Mit Engelsgeduld auf Jesu Spuren
Wenn ein großes deutsches Nachrichtenmagazin, ab und zu leicht religionskritisch gesonnen, ein Spiel christlichen Inhalts empfiehlt, gilt es aufzuhorchen: Wird uns hier ein ganz neuer Weg der Verkündigung geschenkt? Weht der Geist nun ganz heftig auch in Brettspielen?
Es handelt sich um das Strategiespiel „Jerusalem. Anno Domini“, offenbar einst ein spanisches Spiel, das dieses Jahr einen deutschen Spieleverlag gefunden hat. In ihm geht es im Wesentlichen darum, in gewisser Weise das Letzte Abendmahl Jesu, etwa um das Jahr 33 nach der Zeitenwende, nachzuspielen – und dabei einiges von der Geschichte des Heilands und seiner Botschaft zu lernen.
Zumindest wird das Spiel so beworben. Und so machten sich vier Redakteure, journalistische Religionsprofis von „zeitzeichen“, denen keine Mühe zu viel ist für die Leserschaft, an zwei Nachmittagen daran, das Brettspiel zu erproben. Die Hauptfragen dabei: Ist das Spiel gelungen? Gibt es christliche Erkenntnisprozesse? Sollte es unterm Weihnachtsbaum liegen? Und am wichtigsten: Hat es Spaß gemacht?
Um es gleich zu sagen: Wir haben das Spiel schon abgebrochen, bevor wir es überhaupt angefangen haben. Das liegt daran, dass es einfach viel, viel zu lange gedauert hat, die Spielanleitung zu lesen, die zudem höllisch kompliziert ist. Wir brauchten zu viert allein knapp 90 Minuten, um den Spielaufbau zu verstehen, alle Spielsteine, Kärtchen und Plättchen, insgesamt Hunderte wohl, auf dem Brett richtig zu verteilen.
Vor- und Zurückerklären
Dann dachten wir mutig: „Okay, hat jetzt eigentlich schon zu lange gedauert, aber beim nächsten Treffen fangen wir endlich an zu spielen!“ Aber als sich am zweiten Nachmittag die Spielverlaufserläuterung als ebenso kompliziert herausstellte wie der Spielaufbau. Als das Vor- und Zurückerklären, was wann zu tun sei, nach einer halben Stunde immer noch nicht beendet war, und als schließlich gar klar wurde, dass weitere Erklärungen wohl mindestens noch einmal so lange dauern würden … da brachen wir ab! Wo ist hier der Spaß?!
Dabei ist das Spiel durchaus schön, ja liebevoll gemacht: Das Spielbrett, ein wenig kitschig, hat einen künstlerischen Touch. Es zeigt Orte der Evangelien, also etwa den See Genezareth, die Judäische Wüste, den Berg der Bergpredigt, den Tempel in Jerusalem und den Tisch des Letzten Abendmahls. Die hölzernen Spielfiguren, die mit Aufklebern (zum Beispiel Fische, Brote, Steine, Apostel und so weiter) noch aufgepeppt werden können, sehen gut aus. Sie sind etwas ikonenhaft gestaltet. Alles ist hochwertig und qualitätsvoll gefertigt.
Dass zudem in der Spielanleitung – um der frühchristlichen Stimmung willen – ein paar Bibelzitate eingestreut werden, ist pfiffig. Das gilt auch, obwohl manche Botschaften Jesu doch arg gerafft werden oder diese Zitate den Evangelien zufolge in anderen Situationen zu hören waren. Beispiel: „Dieser Abend soll der letzte werden, den sie gemeinsam verbringen: das Letzte Abendmahl. Er weiß das und hinterlässt ihnen diese Worte: ‚Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.‘“
Aber die gelungene Aufmachung des Spiels und einige nette Ideen in der Erzählung können das Hauptmanko von „Jerusalem. Anno Domini“ nicht aufwiegen: Das Ganze ist viel zu kompliziert! Man muss entweder ein ganz ausgebuffter Spieleprofi sein oder eine Engelsgeduld bei der Spieleanleitung haben, um mit diesem Brettspiel zurecht zu kommen. Und um doch noch Spaß damit zu haben.
Für die Mutigen gleichwohl dieser Tipp: Zuerst zum Beispiel dieses Youtube-Tutorial zum Spielanschauen, das allerdings auch schon fast 20 Minuten lang ist. Dann ahnt man wenigstens, wo der Witz des Spiels liegen könnte. Und wie es wohl zu spielen ist.
„Jerusalem. Anno Domini“, Strohmann Games. Devir, 1 bis 4 Spieler, ab Euro 50,92
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.