Menschen in der Ukraine, im Iran, in Israel und im Gazastreifen und überall, wo Unfrieden herrscht, Frieden und ein Ende der Gewalt verkündigen  Diese Gemeinsamkeit sollte bei allen Differenzen und Befremdungen, die die jeweils andere Religion noch auslöst, doch zu Weihnachten als dem Fest der Geburt Jesu, muslimisch: der Geburt Isas, besonders betont werden. 

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Foto: privat

Hans-Jürgen Benedict

Hans-Jürgen Benedict war bis 2006 Professor für diakonische Theologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg. Seit seiner Emeritierung ist er besonders aktiv im Bereich  der Literaturtheologie.


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