Nach den Lippenbekenntnissen

Das Ringen um kirchliche Positionen im Umgang mit der AfD
Foto: Christian Lademann

Es war ein evangelisches Gemeindehaus, in dem sich 2013 18 Männer versammelten und die AfD gründeten. Was damals unter den segnenden Händen der Christusfigur in Oberursel begonnen hat, entwickelte sich seither rasant von einer Anti-Euro-Partei hin zu einem rechtsextremen Verdachtsfall. Die Gemeinde in Oberursel leidet bis heute unter dem Makel, dass die Parteigründung in ihren Räumlichkeiten stattgefunden hat. 

Gegenwärtig ringen die Kirchen damit, sich ins rechte Verhältnis zu setzen zur politischen Großwetterlage und diese Selbstverortung ist offenbar etwas diffiziler, als manches emphatische Lippenbekenntnis zu Offenheit und Vielfalt es ahnen lässt. Vor dem Hintergrund nahender Kirchenvorstandswahlen sehen sich die Kirchen gegenwärtig herausgefordert, die Voraussetzungen für die Mitarbeit in Leitungsgremien zu beschreiben. Damit einher geht die Frage, wie deutlich rote Linien formuliert werden. Kann etwa ein AfD-Mitglied Teil des Kirchenvorstands sein? 

Nachdem sich in der vergangenen Woche die Synode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) mit dem Thema beschäftigt hat und sich in Gestalt einer Synodalverlautbarung gegen rechtsextreme Kräfte positioniert hat, war auch meine Landeskirche, die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), mit diesem Thema auf ihrer Herbstsynode beschäftigt. Bei einer solchen Debatte geht es aktuell um nicht weniger als darum, zu erläutern, wie sich gegenwärtig formulieren lässt, was christliche Werte sind. Bei aller Entschlossenheit ist ein solches Unternehmen ein Drahtseilakt. Kontrovers wurde diskutiert, ob die AfD dezidiert benannt werden soll. Während einige das als den gebotenen Beitrag zum Schutz der Demokratie sahen, sprachen sich andere gegen diese ausdrückliche Nennung aus. Und in der Tat ist es ja auch nicht ganz unproblematisch, insofern es sich nun mal (immer noch) um eine demokratisch legitimierte Partei handelt. 

In einem Dilemma

Die AfD wurde schließlich nicht explizit benannt, wohl aber eine engagierte Synodalverlautbarung verabschiedet, die die Sorge über das Erstarken rechtsextremistischer Parteien thematisiert. Die Synodalen haben dies verbunden mit der formulierten Überzeugung, dass berufliche wie ehrenamtliche Mitarbeit in der EKKW für diejenigen nicht möglich ist, die „öffentlich durch Wort oder Tat den christlichen Werten und dem Auftrag der Kirche oder den Grundsätzen ihrer Ordnung widersprechen“. 

Die Kirchen befinden sich in diesen Fragen in einem Dilemma. Sie müssen sich positionieren, können das aber wiederum nur soweit tun, als dass die beschrittenen Wege auch zu operationalisierbaren Entscheidungssettings führen. Allerdings scheinen es nicht allein diese Sachprobleme zu sein, welche einen gewissen Grad an Verunsicherung erzeugen im Kontext dieser kirchlichen Debatten. Vielmehr wird deutlich, dass wir uns überhaupt erstmal wieder einüben müssen in Positionierungen dieser Art. Lange Zeit lebten wir in einer luxuriösen Situation, in der man immer mal so ganz allgemein gegen Ausgrenzung und allgemein gegen Rechts und allgemein für dies und jenes sein konnte. Es genügte völlig, wenn diese Verlautbarungen grundsätzlich und ohne den direkten Bezug zu praktischen Folgen blieben. 

Epochaler Wandel

Was wir gegenwärtig erleben ist nicht weniger als ein epochaler Wandel. Lippenbekenntnisse reichen nicht mehr aus, sondern Positionierungen müssen in der Lage sein, Konsequenzen zu erzeugen. Ich selbst hätte mir die explizite Nennung der AfD gewünscht, trotz der Schwierigkeiten, die das mit sich bringt. 

Was mich an der Form, wie diese Debatten in der Kirche geführt werden, beunruhigt, ist die Art, wie sich hin und wieder die Fragen nach dem eigenen organisationalen Selbsterhalt mischen mit diesen grundlegend ethischen Themen. Vereinzelt scheint die Sorge vor dem Scheitern der Aufgabe, genügend Ehrenamtliche für die anstehenden Kirchenvorstandswahlen zu finden schwerer zu wiegen als eine deutliche Positionierung zum Schutz unserer Demokratie. Darin zeigt sich, wie sehr die Selbstbeschäftigung angesichts der kirchlichen Veränderungsprozesse unseren Blick auf die eigene Organisation lenkt statt auf die gegenwärtigen gesellschaftlichen Dynamiken. 

Konservative Grundstruktur

Deutlich wird in dem Grad der Verunsicherung auch, dass wir als Kirchen der politischen Gemengelage nicht unterschieden gegenüberstehen, sondern dass wir das Thema in unseren eigenen Reihen haben. Als Institution mit einer tendenziell konservativen Grundstruktur liefern wir einen Nährboden dafür. Gerade in ländlichen Gebieten wird davon auszugehen sein, dass vereinzelt gezielt kirchliche Leitungsämter von Menschen mit AfD-Hintergrund angenommen werden, um an Einfluss zu gewinnen. Dafür, dass das an einzelnen Orten attraktiv ist, sind wir als Kirchen noch resonanzstark genug. Das ist ja vielleicht auch ein Gedanke, an den man sich inmitten all der Narrative rund um den Bedeutungsverlust erst gewöhnen muss. Offenbar sind wir noch groß genug, um für Kräfte mit solchen Zielen interessant zu sein. 

Mich interessiert im Moment, ob in der beschriebenen Ambivalenz des Umgangs und darin, sich ehrlich zu machen, das Thema in den eigenen Reihen zu haben, nicht eine Chance für einen gesellschaftlichen Beitrag läge. Noch haben wir die Größe und gesellschaftliche Resonanzfähigkeit, dass ein solcher Beitrag hörbar werden kann. Es ginge darum, die eigene Verunsicherung im Hinblick auf das Thema wahrnehmbar offen zu legen und gleichsam gesamtgesellschaftlich zur Verfügung zu stellen. Damit käme ein Zungenschlag in die öffentlichen Debatten, der inmitten einer sich immer weiter aufheizenden Diskussion hilfreich und heilsam sein könnte. 

Wichtig sind diese Diskurse, wie sie jüngst in der EKM und in der EKKW geführt wurden allemal. Bei allen Unsicherheiten müssen wir als Kirchen neu lernen, um Positionen zu ringen und diese auch wahrnehmbar zu machen und sie bis in die organisationalen Folgen hinein durchzubuchstabieren. In Zeiten, in denen die Demokratie derart gefährdet ist wie jetzt, sind wir das der Welt schuldig. 

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Foto: Christian Lademann

Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.


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