Dieses mutige Buch überspringt Genre-Grenzen, macht sich angreifbar, wagt etwas. Und das von einem Theologen, der schon manche Risiken eingegangen ist: Es ist der Autor Klaas Huizing, der zugleich seit bald dreißig Jahren Professor für Systematische Theologie in Würzburg ist. Huizing war immer ein Wanderer auf dem schmalen Grat zwischen Literatur und Theologie, den nur wenige betreten, weil man hier Gefahr läuft, weder von den Schriftstellern noch von den Theologen akzeptiert zu werden.
Mit Verzaubert leben wagt Huizing erneut etwas. Denn dies ist nicht nur theologisch und literarisch, sondern grenzt sogar an Ratgeber-Literatur, ja, es will den Leserinnen und Lesern zu einem besseren Leben verhelfen. Huizing: „Dieses Buch ist eine Einladung zum Transzendieren, zum spielfreudigen, intensiven Übersteigen des Alltags, hin zu Orten und Situationen, die Erfahrungen von Neuheit, Kreativität und Entwicklungsfähigkeit erlauben.“
Es geht Huizing wesentlich darum, wie wir uns Erlebnissen des Heiligen immer wieder öffnen und sie uns vielleicht zu einem erfüllteren Leben führen. „Heiligkeitserfahrungen“, so Huizing, „sind Erfahrungen von Tiefe, die jeweils für mich oder mein Leben mit anderem Leben bedeutsam sind, genauer: Sie gehen mich unbedingt an, wie Paul Tillich (1886–1965) formuliert hat.“ Der Autor schildert Erfahrungen, die für ihn etwas Heiliges hatten. Dabei erkennt er das Heilige nicht nur in großen, überwältigenden Erlebnissen, sondern manchmal auch in den kleinen Dingen: einer Wattwanderung, Urlaubserlebnissen an der Küste der Normandie, einem still gelegten Schwimmbad im Saarland, dem Geruch von Büchern, der Liebe seines Hundes, Pogo-Tanzen, einem Besuch im Stadion „La Bombonera“ der Boca Juniors in Buenos Aires (übrigens der langjährige Verein von Diego Maradona) und so weiter. Hier ist bedeutsam, dass solche Erfahrungen durchaus zwiespältig sein können. Huizing erklärt, ganz in der Tradition des Theologen Rudolf Otto (1869–1937): „Das Göttliche oder Heilige ist strukturell ambivalent, denn die Erfahrung, dass etwas größer ist als ich, kann auch ängstigen, fasziniert uns aber zugleich und stiftet, So weit das involvierte Ich diese Erfahrung als Lebenssteigerung einstuft, eine Dankbarkeit ein, eine zunächst feierliche und andächtige Ergebenheit, die dann zur Handlung drängt.“
Huizing betont, dass es vor allem der Körper oder Leib sei, der Erfahrungen des Heiligen mache. „Jetzt geht es mir um den Resonanzkörper, der auf diese Erfahrungen reagiert: Es ist der spürende Leib. Und sein ingeniöser Sprachlehrer ist der zeit seines Lebens in Kiel lehrende Philosoph Hermann Schmitz.“ Schmitz (1928–2021) ist so etwas wie der, hier passt das Wort sehr gut, Säulenheilige Huizings, ihn zitiert er oft – vielleicht auch etwas zu oft. Über den Leib, den Schmitz stets hochhielt, könnten Erlebnisse von Heiligkeit am besten gemacht werden, so Huizing, sogar von Menschen, die sonst wenig oder nichts mit Religion am Hut haben: „Zumindest der Leib erkennt eine Macht an, die größer ist als er selbst. Ein Leib ist selten, wahrscheinlich nie religiös unmusikalisch.“
Und Huizing geht sogar noch einen Schritt weiter. Er bietet in seinem Buch „drei basale Übungen“ an, wie das Heilige erlebt werden könne, etwa durch Atemübungen oder eine Schulung des Erspürens von Atmosphären. An diesen Stellen grenzt Verzaubert leben gelegentlich fast an esoterische Ratschläge. So schreibt Huizing etwa: „Das ist auch Ihre Aufgabe: Rufen meine emotionalen Skizzen von Heiligkeitserfahrungen bei Ihnen Konvergenzen auf? Klingelt es? … Lassen Sie Ihren spürenden Leib zu Wort kommen, notieren Sie ganz alltägliche Geschichten.“
Huizing mutet der Leserin, dem Leser also einiges zu. Wer dieses Buch genießen will, muss sich darauf einlassen.
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.