In Schulen oder Universitäten kann Künstliche Intelligenz nützliche Dienste leisten. Mit dem Chatbot ChatGPT lassen sich Aufsätze, Seminararbeiten oder auch Forschungsanträge bequemer formulieren. Ob dabei ehrlich und gemäß den Erwartungen anderer verfahren wird, ist indes eine Frage für sich. Eine Zeitung meldete, ein weniger angesehenes Blatt habe sich lobende Leserzuschriften durch KI erstellen lassen. Überhaupt der Journalismus: Große Teile der Berichterstattung könnten bald durch KI erbracht werden. Ähnlich folgenreich dürfte die Technik im Banken- und Versicherungswesen werden. Über Folgen im Medizin- und Pflegebereich, durch die Auswertung großer Mengen an Gesundheitsdaten oder den Einsatz von Robotern, wird ebenfalls nachgedacht.
Es gibt Warnungen vor einer Entmündigung durch die Technik. Ethikräte nehmen Stellung, Regierungen feilen an Richtlinien. Sie alle bewegt die Frage: Was kann und soll KI – und was ist sie eigentlich? Entsprechend ist ein neues Buch betitelt, das laut Untertitel „ein philosophisches Gespräch“ wiedergibt. Geführt haben es die Philosophen Vincent C. Müller und Martin Hähnel, die sich beide mit ethischen Fragen beschäftigen; Müller, Professor für Philosophie und Ethik der KI in Erlangen, ist dabei der eigentliche Experte, der den größeren Gesprächsanteil hat. Besonders seine Aussagen bestätigen, dass es der Philosophie nicht vor allem darum geht, Antworten zu geben, sondern die richtigen Fragen zu stellen.
Entlang der titelgebenden kantischen Leitfragen wird auf gut verständliche und anregende Weise das weite Feld des Digitalen bearbeitet, werden Fakten mitgeteilt und mögliche Konsequenzen erörtert. Man benennt Risiken und Chancen; besonders Müller plädiert dafür, Entwicklungen erst einmal abzuwarten, weil vieles noch nicht abzusehen sei. Offen und sachlich bleiben ist hier viel eher die Devise, als kulturpessimistisch zu warnen. Die Gefahr aber bleibt vor Augen, von der rasanten Entwicklung buchstäblich überfahren zu werden – zumal deshalb, weil führende Tech-Firmen nicht an Regulierung interessiert sind, durchaus aber an steigendem Umsatz und Einfluss. Überhaupt kann sich sozial Sinnvolles von ökonomisch Sinnvollem stark unterscheiden.
Gemäß der Programmierung
Über die Idee eines „künstlichen Bewusstseins“ müsse man derzeit nicht eingehender nachdenken, meint Müller. Die Maschinen kalkulieren und entscheiden künstlich gemäß ihrer Programmierung. Verantwortlich für die Folgen der komplexer werdenden Entscheidungen etwa beim Autonomen Fahren sind die Entwickler, außerdem diejenigen, welche die Systeme vertreiben und einsetzen. Wenn es um ethische Fragen im Kontext der philosophischen Schulen geht, hält Müller tugendethische Ansätze für vielversprechend: KI kann zu einem maßvollen, gerechten, klugen Leben beitragen, wenn sie derart programmiert und eingesetzt wird, dass eben diese Eigenschaften befördert werden. Und KI-Systeme sollten nur machen, wozu sie gut in der Lage sind.
Warnungen haben hier durchaus Platz: Allgegenwärtige Smartphones fördern eher die Interaktion mit der Technik als die menschliche Kommunikation. Und ein weiteres „Verführungspotenzial“ der Maschinen ist ebenfalls ein Problem: Sie simulieren menschliche Realitäten ja nur. Als Wunsch formuliert Müller, dass die menschliche Interaktion natürlich-human bleiben und nicht von KI beeinflusst werde. Es liegt an uns Menschen, was wir einsetzen und auf welche Weise das geschieht – was wir machen und mit uns machen lassen. Im Umgang mit KI geht es nicht zuletzt um Selbstverantwortung. Man sollte das Denken nicht Maschinen überlassen; viele Anregungen für selbstständiges Nachdenken gibt auch dieses Buch.
Thomas Groß
Thomas Groß ist Kulturredakteur des Mannheimer Morgen.