„Bestätigt und belastet“
Wurden Taten sexualisierter Gewalt auf Kirchentagen vorgenommen oder wurde dort für Pädophilie geworben? Der Deutsche Evangelische Kirchentag hat mit der Aufarbeitung seiner Geschichte beim Thema „Sexualisierte Gewalt“ begonnen und das Wirken von Hartmut von Hentig, Gerold Becker und Helmut Kentler in seinem Umfeld untersuchen lassen. Über eine denkwürdige Pressekonferenz zum Thema berichtet „zeitzeichen“-Redakteur Philipp Gessler.
Der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) hat in einer eng umrissenen und unabhängigen Studie untersuchen lassen, ob es mögliche Taten sexualisierter Gewalt oder die Werbung für Pädophilie durch drei prägende Gestalten der Kirchentagsgeschichte gab. Ins Auge genommen wurde die Rolle von Hartmut von Hentig, Gerold Becker und Helmut Kentler beim DEKT. Alle drei waren über Jahrzehnte auf den Kirchentagsveranstaltungen oder gar ehrenamtlich in der Führung des DEKT tätig, gelten heute aber als öffentlich wirksame Intellektuelle, die sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche entweder verübt, vertuscht oder verharmlost haben.
Die Studie beruht auf einem Forschungsprojekt, das durch den Historiker Uwe Kaminsky von 2022 bis 2024 an der Universität Greifswald durchgeführt wurde. Sie wurde vom DEKT in Auftrag gegeben, aber war nach Angaben des Kirchentags völlig unabhängig. Die nun auch als Buch veröffentlichte wissenschaftliche Untersuchung hat den Titel „Pädophilie im Fokus – Zur Rolle von Hartmut von Hentig, Gerold Becker und Helmut Kentler beim Deutschen Evangelischen Kirchentag“. Bei einer Pressekonferenz am Freitagmorgen erklärte die DEKT-Generalsekretärin Kristin Jahn, die Studie habe den Kirchentag "bestätigt und belastet". Die Untersuchung habe eine rund fünf Jahre alte Vorstudie zum Thema bestärkt, wonach die drei genannten Personen nach Aktenlage keine Taten sexualisierter Gewalt während ihres Wirkens beim Kirchentag vorgenommen hätten. Auch hätten sie bei den Veranstaltungen des Kirchentags in vielen Jahren nicht für Pädophilie geworben.
"Eine Bühne gegeben"
Nach Auskunft der Akten habe es beim DEKT, so Jahn, bis 1999 auch kein Wissen über die Verbrechen sexualisierter Gewalt gegeben, die vor allem Becker nachgewiesen werden konnten. Allerdings sei es eine offene Frage, warum der DEKT nicht ab 2010, als dieses Wissen dann vorhanden war, nicht selbständig und früh eine Aufarbeitung des Wirkens von Hentig, Becker und Kentler in Angriff genommen habe, drei einflussreiche Persönlichkeiten, die zum Teil auch stark protestantisch geprägt waren. Man habe den beschuldigten Personen unhinterfragt auf dem Kirchentag „eine Bühne gegeben“, so Jahn. Der Kirchentag müsse lernen, das Undenkbare zu denken. „Der Kirchentag ist nicht der bessere Ort.“
Thomas de Maizière, seit Jahren im DEKT-Präsidiumsvorstand tätig, erklärte, der Blick in die Vergangenheit sei schmerzhaft und überfällig. Es sei auch beim DEKT zu lange zu den Taten sexualisierter Gewalt geschwiegen worden. Der ehemalige Bundesminister betonte, dass die Studie lediglich die möglichen Taten der genannten Personen nach Aktenlage untersucht habe, nicht jedoch, ob es generell in der Jahrzehnte langen Geschichte des DEKT Taten sexualisierter Gewalt von anderen Engagierten oder zum Beispiel in den Unterkünften während der Kirchentage gegeben habe. Der CDU-Spitzenpolitiker erklärte zudem, man habe deshalb keine gemeinsame Pressekonferenz mit dem Historiker Kaminsky gemacht, um die Unabhängigkeit von dessen Studie zu betonen.
Thema nur angekratzt
So ist die Studie von Kaminsky von einem auf den ersten Blick begrenzten Wert, da das Thema „Sexualisierte Gewalt und Werbung für Pädophilie auf dem Kirchentag“ bestenfalls angekratzt wurde. Wie viele Verbrechen dieser Art es auf den Kirchentagen oder in deren Umfeld gab, muss weiter erforscht werden, auch wenn die Aktenlage voraussichtlich wenig Auskunft dazu geben wird. Neben dem Fehlen Kaminskys auf der Online-Pressekonferenz war zudem für die Transparenz nicht besonders glücklich, dass den zugeschalteten Journalisten nur über einen Chat die Möglichkeit gegeben wurde, ihre Fragen zu stellen, ohne dass so recht klar wurde, warum es diese Einschränkung gab. Man kann also sagen, dass der DEKT erst am Anfang der Aufarbeitung seiner Geschichte beim Thema „Sexualisierte Gewalt“ und „Werbung für Pädophilie“ steht. Aber immerhin ist ein Anfang gemacht.
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.